Stuttgart 21: Nach dem Wasserwerfer-Einsatz am 30. September 2010 - Leitende Beamte äußern sich erstmals zur Anklage der Staatsanwaltschaft.
Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft hat sie wegen fahrlässige Körperverletzung angeklagt. Die zwei Führungsbeamten, die 2010 im Schlossgarten Wasserwerfer gegen S-21-Gegner einsetzten, bestreiten das. Wann der Prozess beginnt, ist offen. Das Urteil dürfte in jedem Fall Konsequenzen weit über den Fall hinaus haben.
Die beiden Polizisten, die beim Wasserwerfer-Einsatz gegen S-21-Gegner im Herbst 2010 vermutlich die Schlüsselrolle spielten, haben bisher in der Öffentlichkeit geschwiegen. Nachdem sie die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor kurzem wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt angeklagt hat, äußern sie sich in unserer Zeitung zum ersten Mal. „Die in der Anklage erhobenen Vorwürfe belasten mich sehr; ich weise sie entschieden von mir“, sagt der 47-jährige Beamte M. „Der Vorwurf ist unbegründet“, sagt der 40-jährige Beamte F.
180 Menschen wurden teils schwer verletzt
Die Beamten wollen ihre vollen Namen nicht in der Zeitung nennen, aus Sorge um ihre Familien. In der Sache reden sie trotzdem Klartext. „Ich werde das nicht auf mir sitzen lassen“, betont F. Hier gehe es aber auch um prinzipielle Fragen der Polizeiarbeit. Zweieinhalb Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag – einer stundenlangen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten mit 180 Menschen teils schwer verletzten Menschen – wollen F. und M. die als Leiter des damals besonders umkämpften Einsatzabschnitts 3 Wasserwerfer einsetzten, manches gerade rücken. So, wie sie es sehen. „Mit der Anklage ergibt sich die Gelegenheit, die Fragen der Rechtmäßigkeit und die Verantwortlichkeiten des Einsatzes gerichtlich zu klären. Die Möglichkeit werden wir nutzen“, kündigt M. an.
Gegen F. wurde seit November 2011 ermittelt; gegen M. seit Anfang 2012. Die Staatsanwaltschaft begründet die Anklage damit, dass die Beschuldigten nicht eingegriffen hätten, als Wasserstöße und Wasserstrahlen mindestens neun Demonstranten im Kopfbereich trafen. Damit hätten F. und M., die für die Wasserwerfer-Truppen „Führungsverantwortung“ hatten, ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Die „ausdrückliche Maßgabe“ der Einsatzleitung, nur „Wasserregen“ gegen die Demonstranten einzusetzen, hätten die Angeklagten nicht an die Wasserwerfer weitergegeben, so die Staatsanwaltschaft. Gegen vier Beamte der Wasserwerferbesatzungen hat die Staatsanwaltschaft zudem Strafbefehle erlassen.
"Der Wasserwerfer ist laut Gesetz das mildeste polizeiliche Zwangsmittel"
Die Polizei hatte am 30. September 2010 den Auftrag, das erste Stuttgart-21-Baufeld im Park zu räumen. Doch der Großeinsatz mit weit über 1000 Beamten wurde gegen Mittag von rund 2000 Demonstranten blockiert. In der Situation bat F. die Einsatzleitung um die Freigabe der Zwangsmittel Schlagstock und Pfefferspray. Außerdem regte er an, einen Wasserwerfer auffahren zu lassen. Um 11.53 Uhr erteilten Polizeipräsident Siegfried Stumpf oder sein Stellvertreter – hier gehen die offiziellen Darstellungen auseinander – die Freigabe. Um 12.48 Uhr wurde erstmals einer von drei Wasserwerfern eingesetzt. Zunächst mit Wasserregen, später auch direkt gegen Personen.
