Spielt mit unterschiedlichen Perspektiven: Walter Wörns „Artisten“ Foto: Galerie Andreas Henn

Hüne, Boxer, Maler – Walter Wörn (1901-1963) zählte in den 1950er Jahren zu einer der zentralen Figuren der Kunst im Südwesten. Lange gut positioniert, ist Wörns Schaffen zuletzt in den Schatten geraten. Zu Unrecht wie eine Schau in der Galerie Andreas Henn in Stuttgart zeigt.

Stuttgart - Es geht eng zu unter der Kuppel. Körper verschränken sich, Arme greifen Seile, Hände umfassen Stäbe. Die Hochseilartisten bereiten offenbar den nächsten Tanz hoch über der sich mit dem Blick nach unten gefährlich verengenden Manege vor.

Begeisternde „Artisten“

1957 malt Walter Wörn mit „Artisten“ ein absolutes Ausrufezeichen in seinem sich erst im sechsten Lebensjahrzehnt stürmisch entwickelnden malerischen Hauptwerk. Ein Museumsbild, eine Arbeit von der aus und bis zu der sich der die Figur über zarte Umrisslinien entwickelnde Wörn der 1930er Jahre (1936 durch die Galerie Valentien erfolgreich positioniert, 1937 mit Ausstellungsverbot belegt) ebenso erschließen lässt wie der von 1955 an furios großformatig realisierte Traum, malerisch den Beweis antreten zu können, dass der Mensch trotz selbst inszenierter Weltenbrände mehr ist, als seiner eigenen Gattung schlimmster Feind.

1960 in der Staatsgalerie gezeigt

Nun sind die „Artisten“ Attraktion der aktuellen Walter Wörn-Schau in der Galerie Andreas Henn in Stuttgart (Wilhelmsplatz 8, Di-Fr 11-19, Sa 10-18 Uhr) – und für das kongeniale Echo sorgt ein Bild von 1958 aus Wörns „Vater und Sohn“-Reihe. Nicht minder ein „Schreitender vor der Vorhalle“ von 1952. Entdeckungen wie das auf eigene Weise den Menschen feiernde Pastell „Figur im Garten“ von 1949 oder ein übermalter Entwurf für das Plakat zur umfassenden Wörn-Schau 1960 in der Staatsgalerie Stuttgart komplettieren ein Feld, in dem eine Mappe mit neun Farbholzschnitten von 1946 eine unmittelbar erlebbare Antwort auf die Frage gibt, worauf Wörn abzielt: Souverän die französische Moderne durchdringend, erdet der Maler doch alle zugelassene Idealität.

Ganz eigene Kraft

Unbeirrt auch nach dunkelsten eigenen Erfahrungen als Frontsoldat im Zweiten Weltkrieg sieht und zeigt Wörn den Mensch als Hoffnungsträger. Entsprechend aber führt eine anhaltende Rezeption, die Wörns Bildwelt in einem zeitlosen Arkadien verankert, nicht wirklich weiter. Richtig ist ja vielmehr, dass sich die „Artisten“-Akteure sehr genau der Bedeutung ihrer nächsten Bewegung, ihres nächsten Schrittes bewusst sind. Erst aus dieser Höchstspannung eines unbedingten Jetzt entwickeln die Werke von Walter Wörn ihre ganz eigene Kraft.

Bruchstellen im musealen Feld

Über den Erwerb des Nachlasses ist die Bildwelt von Walter Wörn seit 2009 Teil der Sammlung Würth. Ein bemerkenswertes Engagement, das auch die Bemühungen der Galerien Valentien, Schlichtenmaier und Henn (beginnend 1997) bestätigt. Zugleich aber markiert der Würth-Ankauf eine Bruchstelle im musealen Feld: Was dort nicht zu sehen ist, fällt aus der Wahrnehmung des Publikums. Dabei geht es nicht nur um die Bedeutung von Entwicklungsfäden, sondern immer wieder auch um die Neu-Überprüfung künstlerischer Positionen. Walter Wörn hätte diese verdient.