Wer seinen Lebensunterhalt als Musiklehrer verdienen möchte, hat häufig einen steinigen Weg vor sich. Foto: Horst Rudel

Fragwürdige Beschäftigungsverhältnisse gibt es nicht nur in der Industrie. Vor allem der Kulturbetrieb beschäftigt viele Honorarkräfte. In Göppingen etwa haben die Stadträte Verbesserungsbedarf an der Musikschule ausgemacht. Das kann teuer werden.

Göppingen - Viele Familien aus Göppingen und den Orten im Voralbgebiet wie Boll, Heiningen oder Gammelshaus schicken ihre Kinder zum Unterricht an die Musikschule in die Stadt. Kein Wunder, schließlich genießt die städtische Musikschule einen guten Ruf. Viele der Kinder und Jugendlichen, die dort ein Instrument lernen, sind bei „Jugend musiziert“ erfolgreich, die verschiedenen Orchester bereichern unterschiedliche Veranstaltungen. Doch es gibt ein Problem, das bisher von der Öffentlichkeit ignoriert wurde und das die Musikschule mit vielen anderen Kunsteinrichtungen im ganzen Land und der Region Stuttgart teilt. Eine Mehrheit der Göppinger Stadträte will die Sache jetzt angehen. Zum Missfallen der Verwaltung, denn das wird viel Geld kosten.

Nur 60 Prozent der Unterrichtsstunden in Göppingen werden von Musiklehrern erbracht, die tatsächlich fest bei der Stadt angestellt sind. Das ist noch deutlich weniger als der Landesschnitt, der bei 75 Prozent liegt. Den restlichen Unterricht geben sogenannte Honorarkräfte, freiberufliche Musiker, die auf diese Weise einen mal größeren, mal kleineren Teil ihres Einkommens bestreiten. Für manche ist das Unterrichten nur ein nettes Zusatzeinkommen neben ihrer Konzerttätigkeit und anderen Projekten sowie eine Gelegenheit, den Kontakt zu anderen Musikern in der Stadt zu halten und sich auszutauschen.

Manche hoffen seit Jahren auf eine Festanstellung

Für andere Musiklehrer allerdings ist das Unterrichten die wichtigste Einkommensquelle. Einige hoffen seit Jahren vergeblich auf eine feste Stelle und die damit verbundenen Privilegien, die für viele andere Menschen völlig selbstverständlich sind: bezahlter Urlaub zum Beispiel, Krankengeld und Kündigungsschutz.

Dass es auch anders geht, zeigen Städte wie Esslingen, Fellbach oder Stuttgart. Dort sind sämtliche Musiklehrer fest angestellt. In Esslingen sei es stets politischer Wille gewesen, keine Honorarverträge abzuschließen, berichtet der Stadtsprecher Roland Karpentier. „Unser Personalamt hat Honorarverträge bei Lehrkräften schon immer abgelehnt“, sagt Karpentier. Außerdem seien solche Verträge rechtlich sehr umstritten.

Esslingen erfüllt damit bereits die Forderungen aus dem sogenannten Stuttgarter Appell des Verbands deutscher Musikschulen. Der Verband forderte die Kommunen darin im Jahr 2017 dazu auf, den Anteil der Festanstellungen deutlich zu erhöhen. Denn die für Kommunen kostengünstigere Zusammenarbeit mit Honorarkräften ist rechtlich oft problematisch. Immer wieder steht die Frage im Raum, ob manche Honorarkraft nicht in Wahrheit scheinselbstständig ist.

Immer weniger junge Leute wollen Musikschullehrer werden

Hinzu kommt, dass sich bei jungen Musikern herumgesprochen hat, dass die beruflichen Perspektiven für Musiklehrer bescheiden sind. Die Folge ist, dass immer weniger junge Leute Musikschulpädagogik studieren wollen. Immer mehr Musikschulen haben deshalb inzwischen Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. „Bisher sind wir immer zurecht gekommen“, sagt der Leiter der Musikschule Göppingen, Martin Gunkel. „Aber auch wir bekommen langsam zu spüren, dass ein Fachkräftemangel auf uns zukommt.“

Die Göppinger Grünen haben deshalb bei den Haushaltsberatungen für dieses Jahr beantragt, als ersten Schritt zwei der Honorarstellen bei der Musikschule in feste Stellen umzuwandeln. Die Stadt kostet das jedes Jahr rund 33 000 Euro zusätzlich. Weil die Personalausgaben mit rund 49 Millionen Euro allein im Jahr 2019 ohnehin einer der größten Ausgabenposten sind, argumentierte die Stadtverwaltung vehement dagegen. Doch eine überraschend große Mehrheit aus den Reihen der SPD, Lipi und zum Teil auch der FWG und FDP/FW stellte sich auf die Seite der Grünen. Denn, wie es Barbara Schrade (Grüne) formulierte: „Die Arbeit als Honorarkraft ist eine unwürdige Arbeit.“ Am Ende stimmten 20 Stadträte für den Vorschlag.

