Streikführer: IG-Metall-Chef Jörg Hofmann (links) und Bezirksleiter Roman Zitzelsberger verkünden die Konsequenzen nach dem Abbruch der Tarifverhandlungen. Foto: dpa

Der Abbruch der Tarifverhandlungen in Stuttgart offenbart die aktuellen Positionen beider Seiten: Demnach will die IG Metall beim Lohn voll zulangen. Zugleich geht sie bei der Arbeitszeit deutlich auf die Arbeitgeber zu, um die befristete Teilzeit durchzusetzen.

Stuttgart - Sie schienen auf einem guten Weg zu sein. So kam der Abbruch der Tarifverhandlungen nach 16-stündigem Poker eher überraschend. Danach fielen die Spitzenvertreter von IG Metall und Arbeitgeberverbänden mit aller Wortgewalt übereinander her. Ein Überblick.

Was plant die IG Metall als nächstes? Die Gewerkschaft will von Mittwoch bis Freitag dieser Woche erstmals in ihrer Geschichte die 24-Stunden-Warnstreiks einsetzen. Vorausgesetzt werden positive Mitgliedervoten am Montag und Dienstag in den ausgewählten Betrieben – entweder in Mitgliederversammlungen oder über die Vertrauensleute. Die Vorbereitungen dazu sind längst getroffen. IG-Metall-Mitglieder erhalten dann anders als bei den kurzen Warnstreiks eine finanzielle Unterstützungsleistung von der Gewerkschaft. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger sprach von etwa 70 Betrieben in Baden-Württemberg – bundesweit sind in allen Tarifgebieten insgesamt 250 Betriebe „querbeet durch alle Branchen und Betriebsgrößen“ tangiert.

Kommt auch der Arbeitskampf? Die von IG-Metall-Chef Jörg Hofmann noch am Freitag parallel zu den Tagesstreiks angedrohte Urabstimmung „in einigen Tarifgebieten“ wird es nicht geben. Der Vorstand hat aber die Tarifbezirke angewiesen, Urabstimmungen in der Fläche vorzubereiten – für den Fall, dass sich nach den 24-Stunden-Streiks keine Einigung am Verhandlungstisch abzeichnet. Voraussetzung für die Urabstimmung wäre, die Verhandlungen formal für gescheitert zu erklären. Dies ist bisher nicht passiert.

Wie wollen die Arbeitgeber vorgehen? Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger kündigte an, dass die Arbeitgeberverbände am Montag Klage gegen die „rechtswidrigen Streiks“ einreichen werden. Der Vorwurf der Unrechtmäßigkeit gilt einem Teil der Arbeitszeitforderung – den Entgeltzuschuss für Beschäftigte, die in Teilzeit gehen, um Kinder oder ältere Angehörige zu pflegen. Dieser Teillohnausgleich wäre eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Teilzeitbeschäftigten, so die Arbeitgeber, die sich für die juristische Schlacht mit umfangreichen Gutachten renommierter Rechtsexperten munitioniert haben.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann rechnet freilich nicht damit, „dass wir mit einstweiligen Verfügungen traktiert werden“. Er sehe dem auch gelassen entgegen, „weil wir unsere Rechtsposition gesichert sehen“. Die Arbeitgeber könnten zwei Sachen durchaus bewerten: einerseits die „Haltbarkeit ihrer eigenen rechtlichen Argumentation“, so Hofmann mit Blick auf die hohen rechtlichen Hürden, die ein Arbeitsgericht für eine einstweilige Verfügung setzt. „Blamieren will sich keiner.“ Wenn zwei Tarifparteien mit der Verantwortung für Millionen von Beschäftigten „meinen, sie können inhaltliche Konflikte vor den Gerichten austragen, dann ist das ein Armutszeugnis“, betonte er. „Mit dem Firlefanz von Rechtsgutachten ist jetzt Schluss.“

Wann haben neue Treffen eine Chance? Es sei „notwendig, den Gesprächsfaden zeitnah noch mal aufzunehmen“, sagte Zitzelsberger – dies aber erst nach den ganztägigen Streiks. „Ich hoffe, dass wir bis nächstes Wochenende wieder am Verhandlungstisch sitzen“, äußerte sein Vorsitzender Hofmann später. Südwestmetall-Chef Stefan Wolf sieht einen Verlust an Vertrauen. „Das muss man erst mal zurückgewinnen.“ Die Eiszeit bricht nicht an: „Wir werden natürlich im Dialog bleiben“, betonte Dulger. Man brauche „einige Tage, um die Enttäuschung zu verdauen“. Er wolle „keine Zweifel an unserer Stärke lassen, Streiks zu ertragen, obwohl sie unnötigen volkswirtschaftlichen Schaden darstellen“.

