Walter Smerling, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kunst und Kultur in Bonn, gilt als Vermittler zwischen Kunst und Wirtschaft, der gerne Tatsachen schafft. Als Gast bei „Über Kunst“, Gesprächsreihe der „Stuttgarter Nachrichten“, bestätigte Smerling in der Galerie Parotta in Stuttgart diese Rolle nachdrücklich.
Stuttgart - „Die Finanzierung steht, wir haben heute den Vertrag unterschrieben“ – Walter Smerling ist die Freude über seinen jüngsten Coup deutlich anzumerken. Seit 30 Jahren realisiert er Kunstprojekte, nun enthüllt er, im „Über Kunst“-Gespräch mit Nikolai B. Forstbauer, Titelautor unserer Zeitung, sein neuestes Vorhaben. Anlässlich des Reformationsjubiläums – am 31. Oktober 2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther, der Überlieferung nach, an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug – will Smerling von 18. Mai 2017 an nach dem Wirkungsanspruch zeitgenössischer Künstler fragen.
„Martin Luther hat die Welt verändert, hat die Konflikte auf den Punkt gebracht, im Guten wie im Schlechten“, sagt Smerling. 40 internationale künstlerische Positionen sollen nun den gesellschaftlichen Wirkkräften in der Gegenart nachspüren – in 40 Zellen des Gefängnisses in Wittenberg.
Mit ähnlicher Zielstrebigkeit hat Walter Smerling zahlreiche, mitunter auch umstrittene Ausstellungen realisiert. Als Kunsthistoriker sieht er sich dabei nicht - „Ich habe nur vier Semester studiert und keinen Abschluss gemacht“, sagt er. „Aber ich habe mich intensiv mit der Entwicklung der Kunst in den letzten 200 Jahren auseinander gesetzt, und ich habe keine Berührungsängste.“ In keiner Richtung: Mit Begeisterung erzählt Smerling, wie er als Banklehrling Joseph Beuys begegnete, die Kunst für sich entdeckte und mit Beuys und anderen Künstlern sogleich und ohne eigene Mittel eine Ausstellung in einem Bonner Krankenhaus organisierte: „Wir brauchten 500 000 Mark. Die hatten wir nicht.“ Smerling versuchte, diverse Minister für sein Projekt zu gewinnen, erhielt schließlich auch den Zuspruch Richard von Weizsäckers - und verwirklichte seine Idee.
Keine Berührungsängste
1986 gründete er die Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn; seit 1999 ist er Direktor des Museums Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg – „Ein Museum, das seit 17 Jahren ohne Fördergelder arbeitet.“ Und das mit den Geldern des Sammlerpaares Sylvia und Ulrich Ströher in den kommenden Jahren um 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche erweitert werden wird.
Neben erfolgreichen Ausstellungen wie der aktuellen – von Götz Adriani, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kunsthalle Tübingen, erarbeiteten Markus Lüpertz-Schau „Kunst, die im Wege steht“ stellt Smerling in Duisburg auch immer wieder Künstler vor, deren Ausstellung mit einem vielfachen finanziellen Aufwand getragen werden müssen. Am 24. Juni beispielsweise eröffnet eine Schau mit Werken des jüngst verstorbenen Rolf-Gunter Dienst. „Wir leisten es uns, zwei bis drei Mal im Jahr Positionen zu zeigen, die in der Szene nicht so präsent sind“, sagt Smerling. „Das ist eine wichtige Voraussetzung für ein lebendiges Museum. Wir versuchen, die leise und die laute Intelligenz in ein Wechselspiel zu bringen.“
Als Vorreiter privatwirtschaftlicher Kulturförderung stößt Smerling auch immer wieder auf Kritik. 2015 lud er 120 Künstler Chinas ein und präsentiert ihre Werke beim Großprojekt „China 8“ in acht Museen an der Ruhr und in Düsseldorf. Experten sahen eine apolitische Auswahl an Künstlern und bemängelten die Abwesenheit von Ai Weiwei.
Großprojekt „Deutschland 8“ in China
Smerling reagiert auf solche Vorwürfe mit der Gelassenheit eines Kulturmanagers, der die eigentliche Herausforderung in der Dimension eines Projektes sieht. „Ich habe so etwas nicht zum ersten Mal erlebt“, sagt er. „Und es hat mir nicht geschadet. Man muss eine klare Linie haben. Auch ein Künstler ist dann am besten, wenn er seinen Weg geht.“ Im Gegenzug zu „China 8“ kann Smerling nun „Deutschland 8“ organisieren, eine Ausstellung deutscher Künstler in Peking, die auch, als erste Präsentation nicht-japanischer Kunst schlechthin, in einem Tempel der verbotenen Stadt gezeigt wird. In diesem Herbst will Smerling dieses Projekt der Öffentlichkeit vorstellen.
