Er sieht so niedlich aus, doch mancherorts ist der Waschbär zur Plage geworden. In Plüderhausen rückt man ihm nun auf den Pelz. Foto: dpa

KI, DNA und Kameras: In Plüderhausen wird gegen Waschbären geforscht. Warum "Latrinen" dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die Remstalgemeinde Plüderhausen, bisher eher bekannt für Beschaulichkeit und Blechblasmusik, ist heute Frontlinie im Kampf gegen einen maskierten Eindringling: den Waschbären. Seit März läuft dort ein ambitioniertes Forschungsprojekt, das dem Wildtiermanagement in Baden-Württemberg eine neue Richtung geben soll. Wie das Landratsamt mitteilt, wird dabei wissenschaftlich untersucht, wie, wo und wann die cleveren Kleinbären unterwegs sind – und wie man ihnen begegnen kann, ohne gleich zur Flinte greifen zu müssen.

 

Denn die Lage ist ernst: Vor allem im städtischen Raum wächst die Population der Waschbären rasant. Allein im Jagdjahr 2024/25 wurden laut Wildforschungsstelle fast 9200 Tiere erlegt – ein Anstieg von 45 Prozent im Vergleich zu zwei Jahren zuvor. Besonders betroffen: die Landkreise Rems-Murr, Ostalb und Schwäbisch Hall. Plüderhausen liegt mittendrin. Und mittendrin in einer Diskussion, die zwischen Pelz und Prävention, Vergrämung und Verantwortung mäandert.

Hightech gegen den Waschbären – mit KI und DNA

Unter Federführung der Wildforschungsstelle Baden-Württemberg wird das Pilotprojekt in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, dem Rems-Murr-Kreis, der Gemeinde Plüderhausen sowie ForstBW durchgeführt. Das Ziel: belastbare Daten, keine Bauchgefühle.

Wildtierkameras beobachten den Waschbären in Plüderhausen. Foto: imago images/teamwork

Zum Einsatz kommen genetische Analysen, KI-gestützte Auswertungen von Wildkameras und sogenannte Artverbreitungsmodellierungen. Letztere zeigen, wo sich der Waschbär am liebsten aufhält – und warum. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern um konkrete Handlungsempfehlungen: Was bringt wirklich etwas? Welche Maßnahme funktioniert im Siedlungsgebiet? Wie lassen sich Mensch-Wildtier-Konflikte verhindern, bevor die Tiere durch Wohnzimmer oder Kinderspielplätze trampeln?

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Plüderhausen: Brennpunkt im Kampf gegen Waschbärenplage

Warum gerade Plüderhausen? Der Ort ist kein Zufall. Plüderhausen gilt im Rems-Murr-Kreis als besonders betroffene Gemeinde: urbane Strukturen, ländliche Übergangszonen – und viele Beschwerden von Anwohnern. Dort, wo Dachrinnen zur Einflugschneise werden und Mülltonnen als Schlaraffenland locken, treffen Tier und Mensch auf engstem Raum aufeinander.

Waschbären sind Opportunisten. Allesfresser. Anpassungskünstler. Und genau das macht sie im Siedlungsraum so erfolgreich – und so problematisch. Sie hinterlassen Kot auf Spielplätzen, nisten sich unter Ziegeldächern ein, fressen Kois aus Teichen oder schleppen Krankheiten wie Staupe und Spulwürmer ein.

Waschbärkot als Goldstandard der Forschung

Kurios, aber wahr: Ein zentrales Element des Projekts ist die Sammlung von Waschbärkot – offiziell: Losung. Die Wildtierbeauftragte des Kreises, Hannah Held, bittet die Bevölkerung um Mithilfe. Wer frische, glänzend-feuchte Losung (maximal 24 Stunden alt) findet, kann sie melden. Besonders wertvoll sind Kotproben aus sogenannten Latrinen – regelmäßig genutzten Ablageplätzen, oft auf Holzstapeln oder Schuppen.

„Das mag ungewöhnlich klingen“, sagt Held, „aber jede Probe liefert uns genetische Informationen – über das einzelne Tier, seine Verwandtschaft, seine Wanderwege.“ So entsteht ein feines Netz an Daten, das zeigt, wie die Tiere sich in und um Plüderhausen bewegen und wo man sie wirksam fernhalten könnte.

Waschbärenfrust trotz Forschung: Anwohner fordern schnelle Lösungen

Die Stimmung in der Bevölkerung schwankt zwischen Interesse und Enttäuschung. Viele begrüßen die wissenschaftliche Herangehensweise – andere fragen sich, warum erst jetzt gehandelt wird. Denn während geforscht wird, zerlegen Waschbären weiterhin Dächer, reißen Müllsäcke auf und verunsichern Anwohner.

Der Frust ist groß, wie schon im Frühjahr bei einer Infoveranstaltung in der Staufenhalle deutlich wurde: Dort schilderten Bürgerinnen und Bürger, wie die Tiere in Gruppen über Grundstücke marodieren. Doch Maßnahmen kosten – und die Rechnung bleibt meist am Eigentümer hängen. Die FDP fordert Entschädigungen, die CDU die Verwertung der Felle. Derweil arbeiten Stadtjäger an der Front, mit teils gebundener Hand.

Koexistenz mit Regeln: Politische Konsequenz gefordert

Das Pilotprojekt könnte zum Vorbild werden – wenn es gelingt, konkrete, übertragbare Handlungsempfehlungen zu formulieren. Ziel ist nicht die Ausrottung, sondern das Management. „Koexistenz mit Regeln“, nennt es ein Sprecher des Ministeriums. Dafür braucht es neben Technologie und Forschung vor allem eins: politische Konsequenz.

Doch genau hier hakt es. Noch immer ist nicht klar, ob und wann die landesweite Schonzeit aufgehoben wird. Das wäre ein zentraler Wunsch vieler Jäger und Kommunen. Minister Peter Hauk kündigte im Sommer eine Änderung der Jagdverordnung an, doch geschehen ist bislang wenig. Die Waschbären warten nicht.

Plüderhausen: Brennpunkt der modernen Wildtierpolitik

Plüderhausen ist Versuchslabor, Brennpunkt und Hoffnung zugleich. Hier entscheidet sich, wie eine moderne Gesellschaft mit alten Naturprinzipien umgeht. Wegsehen hilft nicht mehr. Der Waschbär ist gekommen, um zu bleiben. Ob als Plage oder Paradebeispiel für kluge Wildtierpolitik, wird sich zeigen.

Wer also künftig beim Spaziergang durch den Garten auf eine glänzende Losung trifft, weiß: Das ist kein Ärgernis, das ist Wissenschaft. Und vielleicht der erste Schritt zu einem neuen Verhältnis zwischen Mensch und Mitbewohner Waschbär.