Die Kläranlage Stuttgart-Mühlhausen soll um eine vierte Reinigungsstufe erweitert werden Foto: dpa

Mit Infografik - In Deutschland gelangen jedes Jahr mehrere hundert Tonnen Arzneimittel ins Abwasser. Ein Teil davon erreicht trotz Klärung das Grundwasser und selbst im Trinkwasser bleiben Rückstände. Deshalb investieren Land und Kommunen jetzt Millionen in neue Filteranlagen in den Klärwerken.

Stuttgart - Der Wirkstoff Diclofenac gegen Schmerzen und Entzündungen sowie das Antiepileptikum Carbamazepin sind die Spitzenreiter: Beide Substanzen hat die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) bei verschiedenen Messungen des Grundwassers und in Fließgewässern nachgewiesen. Immer wieder tauchen auch bestimmte Röntgenkontrastmittel auf. Bei Sonderuntersuchungen in ausgewählten Fließgewässern wurden 19 Arzneistoffe nachgewiesen. Und selbst im Trinkwasser, so bestätigt das baden-württembergische Umweltministerium, „wurden vereinzelt Rückstände von zwölf verschiedenen Arzneimittelwirkstoffen einschließlich Röntgenkontrastmittel nachgewiesen“. Die Konzentrationen lagen bei 0,01 bis 0,1 Mikrogramm (millionstel Gramm) pro Liter.

Das klingt nach wenig, aber ist es auch ungefährlich? Beim Trinkwasser existieren keine Grenzwerte für Arzneimittelwirkstoffe und Hormone, die vor allem über die Antibabypille immer häufiger in den Wasserkreislauf gelangen. Es gibt lediglich Orientierungs- und Leitwerte. „Bislang wurden in keiner Trinkwasserprobe aus Baden-Württemberg Konzentrationen an Arzneimittelrückständen über diesen Werten ermittelt“, erklärt das Ministerium. Dennoch klingeln bei den Behörden die Alarmglocken. Denn in anderen Bundesländern wie Berlin und Nordrhein-Westfalen haben die Medikamentenrückstände und Hormone bedenkliche Konzentrationen erreicht.

Kläranlagen

In der Grundwasserverordnung gibt es ebenfalls keine Grenzwerte für Medikamentenrückstände und Hormone. Dort liegen die Konzentrationen laut Ministerium in der Regel im Bereich von Nanogramm (milliardstel Gramm) pro Liter. Für den Menschen bestehe weder bei kurzzeitiger noch lebenslanger Aufnahme eine Gefährdung, meint das Ministerium.

Um konkretere Daten zu den Umweltauswirkungen zu bekommen, hat das Bundesforschungsministerium das Projekt SchussenAktivplus gestartet. Die Schussen ist ein Zufluss zum Bodensee. Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen überprüfen, inwieweit sich Spurenstoffe und Keime mit Hilfe verbesserter Technologien an Kläranlagen reduzieren lassen. Dazu untersuchen sie Fische und wirbellose Tiere, aber auch Pflanzen und Zellkultursysteme.

Der Bodensee selbst als größter Trinkwasserspeicher des Landes wird regelmäßig untersucht. Die LUBW betreibt außerdem ein Netz mit rund 2000 Grundwassermessstellen. Diese Daten werden ergänzt durch weitere Daten aus 2000 Messstellen der Wasserversorger. Die Fließgewässer werden an rund 160 Messstellen regelmäßig chemisch überwacht. Das Umweltministerium beurteilt demnach die Qualität des Grundwassers als gut, die Nitratkonzentrationen seien teilweise aber zu hoch. Bei den Flüssen werde an fünf Prozent der Messstellen die Umweltqualitätsnormen für einzelne Stoffe überschritten. Beim Trinkwasser kämen Grenzwertüberschreitungen nur punktuell in Einzelfällen vor.

Trotzdem fordert und fördert das Land jetzt den Ausbau der knapp 1000 kommunaler Kläranlagen um die sogenannte vierte Reinigungsstufe. Sie soll über Aktivkohle alle jene Spurenstoffe aus Medikamenten, Hormonen, Drogen, Röntgenkontrastmitteln und Pflanzenschutzmitteln herausfiltern, die über die bisherige Klärmethode nicht abgefangen werden können.

Bisher wurden dafür vom Land 45 Millionen Euro an Fördermitteln investiert. „Die 959 kommunalen Kläranlagen weisen schon jetzt eine hohe Reinigungsleistung auf“, sagt Umweltminister Franz Untersteller. „Um den von der Wasserrahmenrichtlinie geforderten guten Zustand der Gewässer überall im Land zu erreichen, müssen ausgewählte Kläranlagen ihre Reinigungsleistung jedoch noch weiter erhöhen“, sagt der Minister weiter.

Auf dem neusten Stand der Umwelttechnik befinden sich bereits die Kläranlagen in Böblingen/Sindelfingen, Mannheim, Albstadt, Lautlingen, Ravensburg, Kressbronn, Stockacher Aach, Emmingen-Liptingen und Hechingen. In Stuttgart-Büsnau, Ulm und Lahr ist die vierte Reinigungsstufe derzeit im Bau. Geplant ist sie auch in Stuttgart-Mühlhausen, Wendlingen, Laichingen, Karlsruhe und Freiburg. Vorrangig ausgebaut werden die Kläranlagen in Wasserschutzgebieten.

Hauptquelle für den Eintrag der Substanzen sind den Angaben zufolge die häuslichen Abwässer. Zehn bis 20 Prozent der Rückstände stammen aus Krankenhäusern. Und mit der alternden Gesellschaft könnten Wohn- und Pflegeheime als mögliche Großeinleiter von Arzneimittelresten zum Problem werden.