Der Hafen von Dover ist das Nadelöhr für den Warenverkehr zwischen dem EU-Festland und Großbritannien. Foto: dpa

Für viele Hersteller aus Baden-Württemberg ist die Insel ein wichtiger Absatzmarkt. Wie sich Ravensburger, Ritter Sport, Hartmann und Hugo Boss vorbereiten.

Stuttgart - Die Brexit-Entscheidung mag verschoben werden, doch damit ist das Schreckensszenario eines harten Brexits mit der sofortigen Wiedereinführung von Zollschranken zwischen der EU und Großbritannien nicht vom Tisch. Die Unternehmensberatung EY sieht den deutschen Mittelstand schlecht vorbereitet. Hier sind vier Beispielfirmen aus dem Südwesten, die meinen, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben.

Ravensburger Das Vereinigte Königreich ist einer der größten europäischen Spielwarenmärkte, mit einem Umsatzvolumen von rund drei Milliarden Euro auf Augenhöhe mit dem deutschen Markt. Für den Spiele- und Kinderbuchverlag Ravensburger steht die Insel nach Deutschland und Frankreich an Nummer drei. Da ist es selbstverständlich, dass sich die Oberschwaben auf den schlimmsten aller Fälle vorbereiten: einen harten Brexit ohne Abkommen mit der EU. „Wir haben im Herbst vergangenen Jahres ein Projekt auf höchster Ebene dazu ins Leben gerufen“, sagt Ravensburger-Finanzchef Hanspeter Mürle. Sowohl eigene Mitarbeiter aus der Zoll- und Speditionsabteilung als auch Beschäftigte externer Logistikdienstleister wurden für mögliche neue Regularien geschult.

Doch längst nicht jeder Mittelständler ist aus Sicht von Klaus Ballas, Partner bei der Unternehmensberatung EY, ausreichend vorbereitet. Große Produzenten würden sich bereits seit zwei Jahren mit hohem Aufwand auf den Tag X einstellen. „Dabei denken sie auch über den Einsatz moderner technologischer Lösungen nach, etwa den Einsatz von Blockchain (sicheres Internet-Transaktionssystem, Anmerk. d. Red.), um die Öffnung der Container im Zoll möglichst zu vermeiden und den Zollprozess damit zu beschleunigen“, so Ballas. Bei vielen Mittelständlern herrsche dagegen noch oft das Prinzip Hoffnung vor: „Abwarten und auf Übergangsregelungen vertrauen ist der falsche Weg“, mahnt der Berater.

Damit die mit Spielwaren aus Baden-Württemberg beladenen Lkw im Falle von Engpässen beim Zoll nicht an der Grenze stecken bleiben, hat Ravensburger vorproduziert und ist gerade dabei, seine Lager zu füllen. „Wir können nicht von allem mehr machen, deswegen haben wir 25 Produkte ausgesucht und die Produktion hochgefahren“, sagt Mürle. Die Waren wurden teils in doppelter Stückzahl am Stammsitz in Ravensburg und im tschechischen Polica gefertigt und sollen nun zwei bis vier Wochen früher als normal vor dem Start des Ostergeschäfts über den Ärmelkanal geschickt werden. Auch die Lagerkapazitäten in der Nähe der Produktionsstätten und im angemieteten Logistikzentrum nordwestlich von London hat Ravensburger aufgestockt – oder sich wenigstens die Option darauf gesichert. „Wir haben aus unserer Sicht alle Vorkehrungen getroffen, alles andere liegt nicht mehr in unserer Hand“, sagt Mürle.

Paul Hartmann Die britische Insel zählt neben Spanien und Frankreich zu den wichtigsten Auslandsmärkten des Medizinprodukteherstellers aus Heidenheim. Die Hartmann-Gruppe vertreibt Wund-, Inkontinenz- und Pflegeprodukte vor allem für Kliniken. „Angesichts des Brexits haben wir unseren Produktbestand erhöht, um die Versorgung von Patienten und Kunden sicherzustellen“, sagt ein Sprecher. Man sei in der günstigen Position, die eigenen Lagerkapazitäten besser auslasten zu können und kaum extern Flächen anmieten zu müssen. Die konkreten Planungen zum Brexit liefen seit mehr als einem Jahr. Hartmann stellt sich auch auf das No-Deal-Szenario ein: Dazu bereitet das Unternehmen seine Logistik so vor, dass die mögliche Zollabwicklung, vergleichbar mit Drittstaaten, reibungslos ablaufen könne. „Wir besitzen langjährige Erfahrung in der Abwicklung von Zollbestimmungen mit Drittländern, etwa in Asien oder Amerika. Im Falle des Brexits erfolgt die Umstellung von Großbritannien auf ein Drittland routinemäßig“, sagt der Sprecher.

Ritter Sport Der Schokoladenhersteller beobachtet die Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals genau. Auch wenn Großbritannien – einer der größten Schokoladenmärkte – nicht zu den wichtigsten Absatzmärkten von Ritter Sport gehört, so erläutert ein Firmensprecher, sei es ein wachsender Markt für die quadratischen Tafeln: „Die deutschen Discounter fassen dort Fuß und nehmen viele Produkte mit.“

Dem Expansionsdrang deutscher Händler und Konsumgüterhersteller droht aus Sicht von EY-Partner Klaus Ballas durch den Brexit ein Dämpfer: „Durch höhere Steuern und Zölle können auch die Preise steigen. Daher werden sich die Händler auf der Insel, wo es geht, auf lokale Sortimente umstellen.“ Dass die Preise deutscher Markenprodukte durch die Abwertung des britischen Pfunds weiter steigen, ist dabei aus Sicht der Hersteller wenig hilfreich.

Ritter Sport hat seit wenigen Jahren eine eigene Vertriebsgesellschaft vor Ort. Doch Schokolade, die ohnehin eine Mindesthaltbarkeitszeit von höchstens einem Jahr habe, bunkert das Familienunternehmen dort nicht. Das eigene Frischekonzept sehe eine auftragsbezogene Produktion vor: Die Kunden werden direkt vom Firmensitz in Waldenbuch aus beliefert. „Daran würden wir auch trotz eines Brexits festhalten“, sagt der Sprecher.

Hugo Boss Großbritannien ist für den Modekonzern ein wichtiger Markt, nach Deutschland und den USA sogar der drittstärkste Einzelmarkt. Auf der Insel erwirtschaftete Hugo Boss 2017 einen Umsatz von 325 Millionen Euro. Daher verfolgt man die Entwicklungen auch in Metzingen intensiv. Durch den möglichen Aufschub sei die Gefahr eines ungeordneten Brexits nicht ausgeräumt, sagt eine Unternehmenssprecherin. „Wir haben auch für diesen Extremfall verschiedenste Szenarien durchgespielt und entsprechende Vorbereitungen getroffen, allen voran unter dem Gesichtspunkt logistischer Prozesse, um so die Warenversorgung zu gewährleisten.“ Insgesamt dürfte ein ungeordneter Brexit die gesamte Modebranche herausfordern; gleichzeitig sei man überzeugt „gut vorbereitet zu sein, um mit diesen Herausforderungen bestmöglich umgehen zu können“.

EY-Partner Ballas ist weniger optimistisch. Für den Fall des No-Deal-Brexits sieht er gegenwärtig weder ausreichend Lagerkapazitäten für ausländische Produzenten noch eine tragfähige Lösung zur Zollabfertigung. Die Formalitäten würden auf das Fünf- bis Zehnfache steigen. „Selbst wenn genügend Personal zur Verfügung steht, wird die Zeit nicht ausreichen. An den Häfen gibt es Chaos.“