Inés de Castro, die Leiterin des Stuttgarter Linden-Museum, sagt: „Die ethnologischen Museen befinden sich im Umbruch.“ Foto: Linden-Museum

Stuttgart statt Berlin: Inés de Castro hat das Angebot abgelehnt, die ethnologischen Sammlungen des Humboldt-Forums zu leiten. In Stuttgart, sagt die Chefin des Linden-Museums, könne sie etwas ganz Neues konzipieren.

Stuttgart - Sie hat das überaus attraktive Angebot in Berlin abgelehnt. Statt die Leitung ethnologischen Sammlungen des Humboldt-Forums zu übernehmen, will Inés de Castro als Direktorin des Linden-Museums in Stuttgart ein Konzept entwickeln für ein neues ethnologisches Museum, das kritischer mit seiner eigenen Geschichte umgeht und neue Formen und Präsentation erprobt. Trotzdem werden noch viele Jahre ins Land gehen, bis der geplante Neubau tatsächlich steht.

Frau de Castro, man hätte Sie gern ans Humboldt-Forum geholt, Sie haben abgelehnt. Das wirft kein gutes Licht auf das Berliner Prestige-Projekt.
Es wirft ein sehr gutes Licht auf Stuttgart. Ich habe mich für das Linden-Museum entschieden, weil hier die Gestaltungsmöglichkeiten sehr groß sind. Ich hätte mir für das Humboldt-Forum gewünscht, dass in dieser Struktur die Bedeutung der Museen mehr herausgestellt wird. Dafür habe ich sehr gestritten. Hier habe ich dagegen gute Unterstützung von Stadt und Land, ein gutes Team und viel Raum für eigenverantwortliches Gestalten. Das spricht für mich für Stuttgart.
Die Erleichterung ist bei Stadt und Land in jedem Fall groß – und die Staatssekretärin hat erklärt, man wolle das Linden-Museum nun weiterentwickeln. Das klingt hoffnungsvoll und trotzdem sehr vage.
Zunächst freue ich mich sehr, dass meine Entscheidung, hier zu bleiben, so positiv aufgenommen wurde. Das ist eine große Anerkennung für unsere Arbeit. Stadt und Land haben sich jetzt darauf verständigt, eine Neukonzeption und einen Neubau zu forcieren. Dass man den eher mittelfristig umsetzen kann, ist klar.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Es muss zunächst über ein geeignetes Grundstück entschieden werden, auf dem das neue Linden-Museum einen Platz haben könnte. Wir selbst bräuchten für eine Neukonzeption sicher fünf Jahre, weil wir etwas ganz Neues machen wollen. Unsere mittelfristige Perspektive ist zehn Jahre.
Was würde ein neues Linden-Museum denn ausmachen?
Die ethnologischen Museen befinden sich im Umbruch, es gibt viele Neubauten in ganz Europa, die spannende Ansätze haben. Wir haben gerade von der Kulturstiftung des Bundes ein großes Projekt bewilligt bekommen, bei dem wir neue Formen der Partizipation und Präsentation ausprobieren können. Ein Augenmerk wird sicherlich auch darauf liegen, uns als Institution kritischer zu betrachten, uns mit unserer Geschichte und dem Erbe der Kolonialzeit zu befassen.
Also damit, unter welchen Umständen die Objekte in Ihre Sammlung gekommen sind?
Provenienzforschung ist eine wichtige Basis, aber wir wollen die Kolonialzeit nicht nur historisch betrachten, sondern auch schauen, welche Auswirkungen noch heute existieren, welche Formen von Stereotypen, Rassismus oder ungleichen Machtstrukturen. Uns ist wichtig, den zeitgenössischen Bezug nicht aus dem Auge zu verlieren und dauerhafte Dialoge mit Vertretern aus der Stadtgesellschaft und den „Herkunftsgesellschaften“ zu führen – und dadurch die Interpretation, die bislang oft in westlicher Hand lag, in Frage zu stellen.
Sie geben freiwillig Ihre Autorität und Deutungshoheit auf?
Ja, wir wollen die Meinung, dass ein Museum ein objektiver Wissensvermittler ist, durchbrechen und das Museum demokratisieren. Durch die Neukonzeption hat man die Chance, die Grenzen des Wir und des Andersseins neu zu bewerten. Als das Museum im Zuge der Kolonialzeit entstand, grenzte sich Europa vom Rest der Welt klar ab. Heute würden wir so ein Haus nicht mehr in dieser Form konzipieren.
Was wird die Besucher konkret erwarten?
Als Erstes wird auffallen, dass nicht nur eine Perspektive vermittelt wird zu einem Objekt oder einer Situation, sondern mehrere. Das heißt, dass auch ein Diskussionsprozess angestoßen wird.
Keine eindeutige Wahrheit mehr?
Nein. Da muss man sich vielleicht daran gewöhnen. Wir möchten thematisieren wie die Objekte hier hergekommen sind und zeitgenössische Bezüge und auch unsere eigene Geschichte berücksichtigen. In unserer neuen Afrika-Dauerausstellung werden wir zum Beispiel auch fragen, wo Afrika in Stuttgart ist.
Wird das Berufsbild des Ethnologen damit nicht von Grund auf verändert?
Wir müssen im Museum schon immer sehr schnell auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Museen sind flexible Gebilde, auch wenn man sich manchmal wünscht, dass sie noch flexibler wären.
Die Politik spricht immer wieder davon, das Linden-Museum zu einem Haus der Kultur zu machen – verbunden mit der vagen Hoffnung, dass dort die Probleme der multikulturellen Gesellschaft gelöst werden.
Wir verhandeln die Hauptthemen der Menschheit, wie Migration, Globalisierung, Identität, Gesellschaft, Religion. Aber wir können nur Fragen stellen und zur Reflexion einladen, neue Sichtweisen aufzeigen. Lösungen oder gar die „Wahrheit“ über andere Kulturen möchten wir künftig nicht bieten – wessen Wahrheit? könnte man hier fragen.
Das sehen einige Ihrer Kollegen vermutlich anders. Gibt es da Fronten? Widerstände?
Ich glaube, es sind keine Fronten, sondern jedes Haus muss seinen eigenen Weg suchen. Es gibt nicht eine einzelne Lösung, wie das ethnologische Museum künftig aussehen soll.