500 Demonstranten aus ganz Baden-Württemberg zogen am Montagvormittag vom Verdi-Haus auf den Marktplatz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Warnstreik im Öffentlichen Dienst hat am Montag auch die städtischen Kitas in Stuttgart getroffen. Der Großteil der Einrichtungen blieb zu. Die Erzieher hielten bei einer Kundgebung mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg.

Stuttgart - Wegen eines ganztägigen Warnstreiks des Jugendamts sind die städtischen Kindertagesstätten am Montag geschlossen geblieben. 151 der 183 Kitas boten keine Betreuung an. Notgruppen wurden keine eingerichtet. Auch an diesem Dienstag bleiben einige Kitas in Bad Cannstatt und den Neckarvororten bis 10 Uhr zu. Zum Streik hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgerufen. Nach einer morgendlichen Versammlung im Willi-Bleicher-Haus zogen ungefähr 500 Demonstranten zum Marktplatz, auf dem um 12 Uhr eine Abschlusskundgebung stattfand. Der Warnstreik bildete den Auftakt einer ganzen Streik-Aktionswoche des Verdi-Bezirks Stuttgart, an der sich mehrere Ämter der Landeshauptstadt sowie Städte und Gemeinden in den Kreisen Ludwigsburg und Rems-Murr beteiligen.

Über die Frage, warum er demonstriert, muss Marcel Konjevic nicht lang nachdenken: „Damit die Kolleginnen und Kollegen im Erziehungsbereich und allgemein im sozialen Bereich besser bezahlt werden. Man verdient dort einfach viel zu wenig“, sagt er. Der 30-jährige arbeitet als Erzieher in einem Schülerhaus in Degerloch. Der Beruf mache ihm zwar großen Spaß, die Bezahlung bereitet ihm aber große Sorgen. „Jetzt geht es noch. Aber wenn man eine Familie gründen will, reicht es hinten und vorne nicht“ so Konjevic.

Erzieher klagen über hohe Belastung

Die Forderungen der Gewerkschaft Verdi findet er deshalb gerecht: sechs Prozent mehr Gehalt für Angestellte im öffentlichen Dienst, 200 Euro mehr sollen es nach Vorstellungen von Verdi sein. Geld spiele eine große Rolle, genauso wichtig sei jedoch die damit verbundene Wertschätzung. Im Vergleich zu anderen Berufszweigen sei man unterbezahlt, so Konjevic.

Die Arbeitgeber haben in bisher zwei Verhandlungsrunden kein Angebot vorgelegt. Am 15. und 16. April will man sich in Potsdam wieder zusammensetzen.

Um Wertschätzung geht es auch Jennifer Kahle. Anders als ihr Kollege hat die 36-jährige 17 Berufsjahre als Erzieherin auf dem Buckel. „Wir betreuen das höchste Gut der Gesellschaft und tragen eine große Verantwortung“, gibt sie zu bedenken. Man sei ständig gefordert. Die Belastung sei hoch, höher als die in Bürojobs. Außerdem sei das Geld angesichts von Mieten und Lebenshaltungskosten in Stuttgart immer knapp. „Leben kann man vielleicht gerade noch davon, aber etwas Eigenes kaufen ist nicht drin“, sagt Kahle. Da ändere auch die freiwillige Großstadtzulage der Stadt („Tarif plus“) von 100 Euro wenig, deren Laufzeit zwar im aktuellen Doppeletat noch einmal verlängert wurde, vom Jahr 2020 an aber schrittweise sinken und dann abgeschafft werden soll.

Kritik an Hinhaltetaktik der Arbeitgeber

Noch weniger als Erzieherinnen können Azubis bei der Stadt in Stuttgart von ihrem Gehalt leben. Eine der Hauptforderungen von Verdi besteht darin, es zu erhöhen. Richtig so, findet Sebastian Höß. Der 23-jährige hat seine Ausbildung abgeschlossen und arbeitet seit September im Schülerhaus der Jakobsschule. Mit seinem Azubi-Gehalt in Stuttgart auszukommen sei ihm sehr schwergefallen. Zumal es den Anforderungen nicht gerecht werde, die der Beruf an Auszubildende stellt: „Wegen des grassierenden Personalmangels werden Azubis oft ins kalte Wasser geworfen und tragen die gleiche Verantwortung wie die Erzieher“, sagt Höß. Den Großteil der Tageszeit verbrächten sie mit den Kindern, Einfluss und Verantwortung seien erheblich. Das Gehalt müsse sich an dem von Lehrern orientieren, findet er.

Die 53-jährige Erzieherin Claudia Franzin arbeitet wie Höß im Schülerhaus der Jakobschule. „Der Beruf gehört aufgewertet und den Lehrern gleichgestellt.“ Denn die Kinder heute seien anders als die vor 20 Jahren. „Das Sozialverhalten ist anders, die soziale Kompetenz hat abgenommen, die Belastung ist gestiegen“, so Franzin, die den Beruf seit 1989 ausübt.Nach den stockenden Ergebnissen der zweiten Runde der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst vergangene Woche in Potsdam will Verdi durch die Streikwelle größeren Druck auf die Arbeitgeber ausüben. „Die Arbeitgeber fahren eine Hinhaltetaktik. Das verärgert alle und ist angesichts der guten Kassenlage unnötig“, so der Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart, Cuno Brune-Hägele. Man hofft auf die nächsten Verhandlungen Mitte April.

Kritik am Warnstreik kam vom Stuttgarter Gesamtelternbeirat der städtischen Kindertageseinrichtungen, Horte und Schülerhäuser. In einem Brief unterstützt der Beirat die Forderung nach mehr Wertschätzung und besserer Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern, wirft Verdi aber vor, den Kampf auf dem Rücken von Kindern und Eltern auszutragen. Deshalb lehne man jegliche Streikformen ab, die die städtischen Einrichtungen betreffen.