Der Verdi-Streikaufruf an die Beschäftigten der Stadt Stuttgart für den 13. November ist rechtmäßig. Das Arbeitsgericht lehnt den Antrag der kommunalen Arbeitgeber ab, die Aktionen zu untersagen. Diese wollen die Entscheidung akzeptieren – vorerst.
Die Gewerkschaft Verdi darf die Planungen für den am Montag in Stuttgart geplanten Warnstreik vorantreiben – der am Donnerstagabend ergangene Streikaufruf an die meisten Beschäftigten der Stadt muss nicht zurückgezogen werden. Dies hat das Arbeitsgericht Stuttgart am Freitagnachmittag entschieden. Der Antrag der Landeshauptstadt und des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg (KAV) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Pläne wurde zurückgewiesen.
Ziel von Verdi ist ein landesweiter Tarifvertrag zur Altersteilzeit. Mit dem Warnstreik soll ein „erstes deutliches Zeichen“ an die Arbeitgeber gesandt werden. „Wir gehen davon aus, dass der KAV jetzt zügig Verhandlungen mit uns aufnimmt“, sagte Landesvize Hanna Binder nach der Verkündung des Gerichtsbeschlusses.
Gericht sieht keinen Verstoß gegen die Friedenspflicht
Stadt und Arbeitgeberverband hatten argumentiert, dass der Warnstreik ein Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht sei und die geplanten Aktionen unverhältnismäßig seien, wie KAV-Geschäftsführer Matthias Bergmann in der eineinhalbstündigen Verhandlung ausführte. Aus Arbeitgebersicht regelt weiterhin der bundesweit geltende Tarifvertrag (TV FlexAZ) die von Verdi angestrebten Ziele.
Intensive Debatte um die Fortgeltung des bundesweiten Tarifvertrags
Altersteilzeitverträge nach dem TV FlexAZ können seit dem 31. Dezember 2022 grundsätzlich nicht mehr abgeschlossen werden – insofern gilt der Tarifvertrag nach Verdi-Lesart nur noch für Beschäftigte, die bis Ende vorigen Jahres die jeweiligen tariflichen Voraussetzungen erfüllt haben und deren Altersteilzeitarbeitsverhältnis oder deren flexible Altersarbeitszeit vor dem 1. Januar 2023 begonnen hat. Damit sei klar, dass es seit Jahresbeginn keine tarifliche Regelung der Altersteilzeit mehr gebe und damit auch keine Friedenspflicht mehr bestehe, wie Binder vor Gericht ausführte.
Im Rahmen der im Frühjahr abgeschlossenen Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVÖD) sei es, so Verdi, zu keinerlei Neuauflage oder Verlängerung gekommen. Vor allem um diesen Punkt drehte sich die Diskussion vor Gericht, weil Bergmann den Sachverhalt gegenteilig darstellte.
Gericht sieht keine Rechtswidrigkeit und Unverhältnismäßigkeit
Die 15. Kammer des Arbeitsgerichts unter Vorsitz von Jürgen Gneiting führte in seinem Urteilsspruch aus, dass eine Untersagung des geplanten Warnstreiks nur möglich wäre, wenn dieser offensichtlich rechtswidrig oder unverhältnismäßig wäre. Davon sei im vorliegenden Fall allerdings nicht auszugehen, so der Präsident des Arbeitsgerichts.
Vielmehr sei davon auszugehen, dass der TV FlexAZ für neu zu begründende Altersteilzeitverhältnisse mit Ablauf der dort vereinbarten Laufzeit zum 31. Dezember 2022 ausgelaufen sei. Jedenfalls sei „ein Fortbestehen dieses Tarifvertrags nicht offensichtlich und damit sei ein klarer Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht nicht anzunehmen“. Auch die angestrebte landesbezirkliche Regelung sei nicht zu beanstanden.
Zudem sei eine Unverhältnismäßigkeit des Warnstreiks trotz des Aufrufs einer Vielzahl von Beschäftigten nicht gegeben, erläuterte Gneiting. Maßgeblich sei, dass der Streikaufruf nur einen Tag betreffe und Beeinträchtigungen Dritter bei Streikmaßnahmen im öffentlichen Dienst „in der Natur der Sache“ lägen.
Verdi definiert den Kreis der Adressaten sehr penibel
Vom Streikaufruf betroffen sind nun alle Arbeitnehmer der Landeshauptstadt in sämtlichen Ämtern, Verwaltungen und Eigenbetrieben, aber auch in Kitas, Abfallwirtschaft und städtischen Schwimmbädern – sofern sie unter den Geltungsbereich des Paragraf eins des TVFlexAZ fallen, aber aufgrund der Stichtagsregelung in Paragraf fünf, Absatz zwei keinen Rechtsanspruch aus diesem Tarifvertrag haben, wie Verdi aus rechtlichen Gründen penibel formuliert.
Mehr als 100 Kitas bleiben dicht
Nach Arbeitgeberangaben in der Verhandlung hat die Stadt für Montag geplant, 103 Kitas ganz zu schließen – jeweils gut 30 Kitas sollen teilgeöffnet beziehungsweise ganz geöffnet bleiben. Auch die Hälfte der Jugendhäuser soll geschlossen bleiben.
Der Warnstreik soll um sechs Uhr beginnen und um 22 Uhr enden. Geplant sind von Verdi unter anderem von 10 Uhr an eine kurze Demonstration um das Rathaus und eine Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz. Die Gewerkschaft rechnet mit mindestens 2000 Streikenden und „erheblichen Auswirkungen“.
Arbeitgeber können noch in Berufung gehen
Das Arbeitsgericht hat eine Berufung zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zugelassen – offen blieb aber am Wochenende, wie die kommunalen Arbeitgeber nun weiter vorgehen wollen. Der KAV-Landesvorsitzende Wolf-Rüdiger Michel zeigte sich enttäuscht: „Leider hat das Arbeitsgericht unsere Argumente zur Friedenspflicht nicht ausreichend berücksichtigt – der KAV kann das Urteil im Hinblick auf den bereits für Montag geplanten Streik nur akzeptieren, auch wenn er damit nicht zufrieden ist.“
Generell sei der Arbeitgeberverband für die Gewerkschaftsforderung „nicht der richtige Adressat“, da Fragen zur Altersteilzeit auf Bundesebene – also zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und Verdi – verhandelt würden.