Wie umstritten ist mittlerweile die Lohnhöhe? Die IG Metall hat letztendlich eine Lohnerhöhung im Gesamtvolumen von acht Prozent für 27 Monate bis Ende März 2020 verlangt – allein 4,5 Prozent in der ersten Stufe. Bei dieser langen Laufzeit lägen hohe Zahlen „in der Natur der Sache“, rechtfertigte Zitzelsberger die stattlichen Wünsche. Die Arbeitgeber haben bisher eine Anhebung im Gesamtvolumen von 6,8 Prozent angeboten, wollten aber nicht sagen, wie ihre Offerte im Detail aussieht. Hofmann kritisierte, das Angebot liege von den ökonomischen Möglichkeiten der Branche weit entfernt. „Geiz hat vor Vernunft gesiegt.“ Auf jeweils ein Jahr gerechnet ergebe sich dabei über die Laufzeit hinweg eine Lohnsteigerung von knapp drei Prozent. „Die Erwartungshaltung der Mitglieder wird nicht kleiner werden“, warnte er vor weiter gehenden Wünschen.

Warum hat die IG Metall abgebrochen? Hofmann schilderte, dass die IG Metall den Kontrahenten bei der Arbeitszeit weit entgegengekommen sei. Man sei zu einer „deutlichen Ausweitung der Möglichkeiten von Arbeitgeberflexibilität“ und der „wirksamen Begrenzung von Betriebsratsmitbestimmung“ bereit gewesen. Die Gegenseite hätte den Vorschlag „vom Tisch gewischt“. Sie habe „ständig nachjustiert und eine Verhandlungslösung blockiert“. Es habe „so gut wie kein konstruktives Angebot gegeben in dem Sinne, wie man die Problemlagen lösen kann“, monierte Zitzelsberger. Man könne sich „bis zur Unendlichkeit in Trippelschritten, Rückwärts- und Seitwärtsschritten an einen Kompromiss heranrobben“. Aber irgendwann müsse es Klarheit geben, was geht. Somit hat die IG Metall am Samstagmorgen einen letzten Lösungsvorschlag gemacht und weitere Kompromisse dazu strikt ausgeschlossen.

Was halten die Arbeitgeber dagegen? Südwestmetall-Chef Stefan Wolf gibt den Schwarzen Peter zurück: Die IG Metall habe immer wieder neue Modelle präsentiert, und „jede weitere Idee hat den Preis nach oben getrieben“. Zum Beispiel hätte sie unvermittelt freie Tage als Geschenk der Arbeitgeber verlangt. „Die Gewerkschaft hat viel unternommen, um eine Lösung zu verhindern“, betonte Dachverbandschef Dulger. „Ganz zum Schluss ist sie mit unerfüllbaren Nachforderungen und Ultimaten gekommen, was unter Tarifpartnern nur als Affront gewertet werden kann.“ Folglich habe die IG Metall „mehr Interesse an Streiks als am Tarifabschluss“.

Was ist der größte Knackpunkt? Der neben dem Entgelt umstrittenste Punkt ist der geforderte Zuschuss für bestimmte Gruppen, die ihre Arbeitszeit reduzieren. Dazu hat die IG Metall ein Alternativmodell vorgelegt, wonach ein Teil der Lohnerhöhung „in Form eines erweiterten zusätzlichen Urlaubsgeldes“ gewährt werden soll. Der Schichtarbeiter oder der Beschäftigte mit Kindern unter 14 Jahren oder pflegebedürftigen Angehörigen hätte dann die Möglichkeit, statt Geld freie Tage als sogenannte Zeitbausteine zu nehmen. Die Arbeitgeber sollten da noch „ein paar freie Tage obendrauf setzen“, sagte Zitzelsberger. Die Gegenseite habe das Modell zunächst positiv aufgenommen. „Das vermeintliche Thema der Diskriminierung wäre final beantwortet gewesen“, denn alle Mitarbeiter würden diese Form des Urlaubsgeldes bekommen. Doch dann hätten die Arbeitgeber „immer neue Ecken und Kanten entdeckt“.

Der Südwestmetall-Chef wiederum beklagte, dass die Gewerkschaft den Kreis der Anspruchsberechtigten immer weiter ausgedehnt hätte, „so dass das entfallende Arbeitsvolumen immer weiter gestiegen wäre“. Dies, so Wolf, „ist absolut maßlos und war für uns nicht akzeptabel“.