Das Stadtpalais führt mit seiner Sommeraktion vor, was fehlt: mehr Wasser für Stuttgart! Foto: ubo

In der aufgeheizten Stadt wird die Sehnsucht nach dem Meer immer größer. Die Welle am Stadtpalais ist ein Mega-Erfolg. Alle Surf-Termine sind bis zum Ende der Aktion ausgebucht. Stuttgart braucht mehr Platz am Wasser, fordert unser Kolumnist.

Stuttgart - Wenn es extrem heiß ist, fällt alles, was man tut, schwer. Nur das Träumen nicht. Rolf Pfander, der Mann des CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann, hat eine gute Idee. „Zum Sommerfest“, schlägt er vor, „sollte man Mineralwasser in den Eckensee pumpen.“ Auf dass alle hineintauchen und der Hitze entfliehen können. Ob das technisch machbar ist? Im Land der Tüftler und Denker auf jeden Fall! Nach dem Krieg wollte der Visionär Eugen Mertz, der das Hotel Marquardt kaufte und zu Stuttgarts größten Kinobetreibern zählte, aus der Ruine des Neuen Schlosses ein Kurhotel machen, dort eine Badehalle bauen und das Areal über lange Leitungen mit Prickelwasser aus den Cannstatter Quellen versorgen.

Die Plätze am kühlen Nass sind begehrt

Ein Mineralbad gibt es bisher nicht in der City – aber nun ein temporäres Meer! Manche meinten zunächst, was sich Museumschef Torben Giese mit seiner Ferienaktion „Stadt am Meer“ ausgedacht hat, sei ziemlich verwegen. Will er da einen Tümpel mit ein bisschen Planschwasser hinstellen? Mit seinem heftig kritisierten, weil unverständlichem Logo mag der Stadtpalais-Leiter baden gegangen sein. Die Wellen, die er mit dem Wasser vor dem einstigen Wohnhaus von König Wilhelm II. und in dessen Garten schlägt, sind hingegen schon jetzt ein Volltreffer. Die Plätze am kühlen Nass sind begehrt, von Familien mit Kindern ebenso wie von Hipstern, Bankern, Studenten, Meeresfreunden – alles trifft sich zum Relaxen unweit der Stadtautobahn. Vor allem abends drängen sich die Menschen am neuen Heimatmeer. Drinnen im Museum wird am Freitagabend dazu die Premiere des Hip-Hop-Films „Willkommen in der Mutterstadt“ von unserer Zeitung gefeiert.

Energieverbrauch wie bei 22 Haarföhns

Wer auf der künstlichen Welle reiten will, kann dies nur bei Voranmeldung. Sämtliche „Surf-Slots“ (die halbe Stunde kostet 15 Euro) waren kurz nach dem Start ausgebucht. Thilo Trefz, der Chef von Surf-Days, wie sich die aufblasbare Wellenreiterstation heißt, ist begeistert. Den vielfach geäußerten Wunsch, länger in Stuttgart zu bleiben und nicht bereits am Sonntagabend abzubauen, kann er nicht erfüllen. Kaiserslautern wartet auf ihn. Dort geht’s nächste Woche weiter. Die Kritik an hoher Energieverschwendung weist Trefz zurück. Die Anlage komme mit 40 Kubikmetern Wasser aus und verfüge über eine Stromleistung von nur 44 kW, was zwei Damenfußball-Mannschaften beim Benutzen der Haarföhns bräuchten.

In der Hitze dieses Sommers wird wesentlich weniger geföhnt. Unterm Strich fällt die Energiebilanz der Stadt nicht schlechter aus – und das bei dem großen Gewinn, den Stuttgart mit einem Streifen Meer hat. Die SWR-Reporterin Alexandra Gondorf wagt sogar den Sprung ins Wasser mit ihrem Blümchenkleid. Für die Sendung „Zur Sache Baden-Württemberg“ sammelt sie Kühltipps. Auf dem Surfbrett der Museumswelle steht die Journalistin, angeleitet vom Beachboy, der erklärt, sie solle sich vorstellen, beim Tiefschneefahren zu sein. Kurze und leichte Schwünge müsse sie machen, um nicht abgeworfen zu werden. Hinfallen macht aber nichts. Man fällt weich auf die Luft der aufgeblasenen Surfstation.

Alexandra Gondorf hat weitere Tipps gegen das Überhitzen: für die Nächte eine Wärmflasche mit Wasser in den Kühlschrank – und das Nachthemd gleich dazu.

Beim U-Bahn-Bau fand man Mineralwasser unterm Schlossplatz

Das Klima hat es mit Stuttgart wegen der Kessellage nicht gut gemeint. Bachläufe, die kühle Luft bringen könnten, gibt es im Tal nicht. Die Grünflächen reichen nicht aus, Frischluftschneisen sind zugebaut. Die Installation des Meers am Stadtpalais ist nicht nur ein toller Erholungsraum, sie ist zugleich Mahnung: Die Rathaus-Chefs müssen mehr fürs Klima tun, nicht nur von der „Stadt am Fluss“ reden, sondern wenigstens am Neckar mal damit anfangen.

Einst hat man den Visionär Mertz ausgelacht, der in der City ein Kurbad mithilfe von Wasserleitungen aus Cannstatt eröffnen wollte. So gesponnen war die Idee nicht, wie die Zeitungen später schrieben: Beim Bau der U-Bahn ist man unterm Schlossplatz auf eine Mineralquelle gestoßen. Und bei Breuninger gab es mal ein legendäres Mineralbad.