Irina Taculina in der Wasserbar im Quellenhof in Bad Ragaz Foto: Schwaibold

Sommeliers für Wein und Bier trifft man öfter in guten Restaurants. Weniger bekannt sind Wassersommeliers. Kein leichter Job, denn allein in Deutschland gibt es mehr als 500 Wassersorten

Bad Ragaz - Die Mineralwasserbar im Quellenhof in Bad Ragaz ist ihr Arbeitsplatz. Irina Taculina stellt drei Gläser vor ihre Gäste. Ins erste gießt sie ein hochmineralisiertes Mineralwasser, das viel Calcium (600 Milligramm pro Liter) und Sulfat enthält. Im zweiten Glas prickelt so gut wie nichts, denn Irina befüllt es mit stillem Wasser. Ins dritte Glas kommt ein Wasser mit extrem viel Natrium, mehr als 1000 Milligramm pro Liter.

Zum Start trinken ihre Gäste aus dem ersten Glas, denn „Kohlensäure öffnet die Geschmacksknospen“, sagt die 30-Jährige. Sie muss es wissen: Irina ist Wassersommelière. In einem Hotel in Lindau machte sie zunächst eine dreijährige Ausbildung zur Hotelfachfrau, ehe sie nach Bad Ragaz wechselte. Im Februar 2014 erhielt sie dann als erst zweite Wassersommelière der Schweiz an der Doemens-Genuss-Akademie in München ihr Diplom. Hunderte von Wassern hat sie während der zweiwöchigen Akademie-Zeit verkosten müssen. Ihr Fazit: „Ich bin ein Fan von deutschem und Schweizer Wasser!“ In diesen beiden Ländern gibt es strenge gesetzliche Vorgaben bei der Wasserherstellung, „und das zahlt sich bei der Qualität aus“, betont Irina.

Wie wenn Aspirin aufgelöst worden wäre

Wie aber testet die Sommelière das Wasser? Es unterscheidet sich kaum von der Vorgehensweise eines Weinsommeliers. Irina Taculina: „Man schaut sich die Farbe an, riecht und nimmt dann einen großen Schluck!“ Dabei sollte das Wasser über die gesamte Zunge fließen – um auch den Salzgehalt beurteilen zu können. Hinten auf der Zunge schmeckt es bitter, vorne salzig. Beschreiben lässt sich das Geschmacksempfinden am ehesten als trocken oder samtig. Wobei Irina das Wasser auch gerne mit Wein kombiniert, um die Geschmacksnerven noch stärker zu aktivieren. Also stellt sie ihren Gästen ein viertes Glas mit Chardonnay auf den Tresen.

Die Tester kommen schwer ins Staunen: Als sie nur das natriumreiche Wasser verkostet haben, klagt Besucherin Christel: „Das schmeckt ja, wie wenn eine Aspirin darin aufgelöst worden wäre.“ Folgt auf den Schluck Wasser allerdings ein Schluck des Weißweins, fällt das Urteil anders aus. „Der Wein explodiert jetzt im Gaumen. Das stark natriumhaltige Wasser würde sich bestens für ein Schorle eignen“, erklärt Irina ihren verblüfften Gästen. Und die machen noch weitere Entdeckungen: Das stille Wasser etwa neutralisiert den Wein. Wassertropfen wiederum bleiben nur an den Rändern der Gläser hängen, aus denen das kalziumreiche Mineralwasser getrunken wird.

Europas wasserreichste Thermalquelle

Und noch etwas lernt man bei dieser Entdeckungsreise: Wasser tut dem Körper gut. In Bad Ragaz hat dies im 16. Jahrhundert schon der Arzt und Alchemist Paracelsus festgestellt. Schließlich entspringt hier Europas wasserreichste Thermalquelle. Anfangs wurden die Kurgäste noch an Seilen in die Tamina-Schlucht ins 36,5 Grad warme Wasser hinabgelassen. Heute bringt eine vier Kilometer lange Leitung das Quellwasser nach Bad Ragaz – auch in den Quellenhof, wo es Irina neben 30 Mineralwassern ausschenkt.

Die Wirkung von mineralisiertem Wasser ist vielfältig. Menschen, die an Osteoporose leiden, hilft beispielsweise Calcium. Sulfat wiederum regt den Magen an „und ist somit gut bei Verstopfung“, sagt Irina und lacht. Und noch einen Rat hat sie parat: Nach drei Monaten sollte man das Wasser, das man üblicherweise trinkt, gegen ein anderes austauschen. „Damit auch andere Mineralstoffe in den Körper kommen!“

Ihre Leidenschaft fürs nasse Element hat sie schon als kleines Mädchen entdeckt, als sie an der Ostseeküste Lettlands aufwuchs. Für Wasser als Lifestyle-Lebensmittel hat sie dagegen, obwohl sie in einem Luxushotel arbeitet, wenig übrig. Bling, das extrem teure, in Flaschen mit Swarovski-Steinen abgefüllte und neunfach gefilterte US-Wässerchen aus den Bergen von Tennessee, kommt bei ihr nicht auf den Tisch. „Das ist doch nur Marketing. Was wirklich zählt, ist die Mineralisierung.“