So sieht „Auf gut Schwäbisch“-Zeichner Peter Ruge die Zukunft des Dialekts Foto: Ruge

Der Tübinger Sprachforscher Hubert Klausmann bricht eine Lanze für die Mundart. Aus seiner Sicht ist sie so schnell nicht totzukriegen

Stuttgart - Schwäbisch ade? Nix do! Hubert Klausmann, renommierter Sprachforscher aus Tübingen, widerspricht der verbreiteten Litanei vom Verschwinden der Dialekte und erklärt, warum Schwäbisch eine Zukunft hat.

Herr Klausmann, Sie sind gebürtiger Freiburger. Was reizt Sie an Schwäbisch?
Ich finde die Erforschung von Dialekten generell sehr reizvoll. Wir untersuchen dabei ganz konkret, wie sich Sprache im Raum verändert. So bin ich von einer Sprachlandschaft zur anderen gewandert und habe festgestellt, dass wir Nord-Baden-Württemberg fast nichts wissen. Diese Lücke schließen wir gerade.
„Die Kinder sprechen keinen Dialekt mehr“, klagen ältere Dialektsprecher. Haben sie Recht?
Nein, das kann man nicht pauschal sagen. Natürlich treten die starken Lautungen in den Hintergrund, also das breite Schwäbisch. Es gibt aber viele Regionen, in denen noch ausgeprägt Dialekt gesprochen wird, auch von den Jungen. Unsere Mitarbeiterin Nina Kim Leonhard hat eine Untersuchung über Sprachgrenzen gemacht und festgestellt, dass Jüngere in vielen Gegenden einen starken Bezug zum Dialekt haben. Das ist oft gekoppelt an eine Art Heimatgefühl. Sie fühlen sich regional verwurzelt, unabhängig davon, dass sie gerne durch die Welt reisen. Beides geht gut zusammen.
Was Sie sagen, widerspricht dem gängigen Bild vom Aussterben der Dialekte.
Ja. Aber es ist so. Bei uns auf der Ostalb zum Beispiel ist Dialekt total normal. Auch die Kinder sprechen Mundart. Das hängt damit zusammen, dass das Vereinsleben auf dem Land häufig intakt ist. In vielen Ortschaften gehört es einfach dazu, dass man in der Blaskapelle ist, und sich auf Schwäbisch unterhält. Wir haben dazu mal 150 Ortsvorsteher im ganzen Bundesland befragt. Ergebnis: Die Allermeisten meldeten zurück, dass in ihren Orten noch Dialekt gesprochen wird.
Aber doch nicht nur?
Nein, es zeigt sich, dass viele Dialektsprecher keine Mühe haben, in die Standardsprache zu wechseln. Wir beobachten eine Zweisprachigkeit, teilweise sogar eine Drei- oder Viersprachigkeit innerhalb eines Sprachraums.
Vom Hardcore-Schwäbisch bis zum Honoratioren-Schwäbisch?
Genau. Das läuft häufig unbewusst ab. Drei Faktoren spielen da eine Rolle: Der Gesprächspartner, die Gesprächssituation und das Gesprächsthema. Die Menschen verhalten sich da sehr flexibel. Für uns Dialektforscher ist das sehr spannend. Wir schauen uns an, was sich in dem Bereich zwischen dem Basisdialekt und der Standardsprache abspielt. Dabei stellen wir fest, dass sich die Leute nicht nur Richtung Standardsprache orientieren, sondern auch horizontal.
Was meinen Sie damit?
Ein schönes Beispiel ist der Großraum Stuttgart. Der alte Infinitiv von „haben“ ist „hau“. Wenn man sich den Sprachatlas anschaut, erkennt man: Stuttgart liegt traditionell im „hau“-Raum. Das „i hau“ wird nun aber nicht von „ich habe“ abgelöst, sondern von „i han“. Dieser Ausdruck breitet sich über Stuttgart hinaus immer mehr aus. Solche regional akzeptierten Ausdrucksweisen bezeichnen wir als Regiolekt.
Wo ist der Dialekt außer auf der Ostalb besonders stabil?
Eigentlich in allen Landschaften, die von den größeren Zentren entfernt liegen. Problematisch ist es nur in größeren Städten und vor allem den Unistädten, wo viele Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen wohnen und die „Alteingesessenen“ in der absoluten Minderheit sind und oft nur noch fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dort kann sich kein Dialekt halten und dort wird dann diese Situation oft auf das ganze Land übertragen, was falsch ist.
