Walle Sayer zog in Herrenberg ein lyrisches Resümee seines Leben Foto: Eibner/Drofitsch

Der Lyriker Walle Sayer stellte am Donnerstagabend in der Mutterhauskirche in Herrenberg sein neues Buch vor. Mit „Nichts, nur“ nahm er seine Gäste mit auf eine Reise durch die Stationen seines Lebens.

Herrenberg - „Als Kind habe ich gesehen, wie den erfrorenen Obstbäumen die gläsernen Äste brachen“, beginnt Walle Sayer mit dem Vorlesen. Mit ruhiger Stimme trägt er das erste Gedicht an diesem Abend vor: ein handgeschriebener Lebenslauf. Durch den großen Raum der Mutterhauskirche in Herrenberg hallt jetzt nur noch seine Stimme.

Von draußen prasseln die Regentropfen ans Fenster. „Hinter dem Fingerschnalzen der anderen saß ich in der letzten Schulbank“, fährt der 60-Jährige fort. Wenn Walle Sayer so aus seinem neuen Buch „Nichts, nur“ vorliest und von der Bauwagenzeit, Löschblättern und dem Innenverteidiger seiner Lächerlichkeit spricht, scheint es, als würde er damit die Zeit für einen kleinen Moment anhalten. Dann kriegt man das Gefühl, die Welt da draußen, Corona, Impfungen und Inzidenzwerte wären für diesen kleinen Augenblick verschwunden und es gäbe nur noch Walle Sayers fein ausgewählte Lyrik.

Gedichte und Miniaturen

Und von dieser gibt es in seinem neuen Buch „Nichts, nur. Gedichte und Miniaturen“ eine Menge. „Nichts, nur“, weil es vor jedes seiner Gedichte passen würde. Ein Moment, scheinbar unbedeutend, wohinter sich oftmals die magischen und wichtigen Details des Lebens verstecken. Auf ganzen 240 Seiten findet man Walle Sayers Sichtweise auf die kleinen Dinge aus 35 Jahren wieder. Verpackt in Prosagedichten, Erzählminiaturen und Gedichten. „Es hat etwas Romanhaftes, wenn man es biografisch betrachtet“, verrät er zu Beginn seiner Lesung. In insgesamt 15 Kapiteln nimmt der Dichter die Leser von seinem Kindheitsdorf im Landkreis Tübingen bis hin in die Gegenwart mit. Dazwischen einige unveröffentlichte Gedichte aus alten Zeiten, die er neben seine neueren Werke stellt.

Dabei werden sie chronologisch nach seinem Lebensstationen sortiert. So bieten sie dem Leser die Möglichkeit, Momente aus seinem Leben aus den Augen des jungen und älteren Sayers zu lesen. „Es ist schön zu sehen, dass Texte, die man als junger Autor geschrieben hat, immer noch Bestand haben“, erzählt er. So auch sein Gedicht „Ein handgeschriebener Lebenslauf“, in dem der damals 26-jährige Walle Sayer sein bisheriges Leben in kurzen Zeilen zusammenfasste.

Mit dem Furzkissen vom Schrottwichteln

Und dabei wird eines schnell klar, jedes seiner Gedichte zeigt vor allem die kleinen Details eines Lebens. Ganz nahbar und zugänglich erscheint der Autor dabei, wenn er zum Beispiel von dem kuriosen Spiel des Schrottwichteln erzählt: „Am Ende des Abends verabschiedet man sich voneinander, immer noch lachend, und tritt in die Nacht hinaus. Mit einem ausgepackten Furzkissen in der Hand.“ Dass sich dabei die rund 60 Gäste in der Mutterhauskirche ein Lachen nicht verkneifen können, wundert nicht. Denn Walle Sayer fängt damit die Momente auf über die sonst keiner nachdenkt. Die Gedanken, die eigentlich im schnellen Treiben des Alltags versinken. Ganz nach Rainer Malkowski: „Einmal am Tag wirklich sehen“, so Walle Sayer. „Man muss auf solche Augenblicke auch warten, in denen man auf einmal die kleinen Dinge wahrnimmt.“

Und so arbeitet er sich im Laufe des Abends mit den Gästen durch genau diese kleinen Augenblicke seines Lebens. Umrahmt von den sanften Klängen einer Oboe, gespielt von Christine Knoll. Dabei erzählt Walle Sayer von der Bedeutung seines ersten Fußballvereins, dem Schrillen des Weckers in seiner Lehrlingszeit, dem Spielen seines damals vierjährigen Sohnes mit einem einfachen Pappkarton und dem Fehlen des eignen Vaters. Sein halbes Leben verpackt in ein Buch.

Vieles musste der Autor überarbeiten

„Die Idee kam allerdings nicht von mir“, gibt er mit einem Lächeln zu. „Angestoßen wurde es von der Stiftung Oberschwaben. Ich bin letztes Jahr 60 geworden, und die Stiftung unterstützt die Idee, zu diesem Geburtstag immer ein Sammelband eines Autors zu veröffentlichen.“ Da auch sein Lektor davon begeistert war, machte sich Walle Sayer an die Arbeit. „Es war schwierig, weil man so viel Material hatte“, sagt er. Vieles musste der Autor auch nochmals überarbeiten. Doch am Ende hielt er 35 Jahren in Form eines Buches in der Hand. „Je älter man wird verändert sich ja auch der Blickwinkel auf viele Themen, zum Beispiel wenn man Vater wird“, erzählt der 60-Jährige. Deswegen ist es für ihn umso schöner alte und neue Gedichte direkt nebeneinander zu sehen.

Und trotz seiner Lebenszusammenfassung ist hier noch lange nicht Schluss. Denn der Autor hat bereits das nächste Buch in petto, das im Herbst 2022 erscheinen soll. „Das zentrale Kapitel ist die Bühne Altersheim. Mein Vater ist vor drei Jahren verstorben und in diesem Buch geht es vor allem um das Altwerden und das Altsein. Mir ist es wichtig, dass es immer einen biografischen Schnittpunkt gibt, von dem ich mich entfernen kann.“ Und mit dieser Aussicht kann man sich bereits jetzt schon auf weitere Lesungen des Autors in der Herrenberger Mutterhauskirche freuen.