Selfie trotz Taifun: Wer ein Bild von sich selbst verschickt, will damit eine bestimmte Botschaft transportieren. Foto: dpa

Selfies sind die Quickies unter den Selbstporträts. Passt die Szenerie und die Stimmung, wird mit dem Smartphone ein Foto von sich selbst geschossen. Wichtig dabei ist: Das Bild muss eine Botschaft haben, sagen die Autoren Christian Cohrs und Eva Oer.

Herr Cohrs, Sie haben alte Urlaubsfotos Ihrer Oma gefunden. Was unterscheidet diese alten Fotos von Ihren eigenen Urlaubsbildern?
Cohrs: Der faszinierende Unterschied dabei ist, dass meine 86-jährige Oma zwar auf fast allen Fotos drauf ist, aber sehr, sehr klein. Auf meinen Selfies ist es genau umgekehrt. Ich bin immer sehr groß abgebildet, dafür ist die Landschaft klein. Früher hat man im Urlaub Bilder gemacht, um sich zu erinnern. Heute macht man ein Selfie und schickt es statt einer Postkarte direkt über WhatsApp an seine Freunde, weil man zeigen will, wie es einem gerade geht – weniger, um zu dokumentieren, wo man war.
Der Oxford-Dictionary definiert das Selfie als „ein Foto von sich selbst, typischerweise mit einem Smartphone oder einer Webcam aufgenommen, und das über soziale Medien geteilt wird.“ Ist diese Definition noch zeitgemäß?
Cohrs: Wir würden sagen: Nein. Als wir mit den Recherchen zu dem Buch begannen, dachten wir, das Selfie ist eine klare Geschichte: Der Fotograf und der Fotografierte sind eine Person. Heute würden wir das Selfie nur noch als Foto definieren, mit dem man etwas über sich selber aussagen will. Das Foto kann auch ein Dritter gemacht haben. Hauptsache, das Bild enthält eine Botschaft, die der Fotografierte mit der Welt teilen will. Dafür gibt es ja ein berühmtes Beispiel.
Welches?
Cohrs: Im März wurde eine Maschine der Egypt Air gekidnappt und nach Zypern umgelenkt. Einer der Passagiere hat sich von der Stewardess mit dem Entführer fotografieren lassen und dieses so genannten Selfie noch aus der Maschine an seine Freunde verschickt. Im klassischen Sinne ist das kein Selfie. Interessanterweise hat dieser Punkt die Leser mehr empört als die Frage, ob es eine kluge Idee war, sich mit einem Entführer fotografieren zu lassen, von dem man dachte, er trage einen Sprengstoffgürtel.
In Ihrem Buch schreiben Sie, das Selfie sei das perfekte Symbol, um unsere Gegenwart abzubilden. Was verrät es uns denn über diese Zeit?
Cohrs: Vordergründig zeigt der Boom, dass sich die Menschen gerade ziemlich wichtig nehmen. Aber das ist nicht das Entscheidende. Ein Selfie zeigt symbolträchtig, wie Menschen miteinander verbunden sind über das Internet. Der Absender zeigt, wo er gerade unterwegs ist und mit wem. Und wie er sich fühlt.
Es gibt bestimmt 99 verschiedene Gründe, ein Selfie zu machen. Ist es da nicht vermessen, von der „Generation Selfie“ zu sprechen?
Cohrs: Die Frage ist, ob der Begriff nicht schon zu eng gefasst ist. Inzwischen hat fast jeder schon ein Selfie gemacht, vom Grundschüler bis zum Rentner. Sogar meine Eltern haben mir schon Selfies geschickt.

Oer: Der Begriff ist nicht trennscharf. Aber es fällt schon auf, wie geschickt sich Nutzer unter 30 Jahren inszenieren können. Wie sie sich hinsetzen, wie sie die Kamera halten, wie sie mit Hintergründen spielen.

Selfies verraten ja mehr darüber, wie wir gesehen werden wollen als darüber, wie wir wirklich sind. Sind das nur digitale Accessoires, oder haben Sie Sorge, dass da eine Generation von Blendern heranwächst?
Oer: Eine gewisse Eitelkeit kann man den Produzenten der Selfies nicht absprechen. Wir wollen aber nicht in den Chor derer einstimmen, die sagen, dass da eine Generation von Narzissten heranreift. Dieser Hype ist ja nicht krankhaft.
Dafür räumen Sie den Risiken und Nebenwirkungen aber viel Platz im Buch ein. Wissenschaftler warnen zum Beispiel davor, dass Selfies Gender-Klischees reproduzieren.
Oer: Das liegt in der Natur des Mediums. Man findet im Internet sehr viele Bilder, mit denen man sich vergleichen kann. Für Pubertierende ist es natürlich schwer, sich da abzugrenzen. Cohrs: Man kann es auch positiv sehen. Vielen Menschen gibt das Selfie erst die Gelegenheit, sich überhaupt zu zeigen. Vor der Erfindung des Internets war das ein Privileg von Frauenzeitschriften und anderen klassischen Medien.