Wasserwerfer versuchen am 30. September 2010, den Schlossgarten zu räumen Foto: dpa

Am Mittwoch hat im Prozess gegen zwei Polizisten der Staffelführer der Wasserwerfer ausgesagt. Belastet hat er die Kollegen nicht. Doch seine Schilde- rungen der Ereignisse am Schwarzen Donnerstag zeichnen ein katastrophales Bild von der Einsatzplanung.

Stuttgart - Im voll besetzten Gerichtssaal ist es anders als sonst mucksmäuschenstill. An der Wand laufen Bilder ab, die viele der Anwesenden so noch nicht zu sehen bekommen haben. Stundenlang sichtet das Gericht Aufzeichnungen vom 30. September 2010. Videosequenzen, die vorwiegend aus den Wasserwerfern gedreht worden sind.

Erstaunlich ruhig wickeln die Besatzungen da den Einsatz ab, der später als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte eingehen sollte. Schilder gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 werden vor die Scheiben gehalten, Wasserfontänen schießen nach vorn. Der Kommandant fordert, „a Muggaseggele tiefer“ zu spritzen, und kommentiert: „Des zeigt Wirkung.“ Demonstranten halten Bierbänke hoch oder werfen Feuerwerkskörper auf die Beamten. Dennoch ist das ganz große Chaos an diesem Tag aus diesen Blickwinkeln nur zu erahnen.

Das Gericht zeigt die Ausschnitte, um der Lösung des Rätsels, wer die vielen Verletzten auf dem Gewissen hat, ein bisschen näher zu kommen. Auf der Anklagebank sitzen zwei Polizisten, die als Einsatzabschnittsleiter im Schlossgarten gewesen sind. Der Vorwurf: fahrlässige Körperverletzung im Amt. Sie sollen eine Anweisung der Einsatzleitung, nur Wasserregen einzusetzen, nicht weitergegeben und nichts getan haben, um weitere schwere Verletzungen zu verhindern. Die Beamten weisen die Vorwürfe zurück.

Im Zeugenstand sitzt an diesem Tag nur ein einziger Mann. Von 9 Uhr morgens bis 18 Uhr abends. Er gilt als Schlüsselfigur des Prozesses. Es ist der Staffelführer der Wasserwerfer. Der 44-Jährige ist wegen der Härte des Einsatzes im vergangenen Jahr bereits zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hat den Strafbefehl schließlich akzeptiert. Eigentlich will er die Aussage verweigern, doch das Gericht lehnt den Antrag ab.

Welche Schuld die beiden angeklagten Kollegen nun tatsächlich trifft, dazu kann der Zeuge wenig beitragen. Auf den Videosequenzen ist er immer mal wieder mit dem einen oder anderen zu sehen. Man habe sich an diesem Tag ständig kurz besprochen. Was dabei genau gesagt worden sei, wisse er nicht mehr, so der Zeuge. Von einer Anordnung, ausschließlich Wasserregen einzusetzen, ist ihm nichts bekannt. „So eine Einschränkung ist auch nicht üblich“, betont er.

Nur wenige konkrete Szenen hat er noch im Kopf. So erinnert er sich, dass einer der Angeklagten zu Beginn des Einsatzes zu ihm gesagt habe: „Jetzt macht die mal nass.“

Der andere habe später angeordnet, dass keinesfalls Reizstoffe ins Wasser gemischt werden dürften. „So etwas geht in Stuttgart gar nicht“, habe die Aussage gelautet. Dementsprechend sei das unterlassen worden. Die gegenteiligen Eindrücke mancher Demonstranten erklärt er mit der Mischung aus Wassernebel und Pfefferspray, die in der Luft lag. Zudem erinnert er sich daran, einer der beiden Angeklagten habe mit Blick auf das Gedränge an den Absperrgittern gesagt, man müsse dringend Luft schaffen: „Wir wollen kein zweites Duisburg.“ Dort waren bei der Loveparade kurz zuvor 21 Menschen zu Tode gedrückt worden.

Ob die beiden Einsatzabschnittsleiter die zahlreichen, teils schweren Verletzungen unter den Demonstranten hätten bemerken müssen, dazu kann der Staffelführer nichts sagen. Er selbst, betont er immer wieder, habe nichts mitbekommen. „Der Auftrag war nie, gezielt auf irgendwelche Personen zu spritzen“, sagt der 44-Jährige. Erst gegen Ende des Einsatzes seien Gerüchte zu ihm durchgedrungen, es habe Schwerverletzte gegeben. Er habe daraufhin einen Sprecher der Stuttgarter Polizei gefragt. Der habe verneint. Daraufhin sei er nach fast 24-stündigem Einsatz am frühen Morgen ins Bett gegangen. Erst am nächsten Mittag habe er aus den Medien erfahren, was auf beiden Seiten alles passiert sei. Da habe er gedacht: „Ich habe einen anderen Einsatz erlebt.“

Allerdings einen, der von Anfang an gründlich schiefgelaufen ist. Eindrücklich schildert der 44-Jährige, wie die eigentliche Planung am Abend des Vortags über den Haufen geworfen wurde. Wie die Biberacher Staffel plötzlich mit vier statt zwei Wasserwerfern anrücken musste. Wie im Schlossgarten die zugesagten Wasserleitungen und Digitalfunkgeräte fehlten. Wie ein Blockierer um ein Haar ums Leben gekommen wäre, weil keine Begleitkräfte da gewesen sind, die ihn daran hindern konnten, sich unter einen Wasserwerfer zu legen. Wie massenhaft Demonstranten gekommen sind, aber keine Polizei. „Es herrschte ein wildes Durcheinander. Nichts hat funktioniert an diesem Tag“, sagt der Zeuge.

Das unterstreichen die Videobilder. Die werden wohl noch öfter zu sehen sein, wenn der Prozess nächste Woche weitergeht.