Putzig sind sie ja – dennoch werden Waschbären inzwischen zur Plage Foto: dpa

Mit interaktiver Grafik - Der Waschbär ist ein paarungsfreudiges Tierchen und besitzt keine natürlichen Feinde. Deshalb breitet er sich in Deutschland immer weiter aus – mit teils üblen Folgen.

Berlin - Mit ihrem katzenartigen Gesicht und ihrem buschigen, gestreiften Schwanz wirken sie irgendwie putzig. Aber sie können auch anders. Insbesondere in Berlin, Brandenburg und in der Gegend um Kassel sind Waschbären zu einer Plage geworden. Die Tierchen verwüsten Dachböden und Gartenlauben, wühlen auf der Suche nach Essensresten in Mülltonnen und schleichen durch offene Fenster oder Katzenklappen in Häuser, um in Küchen die Obstschale zu plündern. Und das ist längst nicht alles.

In der Uckermark sollen aggressive Waschbären 2014 vier Hunde getötet haben – behaupten zumindest brandenburgische Jäger. Der Sprecher des Deutschen Jagdverbands (DJV), Torsten Reinwald, relativiert das Ganze im Gespräch mit unserer Zeitung. Es gebe Attacken, Waschbären seien sicherlich wehrhafte Tiere. Aber: „Das sind Einzelfälle.“ Fakt ist allerdings: Der Waschbär, der seinen Namen bekommen hat, weil es so aussieht, als reibe er mit seinen vorderen Extremitäten die Nahrung immer sauber, bevor er sie isst, breitet sich immer weiter aus. Mittlerweile kommt er in knapp 12 000 von insgesamt rund 25 000 Jagdreviere vor. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Datenerhebung des Wildtier-Informationssystems der Länder. Zum Vergleich: 2006 tauchte das Tier lediglich in einem Viertel aller Jagdreviere auf. Ein weiteres Indiz für die starke Vermehrung von Waschbären ist die Zahl der erlegten Tiere: 96 162 Waschbären wurden in der Jagdsaison 2013/14 erschossen. 2006/07 waren es nur 24 700 gewesen.

Grafik: StN/Eric Isselée, Fotolia

Doch wie kommt es, dass der Waschbär in Deutschland für Mensch und Natur zur Plage wird? „Dieses Süppchen haben wir uns selbst eingebrockt“, sagt Julian Heiermann, Zoologe beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Berlin. Der aus Nordamerika stammende Waschbär gehört hierzulande zu den Neozoen, also zu den Tierarten, die durch den Menschen in ein Gebiet gebracht wurden und sich dort etabliert haben.

Zunächst waren die Kleinbären lediglich ein eingesperrter Pelzlieferant gewesen. Im Jahr 1934 sollen zwei Waschbär-Paare dann jedoch am hessischen Edersee ausgesetzt worden sein – eine Tat mit fatalen Folgen. Denn die nachtaktiven Tierchen gelten nicht nur als intelligent und anpassungsfähig, sie haben auf europäischem Boden keine natürlichen Feinde. Sie konnten sich dadurch rasant vermehren. Wie viele es von ihnen mittlerweile genau gibt, darüber können selbst Experten nur spekulieren, da die Tiere in der Regel versteckt leben. Das Problem ist, dass der Waschbär nicht nur einigen Menschen auf die Nerven geht. Er greift mancherorts auch in das empfindliche Ökosystem ein. Es sind vor allem zwei Aspekte, durch die er heimische Tierarten gefährdet: zum einen frisst der Allesfresser, der bis zu 20 Kilogramm schwer werden kann, Vogeleier, Frösche und kleine Reptilien wie die stark bedrohte Sumpfschildkröte. Zum anderen besetzt er Lebensräume und Brutplätze anderer Arten wie zum Beispiel die wenigen Baumhöhlen von Kleiber und Spechten oder Felswände, an denen Uhus brüten. „Deswegen ist es in sensiblen Gebieten im Sinne des Artenschutzes wichtig, dass man rigoros vorgeht. Das bedeutet: man fängt und erlegt die Waschbären“, sagt Reinwald.

Natur- und Tierschützer plädieren für Einzel-Schutzmaßnahmen wie etwa Stacheldraht an Bäumen anzubringen, um Vögel und deren Brutplätze zu schützen. „Das ist sehr aufwendig und alles andere als elegant, aber die einzige Möglichkeit“, sagt Nabu-Experte Heiermann, „durch Jagd ist das Waschbär-Problem nicht zu lösen.“

Auch in Baden-Württemberg gibt es nach Einschätzungen von Experten immer mehr Waschbären. „Die Zahl der Tiere nimmt zu“, sagt der Landeschef des Nabu, Andre Baumann, „es gibt allerdings keinen Grund zur Aufregung. Wir sind kein Waschbär-Land.“ Den ersten Waschbären im Südwesten gab es 1960 im Kreis Ludwigsburg. Er tritt seither immer öfter in Erscheinung – und manch einer landet auch in den Fängen der Jäger. In der Saison von April 2013 bis März 2014 kamen sie auf 721 erlegte Tiere – so viele wie nie zuvor. Von 1996 bis 2000 hatten sie jährlich weniger als 50 Waschbären erschossen. Trotz der wachsenden Zahl an erlegten Waschbären betont aber selbst Klaus Lachenmaier, Biologe beim Landesjagdverband: „Von einer Plage können wir in Baden-Württemberg nicht sprechen.“ Das Tier habe sich bisher „nur punktuell bemerkbar“ gemacht. Erst vor kurzem befreite die Tierrettung Mittlerer Neckar ein Exemplar aus einer misslichen Lage in einer Messehalle am Stuttgarter Flughafen – und setzte es wieder aus. Die Jäger werden es mit Magengrimmen aufgenommen haben.

Im Kampf gegen die wachsende Waschbär-Population ist die Jagd jedoch nur ein Mittel: „Am wichtigsten ist es, die Nahrungsgrundlage der Tiere so weit wie möglich zu reduzieren“, sagt Nabu-Landeschef Baumann. Das bedeutet: Bürger sollten den Essensreste nicht leicht zugänglich machen. Nur dann sei der Waschbär-Boom zu bremsen – wenn überhaupt.