Foto: Schäfer

Wales hat mehr zu bieten als grüne Hügel, Moore und Schafe: nämlich einen Spielplatz mit Nervenkitzel.

Der Wanderweg auf den Gipfel des Pen y Fan ist nicht zu verfehlen: an der landestypischen roten Telefonzelle über den Zaun, dann dem gepflasterten Weg auf den Gipfel folgen. Wobei sich gleich zeigt: Ein walisischer Wanderweg geht nicht in gemütlichen Serpentinen, immer um die Schafe herum, langsam aufwärts. Sondern senkrecht den Berg hinauf. Schaf hin oder her.

"Etwa 3000 Fuß" sei der Gipfel hoch, sagt ein grauhaariger Mann mit Regencape. Letzteres ist hier kein Unterscheidungsmerkmal. Ohne Regenumhang durch Wales zu wandern kann nicht empfehlenswert sein. Unser Begleiter Dave erzählt, am 5. Mai sei sagenhaft schönes Wetter gewesen. Sonnig, warm. Ein Land, in dem man sich an einen einzelnen schönen Tag im Mai deutlich erinnert – wir sind skeptisch.

Und so hüllt sich schließlich der Gipfel, er ist 886 Meter hoch, in Wolken. Doch ein paar Meter darunter zeigt sich die Pracht des Brecon-Beacons-Nationalpark: grüne, steile Hänge, weiß gepunktet von zwölf Millionen Schafen, die jedoch nicht alle hier stehen. So viele der Tiere weiden nämlich insgesamt in Wales, umgerechnet kommen also auf jeden Waliser vier Schafe.

In einer grünen Kuhle liegt ein Teich, Erika blüht zartlila bis zum Ufer eines Sees, und Hügel, so weit das Auge schaut – ein gigantischer Abenteuerspielplatz! Schreie hallen durch die Schlucht. Am nächsten Tag, die Autorin hängt in Dinas Rock, einer fast senkrechten, wenn auch nicht sonderlich hohen Wand aus Kalkfels. Griffe und Tritte bietet Kalkstein in großer Auswahl, wer Vertrauen fasst in Seil und Karabiner, kann hier munter spielen. Aber diese Schreie! Sie klingen wie eine Mischung aus Lust und Angst und kommen von einer Gruppe Frischluftfreunde, die sich in die nahe gelegene Schlucht stürzen. Eine aufgedrehte Truppe in Neoprenanzügen, mit Helmen und Schwimmwesten. Sie haben Canyoning gebucht, also Schluchtwandern. Und um mit dem Wandern beginnen zu können, stürzen sie sich in die Schlucht. Dagegen fühle ich mich richtig wohl, hier in der steilen Wand. Viel trockener allerdings auch nicht, es regnet nämlich.

Kurze Zeit später. Regina hat dieses Leuchten in den Augen, das nur dann auftritt, wenn der innere Schweinehund erschlagen am Boden liegt und alle viere von sich streckt. Regina, die am Tag zuvor an einer künstlichen Kletterwand alle möglichen Ausreden hervorbrachte, um ja nicht einsteigen zu müssen. Hier aber, in der steilen, nassen Wand, hat sie sich getraut, huscht nach zögerlichen, tapsigen Versuchen gämsengleich hinauf. Wieder unten auf der Erde kommt es dann, dieses Strahlen über das ganze Gesicht. Sie hat sich überwunden – und zu ihrer Überraschung hat es großen Spaß gemacht.

Activity-Center, solche Schilder sieht man häufig am Straßenrand, sie führen zu Kanuverleihern, Klettertürmen, Pferden, Flüssen. Angeboten werden Dinge wie Land Carting, Pot Holing, Orienteering, Skytrekking oder Abseiling. Beliebt ist das beim "Stag and Hen Weekend", dem Hirsch-und-Hennen- Wochenende also, den Junggesellen und Junggesellinnen-Abschiedsfeierlichkeiten. Und da soll es mitunter recht laut zugehen, mit Gelächter und Gebrüll, von Sopran bis Bass. "Teambuilding" nennt sich so etwas bei Managerseminaren. Wir nennen es Abenteuerurlaub in Wales.

Spannung in Dinas Rock

Dana ist mittlerweile auf dem hölzernen Kletterturm in der Situation, die man aus fernen Kindertagen vom Fünf-Meter- Brett kennt: Man stieg hoch, in einem Anfall schwachsinnigen Mutes. Nun gibt es nur noch zwei Wege nach unten: springen oder vor aller Augen rückwärts abklettern. Teufel oder Beelzebub. Und so gibt Dana mit einem schmerzlichen Blick ihre Kamera ab und nähert sich, an Seilen gesichert, dem jungen, kräftigen Mann, der ihr helfen soll – und dem Abgrund. Unten breiten sich walisische Felder aus, golden glänzen große Rollen von Stroh. Da hinunter geht es, und zwar mittels "Abseiling". Dana guckt jetzt wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Der erste Schritt ist der schlimmste, an die Kante stehen, mit dem Rücken ins Tal, sich hinauslehnen – und los geht es. Und unten dann, man ahnt es schon, grinst auch sie.

