Noch wird das Brennstoffzellenauto Mirai bei Toyota nicht im industriellen Maßstab gefertigt. Das soll sich bald ändern.Foto: BloombergIn Fujisawa Smart Town Foto: Mayer-Kuckuk

Der Inselstaat setzt auf eine Technologie, die hierzulande stiefmütterlich behandelt wird und viele Kritiker hat. Spätestens zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio soll die neue Technik Fahrt aufgenommen haben.

Nagoya/Yokohama - Der Toyota Mirai entsteht Auto für Auto in Handarbeit. In einer eigenen Halle schraubt ein kleines Team von besonders geschulten Mitarbeitern jedes der Wasserstofffahrzeuge nach Kundenwünschen zusammen. Hier ein Mirai für Kalifornien mit dem Lenkrad auf der linken Seite, dort einer für Großbritannien mit dem Lenkrad rechts. „Das ist noch kein Massenprodukt in dem Sinne, wie wir sonst Autos bauen“, sagt Yoshikazu Tanaka. „Aber wir sehen hier den Anfang der Mobilität der Zukunft.“

Auf Tanakas Visitenkarte steht „Chefingenieur“, doch andere sagen: Er ist der Vater des Mirai – des ersten in Serie hergestellten Autos mit Brennstoffzellenantrieb. „Sauber fahrende Autos erhalten mit der Brennstoffzelle gleiche Reichweite wie bisher Benziner“, schwärmt Tanaka. „Das Tanken dauert dabei wie gewohnt nur wenige Minuten.“ Der Mirai soll daher einmal Urvater einer ganzen Reihe von kommerziell tragfähigen Wasserstoff-Produkten sein, die auch ohne Subventionen am Markt gute Gewinne abwerfen.

Japan arbeitet hart an der Wasserstoffzukunft. In einem milliardenschweren Kraftakt der Industriepolitik wollen Regierung und Großunternehmen schon in den kommenden zwei Jahrzehnten die Umstellung der Energiesysteme auf den sauberen Brennstoff herbeiführen. Es geht dabei nicht nur ums Fahren, sondern auch um Stromversorgung, Heizen und den übrigen Energiebedarf.

In anderen Ländern ist die Zukunft des Wasserstoffs als Energieträger umstritten

Deutschland fördert die Wasserstoffwirtschaft ebenfalls aus verschiedenen Töpfen, doch Experten vermissen eine Orientierung auf konkrete Ziele hin. „Im Vergleich zu der Konsequenz, mit der Japan sein Wasserstoff-Konzept verfolgt, fehlt in Deutschland der durchdachte Ansatz“, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Seiner Meinung nach ist Japan im Vergleich dazu „absolut auf dem richtigen Weg“.

Die Bündelung der japanischen Bemühungen auf den Wasserstoff ist dabei nicht selbstverständlich. In anderen Ländern ist dessen Zukunft als Energieträger umstritten. Die Erzeugung des Wasserstoffs kostet sehr viel Energie, und der ganze Prozess von der Stromerzeugung bis zur Nutzung ist vergleichsweise kompliziert. Rund 70 Prozent der Energie gehen verloren, bis das Auto rollt oder die Heizung warm wird. Bei direkter Nutzung der Elektrizität sind es weniger als 20 Prozent – zum Beispiel beim Laden der Batterie eines E-Autos. Das farb- und geruchlose Wasserstoffgas explodiert zudem leicht. Von einer „bekloppten Idee“ spricht daher der US-Elektroautounternehmer Elon Musk.

Wasserstoff sei vor allem als Zwischenspeicher für erneuerbare Energie von Wert

Doch japanischen Experten zufolge greift diese Kritik zu kurz. „Es geht um das Gesamtbild der Energieversorgung“, sagt Toshiki Shimizu, Leiter der Abteilung für intelligente Energiesysteme bei dem Elektro-Giganten Panasonic. Allein als Antriebsstoff für Autos, eine Art Benzin-Ersatz, wäre Wasserstoff tatsächlich nicht allzu sinnvoll. Wasserstoff ist für ihn vor allem als Zwischenspeicher für erneuerbare Energie von unschätzbarem Wert. Es kommt auf einige Prozent mehr oder weniger Wirkungsgrad nicht an, wenn sich dafür die Energie der besonders hellen und windigen Stunden des Monats einfangen lässt. „Erst im Kontext der Verbreitung neuer Energiequellen ist die Verwendung von Wasserstoff effektiv“, sagt Shimizu.