Gibt es vielleicht sogar eine Art Renaissance des Dialekts?
Ich würde so sagen: Der Dialekt hat zuletzt stark an Ansehen gewonnen. Speziell in der Werbung gibt es einen Riesentrend hin zur Mundart. Das zeigt, dass der Dialekt zunehmend positiv besetzt ist. Diese Entwicklung hängt damit zusammen, dass das Regionale heute eine so große Rolle spielt – auch als eine Gegenbewegung zur Globalisierung.
Dialektsprecher müssen sich also nicht mehr verstecken?
Überhaupt nicht. Es halten sich aber hartnäckig Klischees und sprachliche Ideologien. Dazu gehören Aussagen wie „Im Norden spricht man das richtige Hochdeutsch“. Das ist völlig falsch. Wenn Sie der Radiosprecher mit „Tach“ (für Tag) begrüßt, gilt das als Hochdeutsch. In Wahrheit ist es norddeutscher Dialekt.
In der Schule galt Dialekt lange als ein Makel. Heute immer noch?
Die Phase, in der man glaubte, wenn man keinen Dialekt mehr spricht, wird man gscheit, ist glücklicherweise vorbei. Mir hat man seinerzeit versucht, das Alemannische auszutreiben, weil ich das „ch“ hinten gesprochen habe, also das Wort „ich“ zum Beispiel mit einem ch wie in ach. Ich musste immer sagen: „Ich spreche richtig“, um mir das Alemannische abzugewöhnen. In vielen Bereichen gibt es aber auch heute noch Formen von Diskriminierung.
Unabhängig davon spielen Jugendliche heute teils bewusst mit dem Dialekt.
In der Tat. Dass man sich per SMS oder per Whatsup eine Nachricht in Dialekt schickt, ist etwas ganz Neues. Der Dialekt erfährt in der Jugendsprache gegenwärtig eine Ausweitung seiner Funktion. Das ist ein spannendes Phänomen und zeigt die Vitalität der Mundart. Dadurch dass sie an die Standardsprache gekoppelt ist, kann sie daraus auch ständig neu schöpfen. Ein Beispiel: Die Gefriertruhe wird mal schnell zur „Gfriere“.
Bedeutet es für die Mundart etwas, wenn ein ausgewiesener Dialektsprecher und -befürworter wie Winfried Kretschmann an der Spitze des Landes steht?
So dialektal find ich Kretschmann gar nicht, er hat aber eine unglaublich authentische Aussprache. Er vermeidet das wohlüberlegte Standarddeutsch. Dadurch wirkt er natürlich. Personen wie er oder auch der Trainer des SC Freiburg, Christian Streich und Bundestrainer Jogi Löw sind positiv für die Sicherheit der Dialektsprecher.
Ist es möglich, Mundart zu fördern?
Ja, indem man Institutionen fördert, die sich damit beschäftigen. Zum Beispiel unsere. Das klingt etwas egoistisch, aber wer soll Auskunft über die Mundart geben und wer soll Vorurteile entkräften, wenn’s keine Fachleute gibt? Unser Ziel muss sein, in die Bevölkerung und in die Schulen hineinzuwirken und über Sprache aufzuklären. Sonst ist man dem Vorurteil ausgeliefert, dass die Norddeutschen richtig und die Schwaben falsch sprechen. Niemand spricht falsch. Das ist eine simple Erkenntnis, die sich in der Öffentlichkeit allerdings auch durchsetzen muss, sonst kommen Mundartsprecher immer wieder in Erklärungsnot.
Würden wir dieses Interview nicht im Jahre 2018, sondern im Jahr 2118 führen würden. Wüssten wir dann noch was Dialekt ist?
Dazu fällt mir die Schweiz ein. Dort hatte man vor 100 Jahren große Bedenken, ob in Zukunft noch Schweizerdeutsch gesprochen wird. Und heute? Die Entwicklung ist genau entgegengesetzt verlaufen. Die Befürchtungen sind in keiner Weise eingetreten. Wie sich Sprache entwickelt, lässt sich nie vorhersagen.