Auch Goths haben mal Hunger: ein gepflegtes Picknick im Clara-Zetkin-Park beim Leipziger Wave-Gotik-Treffen Foto: AFP

Das vor 25 Jahren gestartete Wave-Gotik-Treffen hüllt Leipzig zu Pfingsten wieder in Schwarz. Es ist vielleicht das weltweit größten Musik- und Kulturfestivals der Schwarzen Szene. Die Teilnehmer verwenden viel Zeit und Aufwand auf ein gepflegt-grusliges Äußeres. Die Stadt verdient gut daran.

Leipzig - Alljährlich zu Pfingsten trägt Leipzig schwarz. Mehr als 20 000 Anhänger der Gothic-Szene strömen an dem verlängerten Wochenende vom 2. bis 5. Juni in die Messestadt zum Wave-Gotik-Treffen, kurz WGT. Seit es 1992 das erste Mal stattfand, gibt es weltweit wahrscheinlich kaum eine vergleichbare Szene-Veranstaltung, die sich so selbstverständlich ins Stadtbild einfügt. Angst braucht niemand vor den teilweise recht unheimlich kostümierten Festivalbesuchern zu haben, im Gegenteil: die Sachsen-Metropole freut sich auf die „Schwarzen“. Die anfängliche Skepsis der Leipziger ist längst einer großen Schaulust gewichen.

Das WGT ist ein Festival, das alle Sinne anregt. Unübersehbar sind die Heerscharen von Szene-Anhängern. Meist in kleinen Gruppen flanieren sie in ihren aufwendig gestalteten Roben durchs Stadtgebiet. Ob in Parks, Einkaufsstraßen oder Kultureinrichtungen – allerorts ziehen die Gestalten sämtliche Blicke auf sich. Bereitwillig werfen sie sich bei Fotoanfragen in Pose und geben geduldig Auskunft über die Besonderheiten ihrer Kostüme. Inoffizieller Höhepunkt des pompösen Schaulaufens ist das Viktorianische Picknick im Clara-Zetkin-Park am Freitagnachmittag. Dort zeigt sich schnell, dass sich die „Schwarze Szene“ überraschend farbenfroh in Schale wirft.

In den Gassen riecht es nach dem Gothic-Parfüm Patchouli

Unverkennbar ist der süßlich schwere Duft von Patchouli, dem Gothic-Parfüm schlechthin, der durch alle Gassen wabert. Noch deutlicher ist das WGT akustisch zu vernehmen. Allein der Festivalveranstalter konnte bisher mehr als 140 Künstler für die 26. Auflage gewinnen. Darunter sind Szenegrößen wie VNV Nation, Lebanon Hanover oder S.P.O.C.K., aber auch jüngere Bands wie She Past Away aus der Türkei. Neben Konzerten bietet das WGT verschiedene Lesungen, Ausstellungen, eine Messe sowie zwei Mittelaltermärkte. Flankierend dazu stimmen auch zahlreiche Clubs, Bars, Museen und Theater ihr Programm auf die Schwarze Szene ab.

Selbst die Leipziger Oper sowie das Gewandhaus zählen auf die düstere Gesellschaft. Sowohl das städtische Marketing als auch die Händler und Gastronomen der Stadt wissen das WGT für sich zu nutzen. Längst ist das Festival nicht nur fester Bestandteil des städtischen Kulturkalenders, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Schmackhafte Vampirzähne in der Bäckerei und Softeis mit blutroter Soße

In den Regalen der Drogerien dominieren plötzlich überwiegend dunkelfarbige Kosmetikartikel, der Bäcker um die Ecke bietet schmackhafte Vampirzähne feil und der Softeisstand garniert auf Wunsch die kühlende Leckerei mit blutroter (Himbeer-)Soße. Mehrere Millionen Euro hinterlassen die Gothics erfahrungsgemäß in den Kassen der lokalen Wirtschaft. Vor allem für die Unterkünfte ist das Festival ein einträgliches Geschäft. Da die Teilnehmer des schaurig-schönen Spektakels aus der ganzen Welt anreisen, ist die frühzeitige Zimmerreservierung mehr als ratsam. Nicht selten sind die Hotels und Herbergen der 570 000-Einwohner-Stadt über Pfingsten weitestgehend ausgebucht.

Nur auf den ersten Blick erstaunlich scheint die Tatsache, dass bei den unzähligen Events im Rahmen des Festivals auch zahlreiche „normale“ Städter anzutreffen sind. Doch anlässlich des WGT locken viele Einrichtungen nicht nur mit Sonderschauen und Führungen, manche gewähren Einblicke in Bereiche, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben. Einer dieser Orte ist der Leipziger Südfriedhof. Bekanntlich üben Trauerstätten eine besondere Faszination auf die Gothics aus. So öffnet die weitläufige Parkanlage, deren unzählige historische Grabmale besonders opulent gekleideten Festivalbesuchern als Kulisse für Fotoshootings dienen, über Pfingsten auch die Trauerhallen sowie das Krematorium.