„Der Wasserwerfer ist aber laut Gesetz das mildeste polizeiliche Zwangsmittel“, betont F. Außerdem streitet er ab, dass die Maßgabe, nur Wasserregen anzuwenden, so ausgesprochen wurde. Das wird eine der strittigen Fragen im Prozess sein. „Der Wasserwerfer war mild. Man hätte die Leute auch mit dem Schlagstock aus dem Park prügeln können, das wäre ungleich härter gewesen“, gibt ein Polizeibeamter zu bedenken, der den Einsatz mit gemacht hat. Andere, erfahrene Beamte betonen, dass die Einsatzleitung bei Freigabe von Zwangsmitteln „immer auch die Möglichkeit von Körperverletzungen mit in Kauf nimmt“.
Wann der Prozess stattfindet ist noch nicht absehbar
Um die Verantwortung der Einsatzleitung im Prozess zu klären, werden die Anwälte der Angeklagten aller Voraussicht nach den früheren Polizeipräsidenten als Zeugen hören wollen. Gegen Stumpf hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt geprüft, auf ein Verfahren aber am 15. Dezember 2011 verzichtet. Selbst innerhalb der Stuttgarter Polizei hält man es für nicht ausgeschlossen, dass Stumpf, der im Frühjahr 2012 in Ruhestand ging, im Prozess noch von der Zeugen- auf die Anklagebank wechseln muss.
Noch ist nicht absehbar, wann der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart stattfindet. Die Beteiligten rechnen damit frühestens in einigen Monaten. Doch schon jetzt sorgt das Verfahren bei der Polizei im Land, wo angeblich viele hinter den Kollegen F. und M. stehen, für Aufsehen. Es sei „ein Novum, dass gegen den Leiter eines Einsatzabschnitts strafrechtlich vorgegangen wird, weil in seinem Abschnitt etwas vorgefallen ist“, sagen Beamte. Bei einer Verurteilung könnte das bei den Kollegen in künftigen Einsätze Verunsicherung auslösen.
Das Urteil könnte auch weitere rechtliche Folgen haben: Das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG), das noch mehrere Klagen zur generellen Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes am 30. September vorliegen hat, will bei seiner ausstehenden Entscheidung die Verfahren F. und M. ausdrücklich berücksichtigen. Sollte der Einsatz laut VG nicht rechtmäßig gewesen sein, könnte das Land von verletzten Demonstranten umso leichter auf Schadenersatz verklagt werden.
Die beiden Polizisten, die beim Wasserwerfer-Einsatz gegen S-21-Gegner im Herbst 2010 vermutlich die Schlüsselrolle spielten, haben bisher in der Öffentlichkeit geschwiegen. Nachdem sie die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor kurzem wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt angeklagt hat, äußern sie sich in unserer Zeitung zum ersten Mal. „Die in der Anklage erhobenen Vorwürfe belasten mich sehr; ich weise sie entschieden von mir“, sagt der 47-jährige Beamte M. „Der Vorwurf ist unbegründet“, sagt der 40-jährige Beamte F.
180 Menschen wurden teils schwer verletzt
Die Beamten wollen ihre vollen Namen nicht in der Zeitung nennen, aus Sorge um ihre Familien. In der Sache reden sie trotzdem Klartext. „Ich werde das nicht auf mir sitzen lassen“, betont F. Hier gehe es aber auch um prinzipielle Fragen der Polizeiarbeit. Zweieinhalb Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag – einer stundenlangen Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten mit 180 Menschen teils schwer verletzten Menschen – wollen F. und M. die als Leiter des damals besonders umkämpften Einsatzabschnitts 3 Wasserwerfer einsetzten, manches gerade rücken. So, wie sie es sehen. „Mit der Anklage ergibt sich die Gelegenheit, die Fragen der Rechtmäßigkeit und die Verantwortlichkeiten des Einsatzes gerichtlich zu klären. Die Möglichkeit werden wir nutzen“, kündigt M. an.
