Emina Huduti aus Waiblingen hat ein Buch über Erfahrungen in ihrer Kindheit mit Krieg und Flucht geschrieben. Foto: privat

Emina Hudutis Kindheit ist von Krieg, Flucht und Heimatlosigkeit geprägt gewesen. Die Waiblingerin erzählt, wie sie gelernt hat, wieder Mut im Leben zu fassen.

Emina Huduti (42) hatte keine Kindheit wie viele andere Kinder. Sie erlebte in ihrer Kindheit und Jugend gleich zwei Kriege: den Bosnienkrieg als Kind und den Kosovokrieg als Jugendliche. Mit ihren Eltern floh sie nach Belgrad als sie acht Jahre alt war. Doch auch dort blieb die Familie nicht lange. Wenige Jahre später, 1998, brach der Kosovokrieg aus. Wieder packten sie kurz darauf ihre Sachen und flohen – diesmal nach Deutschland. Statt Freunde zu treffen, auf Partys zu gehen oder unbeschwert erwachsen zu werden, lebte sie auch in Deutschland unter Belastung: Die Familie war anfangs nur geduldet.

 

Eine Duldung ist die Aussetzung der Abschiebung für eine ausreisepflichtige Person, weil die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen vorübergehend nicht möglich ist.

Wie sie trotz Duldung nicht aufgab

„Ich hatte daher keinen sicheren Status, keinen festen Boden, keine Garantie, dass etwas klappt. “ In Serbien hatte sie das Gymnasium besucht. „Als Jugendliche kam ich dann nach Deutschland und landete erst einmal nur in Vorbereitungsklassen, um Deutsch zu lernen. Das war ein Schock“, sagt Huduti. Später holte sie die Mittlere Reife nach. Die Behörden verlängerten den Aufenthalt der Familie jedoch immer nur für drei bis sechs Monate. „Ich konnte deshalb keinen Ausbildungsplatz finden“, erklärt sie.

Nach der Schule wurde die Bibliothek ihr zweites Zuhause. Sie habe sich nicht damit abfinden wollen, dass ihr Bildung und Ausbildung verwehrt blieben, sagt sie heute. In der Bibliothek nutzte sie Computer, Zeitschriften und Bücher, um sich kaufmännisches Wissen selbst beizubringen. „Ich wollte die Fähigkeiten lernen, die eine Bürokauffrau braucht“, sagt sie. Heute betreibt sie eine kleine Marketing-Agentur.

Nebenher begann sie zu schreiben. Kürzlich veröffentlichte sie ihr erstes Buch im Selbstverlage. In „100 Tage zu dir“ schildert sie ihre Erlebnisse in Deutschland, aus der Zeit, als sie nur geduldet war. Daraus entwickelte sie ein Achtsamkeitssystem für sich: Selbstreflexion, Beständigkeit, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. „Mein Ziel war es, mich mir selbst wieder anzunähern – täglich durch kleine Schritte. “

Kleine Schritte bedeuteten für Huduti, in den ersten Jahren mal hier, mal dort zu arbeiten. „Ich habe trotzdem alles aufgesogen, was wichtig war“, sagt sie. Nach fünf Jahren Berufserfahrung in verschiedenen Unternehmen absolvierte sie im Jahr 2013 bei der IHK erfolgreich eine Fortbildung zur geprüften Handelsfachwirtin.

Sie schreibt über ihre eigenen Kriegserfahrungen

Der Krieg hat Hudutis Leben lange geprägt. Als sie mit ihrer Mutter und ihren Brüdern als Jugendliche nach Deutschland kam, sah sie ihren Vater zum ersten Mal nach Jahren wieder. „Wir wurden im ersten Krieg in Bosnien als Familie getrennt – Männer durften ja das Land nicht verlassen.“ Heute ist ihre Familie über die ganze Welt verstreut – in Schweden, den Niederlanden und in den USA. „Unsere Familie, wie sie einmal war, die gibt es heute nicht mehr.“

Ihr Vater lebt in Frankfurt, der Kontakt ist sporadisch. Ihnen fehlen die entscheidenden Jahre, um eine Bindung aufzubauen. Die Mutter und die Brüder sind in Stuttgart. „Als Achtjährige habe ich nicht begriffen, was da passiert“, erzählt Huduti. „Erst in der Schule habe ich realisiert, dass ich nur noch einen Elternteil habe.“ Ihre Familie war gemischt: der Vater Muslim, die Mutter orthodox. „Vor dem Krieg habe ich mir als Kind nie Gedanken darüber gemacht, was das bedeuten könnte“, sagt sie. „Auf einmal war es ein Problem.“

 

Als sie ihren Vater Jahre später wiedersah, fiel es ihr schwer, ihn als Vater wahrzunehmen. „Ich konnte das Wort ‚Vater‘ damals gar nicht aussprechen, es fühlte sich nicht richtig an“, erzählt sie. Heute nennt sie ihn so – aus Respekt. Das Gefühl dazu sei nie zurückgekehrt.

Was der Krieg mit ihrer Familie machte

Der Krieg hat nicht nur Emina Hudutis Kindheit zerstört und ihre Familie auseinandergerissen, er hat auch ihre Sicht auf die Welt verändert. „Für mich sind Frieden und Sicherheit nie wieder selbstverständlich geworden“, sagt sie. „Heute bin ich dankbar für ganz einfache Dinge.“ Etwa, ein Zuhause zu haben.

Trotzdem wollte sie, wie viele ihrer Landsleute, nicht in Wut und Hass verharren. „Wenn ich ständig zurückblicke, zerstöre ich mich irgendwann innerlich“, glaubt sie. Man müsse sich entscheiden: verzeihen und nach vorne gehen – oder in der Vergangenheit stecken bleiben.

Huduti lebt heute mit ihrem Mann in Waiblingen, zeitweise auch auf Mallorca. „Ich hätte nie gedacht, dass Deutschland und ich Freunde werden“, sagt Emina Huduti. „Heute ist es meine Heimat – vor allem Stuttgart.“

Was bedeutet eigentlich Resilienz?

Belastbarkeit
Der Begriff der Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, Krisen und starke Belastungen psychisch gesund zu überstehen – und diese Fähigkeit ist nicht primär eine feste Charaktereigenschaft oder ausschließlich genetisch vorgegeben. Vielmehr spielen Bewertungsstil, Wahrscheinlichkeiten, Erfahrungen und soziale Unterstützung eine zentrale Rolle.

Persönlichkeit
Resiliente Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einer Krise nicht sofort in Schwarz-Szenarien verfallen, sondern zumindest die Möglichkeit eines positiven Ausgangs im Blick behalten. Sie suchen weniger nach Schuldigen, sondern nach Auswegen. Allerdings hat Resilienz ihre Grenzen: Wenn jemand sehr viele schwere Krisen durchlaufen hat (mehr als etwa vier große Schicksalsschläge laut Studien), steigt das Risiko, dass die Widerstandskraft überfordert wird. Auch ist die Entwicklung von Resilienz ein längerer Prozess. (nay)