Drei Familien rätseln: Von den Gräbern ihrer Kinder wurden ganz besondere Erinnerungsstücke entwendet. „Wer macht so etwas?“ fragen sich die Eltern.
Stuttgart - Die Familien Beate und Max Sommer, Thorsten und Hannah Stecker sowie Jen Bilbao und Holger Fischer sind eine kleine Schicksalsgemeinschaft. Sie alle haben im vergangenen Jahr ein Kind verloren, die Steckers hat dieser Schicksalsschlag schon zum zweiten Mal ereilt. Die drei Familien unterstützen sich und teilen auch gute Ideen für die Trauerarbeit miteinander. So etwa die Idee der burgundroten Metalldosen, die auf den Gräbern ihrer Kinder Lionel und Lea Stecker, Emil Fischer Bilbao und Noah Sommer auf dem Waldfriedhof stehen. Darin liegen Heftchen, in die Besucher Gedanken eintragen können.
Am 10. Juni ist der Schreck groß gewesen, als Beate Sommer zum Grab kam: Die Box war weg. Und nicht nur die auf dem Grab ihres Noah, der viereinhalb Jahre alt wurde, auch die umfunktionierten Vesperdosen auf den Gräbern der anderen Kinder fehlten. „Ich habe im Gebüsch gesucht und im Müll, aber nichts gefunden“, erzählt die Mutter dreier Kinder.
Freunde, Verwandte und Fremde schreiben in die Bücher
Die Familien haben viele Erinnerungszeichen ihrer verstorbenen Kinder: Thorsten Stecker hat die Namen Lio und Lea am Unterarm tätowiert, seine Frau Hannah trägt ein goldenes Herz mit den Namen an einer Halskette. Die Kinder hatten den selben Gendefekt, Megcann heißt die seit 2015 bekannte Krankheit. Emils Kindergartenfreunde sehen von ihm ein Foto, das an seinem Grabstein lehnt. Er litt an myotubulärer Myopathie (MTM). Familie Sommer hat einen von Noahs Zügen auf Holzschienen auf das Kindergrab auf dem Waldfriedhof gestellt. Er hatte Leukämie. Doch mit den Büchern fehlen besondere Erinnerungen: Freunde, Verwandte und zufällig aufmerksam gewordene Passanten konnten darin Gedanken hinterlassen.
Besonders gerührt habe ihn der Eintrag einer Kindergartenfreundin seines Sohnes, erzählt Emils Vater Holger Fischer: „Sie ist nun in der Schule und hat selbst etwas geschrieben“, erzählt er. Für ihn sei der Verlust vor allem deshalb so traurig, weil er die im Büchlein gesammelten Gedanken noch nicht alle kannte: „Ich wollte das gesammelt und in Ruhe lesen, wenn es voll ist und wir ein neues in die Box legen“, sagt er. Das haben ihm die Diebe nun genommen. „Wir kommen nicht darauf, warum jemand so etwas Pietätloses macht“, sagt Hannah Stecker. Zwar hätten die wasserfesten Boxen 20 Euro gekostet. „Aber trotzdem klaut man eine Vesperbox doch nicht vom Friedhof“, fügt sie hinzu. Auch halten es die drei Elternpaare für unwahrscheinlich, dass jemand Geld gesucht haben könnte: Die Boxen sind nicht verschlossen, man kann also sehen, dass nichts darin ist. „Ich hoffe, dass die Bücher wenigstens respektvoll behandelt wurden“, sagt Hannah Stecker. Alle Familien haben am Freitag ihre Erinnerungsboxen erneuert. Die entwendeten Heftchen ersetzt das aber nicht.