Ein großer Erfolg, auch in der Kritik, wurde sein Kunstprojekt Salzburg – zwölf Skulpturen entstanden dort bisher im öffentlichen Raum, wiederum ohne öffentliche Mittel. Die Salzburg Foundation konnte auch die Frage der anhaltenden Verantwortung für die Werke klären – mit dem Ankauf durch die Sammlung Reinhold Würth. Inzwischen ist Smerling mit einem neuen Skulpturenprojekt in Salzburg aktiv – am vergangenen Wochenende ist Andreas Slominskis mehrteilige Arbeit „Rüben“ eröffnet worden.
Smerling betreibt seine Stiftung für Kunst und Kultur als „schlanke, effiziente Organisation mit klaren Zuständigkeiten“. Und was bedeutet der ständige Schulterschluss mit der Wirtschaft? „Es ist klar“, sagt Smerling, „dass den Unternehmen nicht nur die Atmosphäre genügt – es muss ihnen auch etwas einbringen.“ Allerdings seien die Unternehmen heute weit entfernt davon, „mit ihren Markenlogos präsent sein zu wollen“. Zur Lüpertz-Schau etwa gebe es wiederholt Veranstaltungen des Partners, „bei denen die Bilder, Skulpturen und Grafiken im Mittelpunkt stehen“ – und damit. sagt Smerling, „werden unsere Interessen vertreten“.
Mit Blick auf die Finanzierung öffentlicher Museen, Kunsthallen und Kunstvereine warnt Smerling zugleich: „Wenn Sponsoring dazu führt, dass öffentliche Budgets reduziert werden, dann ist das schlecht. Beides sollte sich ergänzen.“ Schon weil Kunst und Kultur, für den von Joseph Beuys infizierten Betriebswirtschaftler Säulen einer demokratischen Gesellschaft sind: „Wir leben in Mitteleuropa in einer sehr komfortablen Situation des Friedens und stabiler demokratischer Verhältnisse“, sagt er. „Ohne Kunst wäre das nicht denkbar“.
Kultur brauch immer eine Lobby
Eine Karte, die man aber auch überziehen kann, warnt Smerling. „Unsere Gesellschaft“, sagt er, „hat in den vergangenen 30 Jahren eine große Anzahl an Museen geschaffen, ohne die Folgekosten zu bedenken. Die neuen Volksvertreter bedenken sie noch weniger. Die Einrichtungen sollen sich selbst finanzieren; man denkt in Einschaltquoten. Aber Kultur braucht immer eine Lobby für ihre Präsentation. Wir müssen sagen: Ja, die Kunst ist uns wichtig, wir wollen diese Institution erhalten, wir müssen etwas tun.“
Gleichwohl, sagt Smerling, müsse es für Kunsteinrichtungen immer darum gehen, über Partner die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern. Vor allem im Dialog mit mittleren Unternehmen sieht er hier noch viele Möglichkeiten und „Ein Territorium, das noch nicht konsequent bearbeitet wurde“. Finanzrechtliche Hürden sieht Smerling nicht, blickt aber kritisch auf jene Teile des geplanten Kulturgutschutzgesetzes, die dem grenzüberschreitenden Handel mit Gegenwartskunst gelten. „Ich unterstütze das, sofern es um den Schutz der Museen vor Missbrauch geht“, sagt er. „Aber den zweiten Teil des Gesetzes halte ich für überzogen und falsch. Wir sollten stolz darauf sein, dass unsere Künstler im Ausland gefragt sind und dem nichts in den Weg legen. Das Gesetz schafft die Möglichkeit, Privatbesitz zu enteignen. Hier ist die Staatsministerin Monika Grütters zu weit gesprungen.“
Für Walter Smerling geht mit dem „Über Kunst“-Abend ein Tag zu Ende, der ihm den Erfolg der Luther-Schau brachte. „Zufriedenheit“, unterstreicht er jedoch noch einmal sein Selbstverständnis, „reicht nicht. Wir müssen auch an das nächste Spiel denken.“