Der Turm und der Chorraum stammen aus der Reformationszeit. Foto: Patricia Sigerist

Der Turm der Lutherkirche wurde vor 500 Jahren in eine unruhige Zeit hinein gebaut. Und das Wahrzeichen von Fellbach hat vielen Turbulenzen in den letzten Jahrhunderten standgehalten – daran wird dieses Jahr erinnert.

Fellbach - Der Turm der Lutherkirche prägt das Bild von Fellbach – seit 500 Jahren. Über seinem Eingangsportal steht die Jahreszahl 1519 in Stein gemeißelt. Der runde Turm-Geburtstag wird dieses Jahr gefeiert – mit einem Vortrag, einer aufwendig recherchierten Broschüre und einem speziellen Rotwein, den die Fellbacher Weingärtner eigens zum Turm-Jubiläum abgefüllt haben.

Der spätmittelalterliche Lutherkirchenturm hat von Anfang an seine heutige Form und Höhe, er wurde zwischen der alten Galluskirche und der Wehrmauer aus großen Sandstein-Blöcken errichtet. Der gotische Chor datiert aus dem Jahr 1524. Das heutige Kirchenschiff mit 1400 Sitzplätzen und zwei Emporen, stammt aus dem Jahr 1779, es wurde aus einem bestehenden verbreitert. In einer Schenkungsurkunde, die aus dem Jahr 1282 datiert, wird erstmals eine Kapelle erwähnt, die wohl schon im 8. Jahrhundert an dieser Stelle gestanden haben dürfte.

Obwohl der Turm der Lutherkirche kaum zu übersehen ist, weiß man nicht sehr viel über seine Anfänge

Für die evangelische Kirchengemeinde war die Lutherkirche über Jahrhunderte das einzige Gotteshaus. Es gab deshalb keine Notwendigkeit, ihr einen Namen zu geben, lange wurde sie „Galluskirche“ genannt. Das änderte sich in den 1920er-Jahren. Fellbach war mittlerweile auf rund 7500 Einwohner angewachsen, eine zweite Pfarrstelle wurde eingerichtet, und der Betsaal reichte für die nördliche Stadt nicht mehr aus. 200 Jahre nachdem die Lutherkirche schon einmal zu eng und deshalb 1779 erweitert worden war, ist dann 1926/27 eine zweite evangelische Kirche an der Bahnhofstraße gebaut worden. Sie erhielt den Namen Pauluskirche. Die „alte Kirche“ am Kirchplatz im Oberdorf wird seitdem Lutherkirche genannt. „Ihr Turm und der Chor stammen aus der Reformationszeit“, lautet die einfache Begründung für diese Namenswahl.

Obwohl der Turm der Lutherkirche kaum zu übersehen ist, weiß man nicht sehr viel über seine Anfänge. Es gibt nahezu keine Dokumente oder Aufzeichnungen. „Das passt zum Spätmittelalter“, sagt Professor Hermann Ehmer. Der Theologe und Historiker war lange Jahre Archivdirektor der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er gilt als Kenner der Reformationsgeschichte im Land und hält am 6. Februar in der Lutherkirche einen Festvortag, bei dem er das Jubiläum in die damals „unruhige Zeit“ einordnen wird.

Die Broschüre ist viel mehr als eine Würdigung des Turms

Theo Lorenz, Siegfried Bihler und Michael Franz von der evangelischen Kirchengemeinde in Fellbach haben in den letzten zwei Jahren viele Schriften gesichtet, in Archiven gestöbert und historisches Material zusammengetragen. Herausgekommen ist die 78 Seiten starke Broschüre „Ein Streifzug durch die Geschichte der Kirche“. Sie ist viel mehr als eine Würdigung des Turms. In ihr erfährt man viel über das soziale und kirchliche Leben in Fellbach, beginnend mit dem Lebenslauf von Pfarrer Kilian Lilienfein, der sein Pfarramt im Jahr 1540 antrat. Auf ihn folgte der „wohl bekannteste Pfarrer der Fellbacher Kirchengeschichte“, Georg Conrad Maickler. Er wirkte von 1610 bis 1647. Übrigens, der älteste Grabstein auf dem alten Friedhof ist der von Pfarrer Johann Georg Müller, er starb 1798. Viele Kollegen von ihm haben ebenfalls ihre letzte Ruhestätte dort gefunden. Zu insgesamt 16 Pfarrern haben die drei Autoren interessante Informationen zusammengetragen und gelangen mit ihrer Chronik bis ins Jahr 1952. Damals ging Pfarrer Johannes Frohnmeyer nach 19 Jahren Tätigkeit in Fellbach in den Ruhestand. Alle 16 haben den Turm, der durch seine majestätische Silhouette mit den Filialen, dem Treppengiebel und dem Osterglockentürmchen herausragt, bereits vorgefunden und ihn ins kirchliche Leben eingebunden. Er war mit dieser mächtigen Architektur zunächst Teil einer großen mittelalterlichen Wehrkirche, zu der Mauern, Wassergräben und Wehrtürme gehörten. Als Bauherr des Turms, der von Anfang an 40 Meter hoch und aus Sandstein gebaut war, wird Peter von Lau angenommen. Sein Name könnte auch Peter von Lon sein, die spätmittelalterliche Schrift in einem Schlussstein in der Turnhalle der Kirche weist darauf hin, ist aber schwer zu entziffern. Das Osterglöckchen auf der Spitze stammt aus der Gießerei Sydler in Esslingen, wog damals 70 Kilogramm und hatte einen Durchmesser von 50 Zentimetern. Später kamen weitere Glocken dazu, die letzten im Jahr 2000. Teilweise wurden die Glocken neu aus Bronze gegossen, da der Stahl zu schwer geworden war.

Bis in die 1950er-Jahre hatte der Turm auf der Westseite keine Uhr

Der Turm hat in seiner 500-jährigen Geschichte auch einiges durchgemacht, zum Beispiel den 30-jährigen Krieg überstanden. Er hat die Zeit der Pest begleitet, an der 1626 die Hälfte der Fellbacher Bevölkerung starb. Im Jahr 1725 schlug um Mitternacht der Blitz in das obere Kirchtürmchen ein. Das Feuer habe schnell gelöscht werden können, liest man in der Broschüre. 1764 wurde das gesamte Holzwerk erneuert, 1779 sind verwitterte Steine ausgewechselt und 1884 der Dachreiter mit neuem Zinkblech verkleidet worden. 1903 ist die Turmuhr und 1924 sind die Filialen aus Sandstein durch solche aus Muschelkalk ersetzt worden. 1970 wechselte man die Sandsteine am Turm aus. 1925 baute die bürgerliche Gemeinde das Kriegerdenkmal an die Nordseite, sodass dort die Zugangstüre zum Turm zugemauert wurde. Bis in die 1950er-Jahre hatte der Turm auf der Westseite keine Uhr, 1966 erhielt er ein elektrisches Uhrwerk, und 1983 wurden die Zifferblätter der Turmuhr ausgewechselt.

Der Turm sei in all dem Wandel „standhaft geblieben“ sagt Oberbürgermeisterin Gabriele Zull in ihrem Grußwort in der Fest-Broschüre. Er sei „ein sprechendes Dokument der Ortsgeschichte“.