Eine Tierfreundin ruft die Polizei, um Hilfe für einen Waschbären zu bekommen. Stattdessen stirbt das Tier. Ob das sein musste, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
„Das war auch für Erwachsene nicht schön, das mit anzusehen. Mir kamen die Tränen. Und es waren Kinder dabei.“ Manuela Kondziella aus Kirchberg an der Murr (Rems-Murr-Kreis) ist immer noch entsetzt: Auf dem Hof eines Wohnheims für Geflüchtete wurde vor ein paar Tagen ein Waschbär getötet. Von der Polizei mit der Dienstwaffe erschossen. „Da hätte es doch eine andere Lösung geben müssen? Wer sagt denn, dass das Tier überhaupt krank war? Und dann vor den Augen der Kinder schießen – die vielleicht auch noch aus Kriegsgebieten kommen und durch Schüsse traumatisiert sind? Nein, das war nicht in Ordnung“, schimpft sie.
Es sei nach 23 Uhr gewesen, als sie auf die Unruhe in ihrer Nachbarschaft aufmerksam wurde. „Ein kleiner Junge rief: ,Da ist ein großes Tier’, da hab ich mich umgeschaut“, sagt die Anwohnerin. Die Unterkunft für Geflüchtete liegt am Rande der Ortschaft, an der Kalkwerkstraße. Sie ging hinüber, um nachzuschauen. Da bekam sie die Geschichte vom kleinen Waschbären mit. Er sei zuvor aus einer angrenzenden Werkstatt verscheucht worden.
Waschbär hat zusammengerollt im Hof geschlafen
Auch aus dem Wohnheim habe man ihn herausgejagt. Im Hof habe er sich dann zusammengerollt und sei eingeschlafen. „Ich glaube, er war ausgehungert, so sah er aus, entkräftet und noch ganz jung“, sagt die Nachbarin. Etwa drei bis vier Monate alt, schätzte sie. Denn Waschbären bekämen nur einmal im Jahr Nachwuchs, etwa im Mai, das komme hin. „Im August und September fangen die Kleinen an, sich selbstständig zu machen. Sicher hat er nach Futter gesucht.“
„Ich habe einen Karton über ihn gestülpt. Dann habe ich die Polizei gerufen. Das war ein Fehler – das würde ich in einem ähnlichen Fall nie wieder tun“, schildert Manuela Kondziella weiter. Denn sie habe gehofft, die Polizei habe alle Kontakte – zu Jägern, zu Wildtierauffangstationen, zum Tiernotdienst. Aber die Streife habe niemanden verständigt und keine Anstrengungen unternommen, jemanden zu finden, der etwas über den Gesundheitszustand des Tieres hätte sagen können. „Sie haben einfach beschlossen, ihn an Ort und Stelle zu töten.“ Dazu hätten sie das Tier mit einer Drahtschlinge, die an einem Stock befestigt gewesen sei, gefangen, „und über den Hof zu einem Gebüsch geschleift. Dort hat dann einer der Polizisten seine Waffe gezogen und ihn erschossen.“
Die Polizei bestätigt, dass die Streife das Tier getötet hat. Jedoch ordnet sie das Geschehen anders ein als die Nachbarin der Geflüchtetenunterkunft. „Waschbären sind Wildtiere und können daher unberechenbar reagieren. Sie gelten als gebietsfremde invasive Art und dürfen – sobald sie einmal gefangen wurden – nicht mehr in die freie Natur ausgewildert werden“, sagt ein Polizeisprecher vom zuständigen Polizeipräsidium in Aalen. Bei Waschbären handele es sich um jagbares Wild.
Tierschutzgesetz schützt Wirbeltiere vor unnötigem Leiden
Hinzu komme, dass Wirbeltiere gemäß dem Tierschutzgesetz nicht unnötig leiden dürfen. Das hätten die Kollegen in jener Nacht befürchtet. Auf sie machte das Tier den Eindruck, als sei es krank oder verletzt.
Die Polizei sei mit einem Notruf alarmiert worden, weil ein krankes oder verletztes Tier gefangen worden sei. Am Fundort hätten sich die Beamten einen Eindruck vom Tier verschafft und telefonisch Kontakt mit dem zuständigen Jäger aufgenommen. Der habe jedoch gesagt, dass es noch mehrere Stunden dauern würde, bis er da sein könne. Die Beamten hätten sich dann „aufgrund des eindeutig erkennbaren schlechten Zustandes des Tieres entschieden, dieses durch einen Schuss von seinem Leiden zu erlösen“, berichtet der Polizeisprecher. Auch die Wahrnehmung des Alters des Tieres sei eine andere gewesen als die der Tierfreundin: Sie schätzten den Waschbären als ein ausgewachsenes Tier ein.
Der Schuss sei nicht unvermittelt und vor den Augen der Bewohnerinnen und Bewohner abgegeben worden, widerspricht die Polizei der Darstellung der Anwohnerin. Man habe den Schuss angekündigt und die Anwesenden gebeten, ins Haus zu gehen. Mit dem Tier sei man auf eine Wiese gegangen, um es nicht im Blickfeld der Anwesenden zu töten. Insgesamt sei das Verhalten der Streife „absolut korrekt“ gewesen und „an den bestehenden Leitlinien und Empfehlungen ausgerichtet“.
Ein polizeilicher Schusswaffengebrauch gegen Tiere ist zulässig, wenn die Gefahr besteht, dass das Tier unter Qualen verenden würde und ein Jagdausübungsberechtigter oder Tierarzt nicht kurzfristig hinzugezogen werden kann. Daraus kann sich für die Polizei eine Pflicht zu einem unverzüglichen Handeln ergeben.