Den Panasonic-Berechnungen zufolge wird der Wasserstoff fast sofort ein konkurrenzfähiger Energieträger sein, wenn er in Japan ab ungefähr 2032 in großtechnische Produktion geht. „Die Verbraucher werden mitziehen, wenn die entsprechenden Produkte aufgrund höherer Stückzahlen günstiger zu bekommen sind“, glaubt Shimizu.

Sämtliche Häuser in der Mustersiedlung sind mit einer Brennstoffzelle ausgestattet

In der Mustersiedlung Fujisawa Smart Town in der Nähe des Hafens von Yokohama zeigt die Firma Panasonic, wie die Einbeziehung der Haushalte konkret aussieht: Sämtliche Häuser sind mit einer Brennstoffzelle ausgestattet. Diese ist etwas kleiner als ein Kühlschrank und außen an einer Seite des Hauses angebracht. Sie erzeugt Wärme und Strom vor Ort direkt aus Gasen – ohne normale Verbrennung. Es kommt heißes Wasser aus der Leitung, das Licht geht an, und im Winter wird die Heizung warm – alles dank des grauen Kastens. Mehr als 220 000 Haushalte verfügen bereits über solche Geräte. Langfristig ist eine flächendeckende Verbreitung geplant. Die Regierung schießt zur Installation der Zellen im Rahmen des Ene-Farm-Programms je nach Modell mit 450 bis 900 Euro zu.

Die japanischen Industriepläne sind langfristig angelegt und von Bürokraten und Wirtschaftsvertretern gemeinsam im Detail ausgeheckt. Premier Shinzo Abe hat mit der Vorlage seines Wasserstoff-Plans die Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Er hat als Ziel vorgegeben, bis 2040 eine Wirtschaftsform ganz ohne Kohlendioxidemissionen zu schaffen.

Bis 2020 sollen im Land 40 000 Wasserstoffautos herumfahren

Das erste Zwischenziel sind die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Bis dahin sollen im Land 40 000 Wasserstoffautos herumfahren. Sie sollen ihren Brennstoff an 160 Tankstellen aufnehmen können, das sind doppelt so viele wie bisher. Der Mirai erhält dafür großzügige Subventionen: Die Regierung schießt zum Kauf umgerechnet 23 000 Euro zu und halbiert damit fast den Kaufpreis. Auch die Stadt Tokio tut ihren Teil und baut die passenden Tankstellen. Japans Hauptstadt plant zudem die Umstellung des Busverkehrs auf Wasserstoff und testet derzeit die ersten Fahrzeuge.

Mit Wasserstoff lassen sich der japanischen Vision zufolge auch Züge und Flugzeuge antreiben. Toyota denkt zudem an einen Einsatz in Traktoren, Kühltransportern, großen Lkw für die Langstrecke oder Mähdreschern. Die Energiedichte eines Tanks voll Wasserstoff ist eben zwischen 100- und 200-mal größer als die einer Lithium-Ionen-Batterie. Oberhalb der mittleren Gewichtsklasse von Fahrzeugen fängt daher in den Zukunftsplänen von Toyota das Reich der Brennstoffzellen an.

Deutschland weiß dagegen noch nicht so recht, wie es sich die ferne Zukunft der Erneuerbaren vorstellen soll. „Hier fehlt die Durchbruchskultur“, kritisiert Mobilitätsforscher Knie. Er vermisst die sektorübergreifende Politik, wie die Spitzenbeamten sie in Tokio organisieren, um die Energiewende auf eine neue Stufe zu heben. Solange dieser Ansatz fehlt, werkeln die Wasserstoff-Fans in Deutschland ohne Aussicht auf Erfolg vor sich hin.