Ich finde mein Waterloo am Talybont- Stausee, die Hügel um ihn herum besiegen mich. Wir haben uns Mountainbikes ausgeliehen, ganz gemütlich geht es am See entlang, immer leicht ansteigend. So könnte man nun um den See radeln, nebenher plaudern und in die Landschaft schauen. Aber dann ist da diese Abzweigung, steil bergauf. Ich bin so vermessen, Michael hinterherzuradeln. Aber Übermut tut eben nun mal selten gut. Roter Schlamm, Wasser und große Steine, fast schon Felsen, unmöglich für mich zu fahren. Also schieben, steil den Wald hinauf. Was für eine Blamage. Doch genau dafür sind diese Touren ja da, um über sich hinauszuwachsen oder eben mit Niederlagen umzugehen.

Auf meinem Waterloo-Gipfel stehen vier Mädchen mit Rucksäcken, Zelt, Isomatten. Sie drehen und wenden Wanderkarten, sie haben noch einiges vor heute. Sie nehmen teil am Duke of Edinburgh Award: Um eine Medaille zu bekommen, unternehmen junge Briten Expeditionen, unterstützen wohltätige Projekte, üben ein Handwerk aus oder fahren zu einem Arbeitseinsatz ins Ausland. Die vier Waliserinnen sind auf Expedition in Wales. Wir rasten unterm Wegkreuz, das uns im Zweifelsfall auch nicht weitergeholfen hätte. Bergab gebe ich dem Berg die Kante, man muss nur schnell genug fahren, um steile Bäche runterzuradeln. Wieder etwas gelernt.

Graham Symonds muss nichts mehr lernen. Jedenfalls nichts, was mit Wasser zu tun hat. Symonds war im walisischen Kajak- Nationalteam. Er macht drei Paddelschläge in seinem Kanu, setzt elegant an einer Sandbank am Ufer auf und zeigt auf Fischotterspuren. Den Bach überkront ein Blätterdach, hier könnten Schlangen von den Bäumen hängen, und ist das da vorne nicht ein Krokodil? Nein, es ist ein dümpelnder Stamm, die grüne Hölle ist nicht der Amazonas, nur ein Nebenarm des Wye, dem Grenzfluss zwischen Wales und England. Hierher kommt Prince Charles zum Lachsangeln. Wie die Berserker hauen wir auf die Wasseroberfläche ein, Hans-Jörg, ein kräftiger Kerl, hebelt das Boot mit einer eigenen Technik stromaufwärts: Er rammt das Paddel in den schlammigen Grund, wie einen Stocherkahn. Ich kralle mich mit den Fingern ins lehmige Ufer und ziehe, während ein anderer Mitpaddler unterm Gebüsch kentert.

Der Fischotter hat längst die Flucht ergriffen. Biber sind ohnehin ausgerottet. Von den Mönchen, wie uns ein Fremdenführer in der Ruine von Tintern Abbey weismachen will. Dieses gigantische gotische Gerippe aus Fensterrosetten und Pfeilern ragt nahe des Flüsschens Wye in die Luft, erbaut im 12. Jahrhundert von Zisterziensermönchen. In dieser Abtei lebten vier dutzend Mönche. Die walisischen Mönche hätten bemerkt, dass Biber schwimmen, daraus geschlossen, dass sie Fische sind und ihr Fleisch somit freitags gegessen werden darf.

Die Mönche verjagte Heinrich VIII. um 1540. Da ihm seine Frau Katharina statt eines Sohns nur ein Mädchen gebar, die spätere Königin Maria, genannt Bloody Mary, wollte er sich scheiden lassen. Der Papst war dagegen, Heinrich gründete die Anglikanische Staatskirche und entmachtete alle Klöster. Dass die Mönche den walisischen Biber ausgerottet haben, halten wir für ein anglikanisches Märchen. Zur Sicherheit bestellen wir abends Lamm. Davon gibt es schließlich genügend. Und stärken müssen wir uns auf jeden Fall. Denn die nächsten Abenteuer warten mit Sicherheit schon auf uns.

Info: Anreise: KLM (ab Stuttgart, http://www.klm.com) und Swiss (ab München, http://www.swiss.com) fliegen regelmäßig nach Cardiff.

Brecon Beacons Nationalpark: Tel. 00 44/18 74/62 44 37, http://www.breconbeacons.org.

Outdoor-Aktivitäten in Südwales: Kanuverleih Monmouthcanoe, Tel. 00 44/16 00/71 34 61, http://www.monmouthcanoe.co.uk; Seilgarten Llangorse Multi Activity Centre, Tel. 00 44/18 74/ 65 82 72, http://www.activityuk.com; Mountainbike- Verleih Drover Holidays, Tel. 00 44/14 97/82 11 34, http://www.droverholidays.co.uk; Klettern an Dinas Rock: Call of the Wild at Severn Sisters, Tel. 00 44/16 39/70 03 88, http://www.callofthewild.co.uk.

Allgemeine Informationen: Visit Wales Centre, Tel. 00 44/87 01/21 12 51, http://www.german.visitwales.com.