Vom Spiel will kein Zuschauer was versäumen – und verkneift sich deshalb den Gang aufs Klo bis zur Halbzeitpause. Weil das alle so machen, ist der Andrang in diesen 15 Minuten gewaltig und der Wasserverbrauch signifikant höher.
Vom Spiel will kein Zuschauer was versäumen – und verkneift sich deshalb den Gang aufs Klo bis zur Halbzeitpause. Weil das alle so machen, ist der Andrang in diesen 15 Minuten gewaltig und der Wasserverbrauch signifikant höher.
Stuttgart - „Wo guckst du?“, lautet heute, einen Tag vor dem entscheidenden WM-Spiel der deutschen Nationalelf gegen die USA, die meist gestellte Frage. Auf der Theodor-Heuss-Straße? Am Hans-im-Glück-Brunnen? Am Schlossplatz bei der Alten Kanzlei oder lieber auf der Karlshöhe im Westen, wo einem die Stadt zu Füßen liegt?
Womöglich entscheidet sich diese Frage nicht an der Attraktivität des Standorts oder der Geschicklichkeit des Barkeepers am Zapfhahn, sondern an der Zahl der Toiletten. Denn eines weiß der Biertrinker: Nach dem ersten Glas setzt der Harndrang ein und ist nicht mehr zu bändigen.
Am vergangenen Samstag, als das Spiel der Deutschen Mannschaft gegen die Männer aus Ghana übertragen wurde, ist bei einigen Gästen die Sache fast in die Hose gegangen – wegen der langen Schlangen vor den Klos.
Der Biergarten Stuttgarter Schlossgarten überträgt zurzeit täglich zwei bis vier Spiele dieser Weltmeisterschaft auf zwei LED-Leinwänden. Rund 3000 Sitzplätze sind überdacht. Doch wenn Deutschland spielt, wie am vergangenen Samstag, „haben wir bis zu 4200 Gäste“, sagt Gastronomin und Chefin Sonja Merz.
Sie habe viel investiert, auch in die Versorgung mit Sanitäranlagen. „An drei verschiedenen Stellen stehen mehrere mobile Klohäuschen zusätzlich zu unseren stationären Toiletten“, sagt sie. Man habe die Vorgaben sogar „deutlich übererfüllt“. Auf eines hat Sonja Merz jedoch keinen Einfluss: „Alle wollen in den 15 Minuten Pause nach der ersten Halbzeit aufs Klo.“ Was das bei mehr als 4000 Gästen bedeutet, kann sich jeder ausmalen.
Zehn Euro müssen Gäste bezahlen, wenn sie ein Deutschland-Spiel im Merz’schen Biergarten anschauen wollen. Dafür erhalten sie wahlweise einen Liter Bier, einen Liter Softdrink oder ein Weißweinschorle vom Cannstatter Riesling, alles im Pappbecher. Damit will Sonja Merz verhindern, dass „Leute kommen, sich hinsetzen und mitgebrachte Flaschen auspacken“, deren Scherben später womöglich auf Boden und Gras verstreut sind. „Hinterher müssten wir den Flurschaden in Ordnung bringen“, sagt Merz. Vermutlich auch den an Absperrplanen und anderen Ecken: Etliche Gäste, seit dem ersten Getränk arg unter Druck, sollen ihrem inneren Drang in der Halbzeitpause gefolgt sein und Erleichterung in Blumenkübeln gesucht haben.
An der Planie am Schlossplatz bekommen die Gäste auf der Terrasse der Alten Kanzlei einen Stempel. „Sonst könnten sie ihren Platz gar nicht mehr verlassen ohne Angst haben zu müssen, dass er zwischenzeitlich von jemand anderem besetzt wird“, sagt Kerstin Schmitt von der Geschäftsleitung. Auch dort ist vor allem die Halbzeitpause der Zeitraum, in dem alle aufs Klo stürmen. „Obwohl wir für die Gäste zusätzlich die Toiletten der oberen Banketträume geöffnet haben, gibt es dann die größte Schlange.“
Die Fußballbegeisterung wächst mit jeder neuen Runde. „Die Leute überrennen uns“, sagt Kerstin Schmitt. „Für diesen Donnerstag und die Partie Deutschland-USA haben wir schon mehr als 600 Anmeldungen.“
Auf das Pinkelverhalten ihrer Gäste können weder Kerstin Schmitt noch Sonja Merz Einfluss nehmen. Das schafft nur König Fußball – was sich sogar mit Zahlen belegen lässt. „Der Wasserverbrauch korreliert mit den Spielzeiten und dem Spielverlauf“, sagt Jürgen Kaupp von der EnBW.
Während der Fußball-Europameisterschaft 2008 und dem Spiel Deutschland-Türkei am 26. Juli hatten die EnBW eine Analyse vorgenommen und, so Kaupp, „deutliche Peaks“ beim Wasserverbrauch entdeckt. Normal-Maß sind 4500 Kubikmeter pro Stunde. Als das Spiel um 20 Uhr begann, sank der Wasserverbrauch auf 3000 Kubikmeter und schnellte nach der ersten Halbzeit auf mehr als das Doppelte nach oben. „Eine ähnliche Größenordnung wie damals bestätigen mir die Kollegen aus dem Fachbereich auch für das Spiel gegen Ghana am vergangenen Samstag“, sagt Kaupp.
So groß die Not in der Halbzeit sein mag, eines wäre für gestandene Fans viel schlimmer: Dass sich die Bild- und Tonausfälle von 2008 wiederholen.