Walter Hartmann hat das, was er selbst „den Blick“ nennt. Er erkennt Obstsorten allein an der Baumform. Foto: Judith A. Sägesser

Walter Hartmann aus Filderstadt gilt als Koryphäe auf dem Gebiet des Obstbaus. Vor allem die Zwetschge hat der Hohenheimer Pomologe revolutioniert. Denn er hat etwas Besonderes gezüchtet.

Filder - Der Papst humpelt. Hüft-OP. Aber sei’s drum, an Stöcken geht er trotzdem seinen kleinen Gebirgssteig von der Terrasse runter in den Garten in Bonlanden. Der Weitblick übers Bombachtal kann sich selbst an diesem nebelverhangenen Vormittag sehen lassen. Walter Hartmann bremst kurz am Baum mit den verdorrten Zwetschgen. Dann zuckt er mit den Schultern, es waren einfach zu viele. Oben auf der Terrasse stapeln sich Kisten mit Kiwis Marke Eigenanbau. Und auch alles andere warf eine üppige Ernte ab. Das war ein tolles Jahr für einen, den man landläufig den Zwetschgen-Papst nennt.

Mit seinem hochtrabenden Beinamen kann Walter Hartmann nichts anfangen. „Wir wollen doch den Namen des Papstes nicht verunglimpfen“, sagt er halb mürrisch, halb belustigt. Das würden sich die, die ihn so titulieren, sicherlich nicht anmaßen. Sie wollen halt zum Ausdruck bringen, um wen es sich hier handelt: um Walter Hartmann, den renommierten Hohenheimer Pomologen, der auch im Alter von 75 Jahren nicht im Ruhestand angedockt hat. Einfach weil er zu viel weiß, weil er das hat, was er „den Blick“ nennt.

Er ist ein leibhaftiges Lexikon

Er sieht sofort, welche Äste beim Winterschnitt dran glauben müssen, er erkennt Obstsorten allein an der Baumform. Bei offenen Fragen zu Apfel bis Zwetschge ist er das leibhaftige Lexikon. Immer wieder klingele das Telefon, erzählt der Mann aus Bonlanden. „Vor allem im Herbst ist immer was los.“ Er schreibt Bücher und für Fachzeitschriften. Er wird als Experte zu Veranstaltungen eingeladen, macht Vereinsarbeit, und er züchtet noch ein bisschen. Kurz: Er hört einfach nicht auf. Das Obst ist sein Lebenswerk.

Für seinen Einsatz – beruflich und privat – hat Walter Hartmann dieses Jahr die Staatsmedaille in Gold des Landes Baden-Württemberg erhalten. Besonders hervorgehoben sind dabei seine Zwetschgenzüchtungen. Er hat als Erster in Deutschland Zwetschgenarten gezüchtet, denen die seit dem Zweiten Weltkrieg verbreitete Scharka-Krankheit nichts anhaben kann. Die erste Sorte hat er nach seiner jüngsten Tochter Johanna „Jojo“ genannt. Walter Hartmann hat insgesamt drei Töchter und eine Frau. Dass er auch ihnen Zwetschgen gewidmet hat, versteht sich von selbst. Zur Auswahl hatte er genug. Insgesamt hat der Züchter mehr als 25 Sorten auf den Markt gebracht. Es gab Jahre, da musste seine Frau fast 30 Zwetschgenkuchen backen, „es mussten ja alle Sorten durchprobiert werden“, sagt er und grinst.

Auf dem zweiten Bildungsweg zum Papst

Der Weg zum Zwetschgen-Papst führte für Walter Hartmann über den zweiten Bildungsweg. Für den zweitgeborenen Sohn eines Landwirts im Hohenlohischen stellte sich die Frage der Hofnachfolge nicht, sein Bruder war am Zug. Er selbst ist nach seiner Lehre im elterlichen Betrieb nach Nürtingen gegangen. Dort hat er die Mittlere Reife an der Höheren Landbauschule nachgeholt, es folgten die Ingenieurschule, das Fachabitur und schließlich das Studium in Hohenheim. An der Hochschule auf den Fildern blieb er hängen, bis zum Ruhestand 2008.

Ein Grund dafür, dass Walter Hartmann immer weiter macht, ist sicherlich auch, dass er retten will, was zu retten ist. Deshalb erklärt er immer, warum die Streuobstwiesen in Gefahr sind. Die Misteln wuchern zum Beispiel immer mehr im Geäst der Obstbäume, und keiner tue was. Weil die Leute eh immer seltener Zeit und Muße fänden, sich um die Baumwiesen zu kümmern. Früher habe das Obst die Menschen vor dem Verhungern bewahrt, heute ist es ein Stressfaktor.

Er klingt bei aller Kritik nicht anklagend

Walter Hartmann wirkt, wenn er all das sagt, wie der moralische Zeigefinger. Trotzdem klingt es nicht anklagend. Denn über sein Gesicht huscht auch ein versöhnliches Lächeln. „Ein Drittel der Obstwiesen ist in einem schlechten Zustand“, sagt er. „Da müssen wir einfach was tun.“ Das mit dem Drittel ist nicht einfach nur dahingesagt. Walter Hartmann weiß es genau, denn er hat fünf Jahre lang sämtliche Streuobstbäume in Filderstadt erfasst, zusammen mit Eberhard Mayer. Ein irrer Aufwand. Ist es für ihn nicht manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen? „Ich kann mich kümmern und auch predigen, aber man muss auch die Realität anerkennen.“ Wie gut er darin ist, ist fraglich, wenn man ihn mit seinen Stöcken zwischen den Bäumen beobachtet.