Gegen F. wurde seit November 2011 ermittelt; gegen M. seit Anfang 2012. Die Staatsanwaltschaft begründet die Anklage damit, dass die Beschuldigten nicht eingegriffen hätten, als Wasserstöße und Wasserstrahlen mindestens neun Demonstranten im Kopfbereich trafen. Damit hätten F. und M., die für die Wasserwerfer-Truppen „Führungsverantwortung“ hatten, ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Die „ausdrückliche Maßgabe“ der Einsatzleitung, nur „Wasserregen“ gegen die Demonstranten einzusetzen, hätten die Angeklagten nicht an die Wasserwerfer weitergegeben, so die Staatsanwaltschaft. Gegen vier Beamte der Wasserwerferbesatzungen hat die Staatsanwaltschaft zudem Strafbefehle erlassen.
"Der Wasserwerfer ist laut Gesetz das mildeste polizeiliche Zwangsmittel"
Die Polizei hatte am 30. September 2010 den Auftrag, das erste Stuttgart-21-Baufeld im Park zu räumen. Doch der Großeinsatz mit weit über 1000 Beamten wurde gegen Mittag von rund 2000 Demonstranten blockiert. In der Situation bat F. die Einsatzleitung um die Freigabe der Zwangsmittel Schlagstock und Pfefferspray. Außerdem regte er an, einen Wasserwerfer auffahren zu lassen. Um 11.53 Uhr erteilten Polizeipräsident Siegfried Stumpf oder sein Stellvertreter – hier gehen die offiziellen Darstellungen auseinander – die Freigabe. Um 12.48 Uhr wurde erstmals einer von drei Wasserwerfern eingesetzt. Zunächst mit Wasserregen, später auch direkt gegen Personen.
„Der Wasserwerfer ist aber laut Gesetz das mildeste polizeiliche Zwangsmittel“, betont F. Außerdem streitet er ab, dass die Maßgabe, nur Wasserregen anzuwenden, so ausgesprochen wurde. Das wird eine der strittigen Fragen im Prozess sein. „Der Wasserwerfer war mild. Man hätte die Leute auch mit dem Schlagstock aus dem Park prügeln können, das wäre ungleich härter gewesen“, gibt ein Polizeibeamter zu bedenken, der den Einsatz mit gemacht hat. Andere, erfahrene Beamte betonen, dass die Einsatzleitung bei Freigabe von Zwangsmitteln „immer auch die Möglichkeit von Körperverletzungen mit in Kauf nimmt“.
Wann der Prozess stattfindet ist noch nicht absehbar
Um die Verantwortung der Einsatzleitung im Prozess zu klären, werden die Anwälte der Angeklagten aller Voraussicht nach den früheren Polizeipräsidenten als Zeugen hören wollen. Gegen Stumpf hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt geprüft, auf ein Verfahren aber am 15. Dezember 2011 verzichtet. Selbst innerhalb der Stuttgarter Polizei hält man es für nicht ausgeschlossen, dass Stumpf, der im Frühjahr 2012 in Ruhestand ging, im Prozess noch von der Zeugen- auf die Anklagebank wechseln muss.
Noch ist nicht absehbar, wann der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart stattfindet. Die Beteiligten rechnen damit frühestens in einigen Monaten. Doch schon jetzt sorgt das Verfahren bei der Polizei im Land, wo angeblich viele hinter den Kollegen F. und M. stehen, für Aufsehen. Es sei „ein Novum, dass gegen den Leiter eines Einsatzabschnitts strafrechtlich vorgegangen wird, weil in seinem Abschnitt etwas vorgefallen ist“, sagen Beamte. Bei einer Verurteilung könnte das bei den Kollegen in künftigen Einsätze Verunsicherung auslösen.
Das Urteil könnte auch weitere rechtliche Folgen haben: Das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG), das noch mehrere Klagen zur generellen Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes am 30. September vorliegen hat, will bei seiner ausstehenden Entscheidung die Verfahren F. und M. ausdrücklich berücksichtigen. Sollte der Einsatz laut VG nicht rechtmäßig gewesen sein, könnte das Land von verletzten Demonstranten umso leichter auf Schadenersatz verklagt werden.