Stadträte hoffen auf Geld von den Umlandkommunen

Um die Umwandlung der Stellen zu finanzieren, zeigten sich die Stadträte auch bereit, die Gebührenordnung der Göppinger Musikschule unter die Lupe zu nehmen. Besonders im Visier haben sie dabei den Betrag, mit dem sich die Voralb-Kommunen an den Kosten der Musikschule beteiligen, wofür sie im Gegenzug Schüler an die Schule schicken dürfen. „Ich hätte kein Problem damit, wenn Auswärtige etwas mehr zahlen müssten“, sagte etwa Susanne Weiß (FDP/FW).

Ganz so einfach wird die Finanzierung allerdings voraussichtlich nicht werden. Denn Martin Gunkel versichert, die Beträge, mit denen sich die Umlandgemeinden beteiligen, seien in der Vergangenheit regelmäßig aktualisiert worden. Die Stadt wird also wohl tatsächlich mehr Geld für ihr Personal ausgeben müssen.

Rentenversicherung empfiehlt, den Status von Honorarkräften genau zu prüfen

Die Deutsche Rentenversicherung empfiehlt Honorarkräften und auch deren Arbeitgebern schon lange, im Zweifel ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren durchführen zu lassen. Dabei kontrollieren die Experten der Rentenversicherung kostenlos, ob ein abhängiges Arbeitsverhältnis und damit eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, oder ob eine Honorarkraft zurecht als selbstständig eingestuft wurde.

Zu den klassischen Indizien für eine abhängige Beschäftigung gehört es beispielsweise, wenn Honorarkräfte die Weisungen von Einrichtungsleitern befolgen müssen, wenn sie ihre Arbeit an einem bestimmten Ort verrichten müssen, wenn sie an bestimmte Arbeitszeiten gebunden sind, über die sie nicht frei entscheiden können, wenn sie in Dienst- und Urlaubspläne integriert sind. Allerdings, so erklärt eine Sprecherin der Rentenversicherung, müsse jeder Einzelfall genau geprüft werden. „Es sind oft Kleinigkeiten, die den Unterschied zwischen abhängiger und unabhängiger Beschäftigung ausmachen.“

Gerade weil es so schwierig ist, zwischen echter Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit zu unterscheiden, empfiehlt die Rentenversicherung das Statusfeststellungsverfahren. Die Unterlagen dazu können auf der Homepage www.deutsche-rentenversicherung. de heruntergeladen werden. Stellt sich bei der Prüfung heraus, dass eine Honorarkraft in Wahrheit scheinselbstständig ist, müssen nicht entrichtete Sozialabgaben nachgezahlt und das Arbeitsverhältnis geändert werden. Da der Großteil der Zahlung am Arbeitgeber hängenbleibt, der größtenteils auch die Arbeitnehmeranteile übernehmen muss, kann das für ihn schnell sehr teuer werden.

Festanstellungen gefordert

Appell:
Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) fordert im Stuttgarter Appell aus dem Jahr 2017, den Anteil angestellter Lehrkräfte kontinuierlich zu erhöhen. Der Verband begründet das mit der Qualität des Unterrichts. Denn zum einen seien Musikschullehrer auf vielfältige Weise in Abstimmungen und Projekte eingebunden, was von Honorarkräften nicht geleistet werden könne. Zum anderen würden immer weniger junge Menschen ein Studium mit dem Berufsziel Musikschullehrer beginnen, weil die Berufsaussichten schlecht seien. Das Nachwuchsproblem sei inzwischen an vielen Musikschulen spürbar. Außerdem weist der Verband darauf hin, dass die Sozialgerichte und die Rentenversicherung den Einsatz von Honorarkräften immer mehr infrage stellen, mit anderen Worten: Es besteht die Sorge, dass so manche Honorarkraft scheinselbstständig sein könnte.

Land:
Dem Landesverband der Musikschulen zufolge wurden im Durchschnitt 75 Prozent der Unterrichtsleistungen an Musikschulen im Jahr 2017 von Festangestellten erbracht. Ausschließlich mit Festangestellten arbeiteten in der Region Stuttgart 2017 die Musikschulen in: Schwieberdingen, Besigheim, Esslingen, Fellbach, Freiberg/Pleidelsheim, Renningen, Waldenbuch und Stuttgart. Zu mindestens 94 Prozent mit Festangestellten arbeiteten in der Region die Musikschulen in Ditzingen, Herrenberg, Köngen/Wendlingen, Markgröningen, Marbach-Bottwartal, Korntal-Münchingen, Böblingen, Aichwald und Neckartailfingen.