Wenn er nicht gerade als Friedensstifter unterwegs ist, sitzt Joachim Rücker gerne auf seinem Sofa und liest. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Joachim Rücker, der einstige Oberbürgermeister von Sindelfingen, war zuletzt Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Stabilität im Mittleren Osten. Der Botschafter außer Dienst hat sich im Juni 2017 als Berater selbstständig gemacht.

Stuttgart - Er liest gerade den neuesten Kriminalroman des amerikanischen Bestseller-Autors John Grisham „The Reckoning“, auf Deutsch: „Die Abrechnung“. Nein, abgerechnet hat Joachim Rücker mit der Welt noch längst nicht. Der 67-Jährige beschäftigt sich nach wie vor mit den Krisenregionen in Übersee und überlegt sich, wie er den Menschen helfen kann. Einige im Landkreis Böblingen werden sich noch daran erinnern, dass er als Sozialdemokrat von 1993 bis 2001 Oberbürgermeister von Sindelfingen war, im Kreistag saß und auch als Regionalrat fungierte. Seinen weiteren Werdegang als Diplomat und Friedensstifter war für die meisten zuletzt weitaus schwerer zu verfolgen.

Treffen mit dem Afrikabeauftragten der Bundesregierung

Seit etwa eineinhalb Jahren kann es sich Joachim Rücker auf seinem Sofa in der Olgastraße in Stuttgart etwas häufiger als früher gemütlich machen und seiner Lieblingsbeschäftigung nach gehen: Lesen. Dienstagsnachmittags holt er seine Enkel von der Kindertagesstätte ab und widmet sich dem Familiennachwuchs. Und an den Wochenenden beobachtet er die Besucher vor seinem Grundstück, die bei einer Führung eine ehemalige Schnapsfabrik besichtigen, in der Wohnungen entstanden sind.

Aber nicht immer lehnt sich Rücker in seinem Heim zurück und schaut zum Fenster hinaus. In dieser Woche wird er wieder einmal Günter Nooke in Berlin treffen, den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und Afrika-Beauftragten der Bundeskanzlerin im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es geht um das Migrationskonzept, das Joachim Rücker mit anderen internationalen Experten entwickelt hat.

Millionen Menschen auf der Flucht

Bis Anfang des Jahres 2017 war er Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Stabilitätspartnerschaft im Mittleren Osten gewesen. Im Frühsommer desselben Jahres, bereits als Botschafter außer Dienst, hatte ihn eine Anfrage erreicht, ob er zusammen mit anderen Experten ein Migrationskonzept für den damaligen österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erarbeiten könne.

Dieses Thema treibt ihn auch heute noch um. Dabei geht es vor allem um die Millionen von Menschen, die im südlichen Teil der Welt in große Städte und benachbarte Länder ziehen, auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Naturkatastrophen und extremer Armut. Sie landen meist in Slums, Siedlungen oder Flüchtlingslagern. Eigentlich wollen sie aber ankommen und nicht weiterziehen.

Lebensverhältnisse vor Ort erkundet

„Die Hilfsorganisationen können sich im besten Fall um Obdach, Kleidung und Gesundheit für die Geflohenen kümmern“, sagt Rücker, „für die Integration in den Ländern können sie aber wenig tun.“ Eigentlich spreche man ja immer nur von jenen, die über Einreisestaaten wie die Türkei nach Europa kommen wollten. Die Millionen gestrandeter Migranten in Afrika und anderswo kämen in der europäischen Diskussion meist gar nicht vor.

„Dies betrifft auch Staaten in Afrika wie Äthiopien“, sagt Rücker, der jüngst im Auftrag einer Unterorganisation der UN vor Ort war, um sich die Lebensverhältnisse der Vertriebenen vor Augen zu führen und Kontakte zu Vertretern der Politik und der Wirtschaft zu knüpfen. „Unser Konzept sieht vor, unterhalb der nationalen Ebene Inseln einer guten Regierungsführung zu schaffen. Wir nennen sie nachhaltige Entwicklungszonen, in Anlehnung an Sonderwirtschaftszonen“, sagt Rücker. Wenn dort öffentliche Geldgeber und vor allem private Unternehmen investierten, könnten alle profitieren. „Um zu helfen, benötigen alle eine Beschäftigung und die Kinder sollten in eine Schule gehen können“, sagt der einstige Präsident des UN-Menschenrechtsrates.

SPD-Bundestagskandidat im Kreis Böblingen

Zuvor war Rücker von 2014 bis 2016 Botschafter und Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der UN in Genf, nachdem er Chefinspektor des Auswärtigen Amts, Botschafter in Schweden und Sondergesandter der UN im Kosovo gewesen war und auch den wirtschaftlichen Wiederaufbau dort geleitet hatte. Rücker bereiste etliche Krisenherde der Welt, war auch in Syrien und im Irak. „Die Probleme können nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden. Um etwas zu erreichen, muss man aber vor allem versuchen, auf der lokaler Ebene etwas zu bewegen“, sagt der Mann, der 2013 für die SPD im Kreis Böblingen in den Bundestagswahlkampf zog und 23,7 Prozent der Erststimmen erhielt. „Ich habe das auch deshalb gerne gemacht, weil ich viele Leute wiedersehen konnte“, erklärt Rücker, der sich im Juni 2017 als Berater selbstständig machte. Seine guten Kontakte in Sindelfingen pflegt er nach wie vor. Bisweilen isst er freitagabends mit Freunden im Ratskeller.