Von der Hubertuskapelle in Scheidegg hat man einen malerischen Blick auf die schneebedeckten Berge. Foto: Scheidegg Tourismus

Bewegung und gute Luft sind gute Heilmittel. Ein idealer Ort dafür ist Scheidegg im Allgäu: Auf 800 bis 1000 Meter Höhe lässt es sich gut wandern, spazieren gehen und radeln.

Scheidegg - Scheidegg hat alles, was man sich in einem lebendigen Dorf wünscht: Rechts vom Brunnen thront das Rathaus, einladend mit seinen geschwungenen, türkisfarbenen Schindelwänden, geradeaus ist die Touristinformation. Gegenüber der geräumige Kiosk von Christian Reichart, der zugleich Vorsitzender des Verkehrsvereins ist und Scheidegg wie kein Zweiter kennt. Ist das Informationsbüro geschlossen, übernimmt Christian den Job. Fünf Schritte nach oben, am Maibaum vorbei, gelangt man zum Gasthaus und der Apotheke, fünf Schritte nach unten zum besten Bäcker und dem Heimatmuseum. Alles zur Hand.

„Sonnigster Kneippkurort im Allgäu“ verheißt ein Plakat am Ortseingang, „Sonnenterrasse über dem Bodensee“ der Prospekt. Sicher ist, dass der Nebel hier, in gut 800 Meter Höhe, kaum eine Chance hat. Und so bietet sich der Luftkurort gerade im Herbst für ausgedehnte Spaziergänge an.

Bewegung in der guten Luft ist eines der besten Heilmittel. Das wusste bereits Pfarrer Sebastian Kneipp, der hier in Scheidegg einen engagierten Fürsprecher gefunden hat. Peter Winteroll, der Vorsitzende des Kneipp-Vereins, wartet am Kneipp-Brunnen, stilecht kommt er barfuß und im Trachtenhemd. Natürlich gibt es Wassertretbecken, fünf insgesamt sind es, dazu ein Armbad und einen Kräutergarten mit den wichtigsten Heilpflanzen. Die Pflanzenheilkunde ist bekanntlich eine weitere Säule der Kneipp’schen Lehre, ebenso wie die Abhärtung durch Wassergüsse.

Scheidegg ist der westlichste Kurort Bayerns

An diesem Herbsttag ist es schon zu frisch, weder Tau- noch Wassertreten sind zu empfehlen. Danach müsste man sich wollene Socken und Ruhe gönnen, also lässt man von aktiven Kneipp-Anwendungen ab und spaziert hinauf zum Alpenfreibad. Fantastisch breitet es sich aus, mit einem freien Blick hinüber zur Nagelfluhkette, die Mittagsspitze bei Damüls lockt am Horizont. Scheidegg ist der westlichste Kurort Bayerns, nur wenige Serpentinen von Lindau hinaufgekurvt, und schon ist man da.

Die Spaziergänge rund um Scheidegg sind wohltuend: Ein gut ausgeschilderter Kapellen-Pfad lohnt zum Einstieg. Auf den 2,7 Kilometern des Weges, ausgehend vom Dorfzentrum, lassen sich Kleinode wie die Annakapelle mit ihrem außergewöhnlichen Altarbild oder die Galluskapelle entdecken. Perfekten Ausguck bietet die Herz-Jesu-Kapelle, einen Bogen weiter in Ebenschwand steht die ökumenische Hubertuskapelle. Sie hat eine außergewöhnliche Geschichte. Ein Protestant und ein Katholik haben sich zusammengetan, um in den 1980er Jahren gemeinsam eine Kapelle zu bauen.

Einen Steinwurf davon entfernt wartet die „Forster Einkehr“. Ganz weltlich geführt von Wolfgang Beuschel, der an schönen Tagen Wurstsalat und Apfelkuchen durch ein Fenster auf die Terrasse reicht. Sein Papagei sitzt dabei am liebsten auf Beuschels Schulter. Weinreben und riesige Bananen verbreiten südländisches Flair. Im Winter heizt ein Kachelofen die urige Stube.

Gutes für Leib und Seele gehört zum Kurkonzept

Gutes für Leib und Seele gehört zum Kurkonzept. Denn längst ist nicht alles Kneipp hier in Scheidegg, auch wenn sich der Pfarrer mit seiner Wasserkur präsent zeigt. Ein Haus hat sich der F.X.-Mayr-Kur verschrieben, andere setzen eher auf Wellness, ein drittes auf Physiotherapie. Dazu kommen die Kurkliniken, die psychosomatische Leiden kurieren oder Rehabilitation nach Krebserkrankungen anbieten. Auch Mutter- Vater-Kind-Kuren sind ein wichtiges Standbein.

Ganz aus freien Stücken kommen zunehmend Gluten-Allergiker: „Sorgenfrei glutenfrei“ wurde zum neuen Schwerpunkt in Scheidegg. Zahlreiche Wirte ließen sich schulen, das Kurhaus Scheidegg ist auf glutenfreie Kost spezialisiert. Inhaberin Brigitte Kirchberger bietet mit ihrer Köchin glutenfreie Pizza- und Schnitzeltage an, fertige Spätzle oder Mehlmischungen lassen sich für zu Hause mitnehmen. Der Bäcker im Ort bäckt zweimal pro Woche glutenfrei, im Supermarkt gibt es eigene Regale und Kennzeichnungen.

Der Käse schmeckt wunderbar: Natürlich und frisch

Auch in der genossenschaftlich organisierten Käserei in Böserscheidegg ist man sensibilisiert. Aber: „Gluten ist im Käse kein Thema“, sagt Chef Helmut Pfanner und zeigt den Gästen seine Produktion. Morgens und abends liefern seine Bauern ihre Milch an, kuhwarm. Die Kühe fressen nur Gras und Heu. Nichts anderes. Ganz wunderbar schmeckt dieser Käse, natürlich und frisch.

Wahrscheinlich vollbringt allein schon die Luft des heilklimatischen Kurorts Wunder. Um diese in vollen Zügen zu genießen, geht es zum Abschluss in die Höhe: Der Skywalk zieht sich auf Wipfelhöhe durch den Wald, knapp 1000 Meter über dem Meer gelegen. Am Waldboden, gut zwei Stockwerke tiefer, kann man Kinder beim Fichtenzapfenweitwurf beobachten. Klein wie die Ameisen. Hier haben alle Spaß: Kleine, große – und sogar Rollstuhlfahrer. Auch sie können mit dem Lift hinaufschweben. Wie sagte der Bischof zur Einweihung des Baumwipfelpfads im Oktober 2010 so schön: hier kann man erfahren, wie weit es geht. Und wo die Begrenzungen liegen.