Nils Schmid mit Ehefrau Tülay bei der Wahlparty der SPD. Foto: dpa

Die SPD müsse jetzt klären, wie sie ihre gespaltene Anhängerschaft wieder zusammenbringe, sagt ihr Landesvorsitzender Nils Schmid. Einen Rücktritt wegen der Wahlschlappe lehnt er ab.

- Herr Schmid, die SPD hat fast eine halbe Million Wähler verloren, statt 35 sitzen künftig 19 Abgeordnete im Landtag. Wo sehen Sie die Ursachen für diese historische Niederlage?
Wir konnten im Wahlkampf kein eigenes landespolitisches Thema setzen. Es ging vor allem um die Person Kretschmann. DerMinisterpräsident konnte den Amtsbonus voll ausspielen und profierte dabei von der sehr guten grün-roten Regierungsmannschaft. Wenn es um Themen ging, dann um die Flüchtlinge. Da gibt es eine hohe Unzufriedenheit mit den Parteien der Bundesregierung.
In Ihren Reihen sprechen manche von haus-gemachten Problemen – die SPD habe sich zu wenig um die sozialen Probleme gekümmert und die Verunsicherung in der Bevölkerung zu wenig wahrgenommen.
Wir haben in Bund und Land in den vergangenen Jahren starke Zeichen für sozialen Zusammenhalt gesetzt, angefangen vom Mindestlohngesetz und der Rente mit 63, der Abschaffung von Studiengebühren, dem Tariftreue- und dem Bildungszeitgesetz, der Verstärkung des Wohnungsbaus. Das hat leider zu wenig bewirkt und bei dieser Wahl den Unmut und die Unsicherheit nicht nehmen können. Umso wichtiger ist es, dass das von Sigmar Gabriel vorgeschlagene Sozialpaket für Deutschland kommt. Das hilft gegen die Verunsicherung. Bundesfinanzminister Schäuble darf nicht weiter auf seinen Haushaltsüberschüssen sitzen bleiben.
Hätten Sie Ministerpräsident Kretschmann und die Grünen mehr angreifen müssen?
Das kann man im Nachhinein so diskutieren. Die Bürger erwarten von der Regierung allerdings nicht Streit, sondern dass das Land gut regiert wird. Das haben wir getan, leider zu einem hohen Preis: Die Grünen sind gestärkt, wir haben nichts davon.
Die Landes-SPD habe ihren Markenkern verraten, die kleinen Leute fühlten sich nicht mehr von ihr vertreten, rügen Parteifreunde. Ha- ben Sie sich zu sehr um die Mitte gekümmert?
Die Abschaffung der Studiengebühren soll ja gerade Arbeiterkindern das Studium ermöglichen, die neuen Gemeinschaftsschulen und der Ausbau der Ganztagsschulen die Bildungschancen verbessen. Das Gleiche gilt für den sozialen Wohnungsbau, den wir angekurbelt haben. Auch im Bund hat die SPD vieles gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft durchgesetzt. Doch in der aktuellen Diskussion war die Sorge um Arbeitsplatz und Wohnung stärker. An diesen Themen müssen wir dranbleiben.
Südwestmetall hingegen erklärt, wenn sich CDU oder FDP oder beide an der Regierung beteiligten, sichere dies eine stärkere marktwirtschaftliche Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und reduziere ihre bisherige „Fokussierung auf sozialpolitische Themen“...
Daran sieht man, dass man alles so oder so sehen kann. Tatsache ist: Die SPD steht nicht für eine marktradikale Politik zur Verfügung. Wir haben immer betont, dass die soziale Marktwirtschaft Baden-Württemberg stark macht. Dass gute Wirtschaftspolitik gute Arbeit für Unternehmen wie Beschäftigte sichert und nicht einseitig Unternehmen bevorzugt. Ich warne vor einer Rückkehr in Zeiten, in denen die Gewerkschaften am Katzentisch saßen.
Vor einem Jahr haben Sie eine Koalition mit der CDU ausgeschlossen. Seit seiner Wahlniederlage wirbt der CDU- Spitzenkandidat Guido Wolf für eine Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie stehen Sie dazu?
Die CDU hat keinerlei Regierungsauftrag. Den Auftrag zur Regierungsbildung haben die Grünen und Wilfried Kretschmann erhalten. Alles andere hieße, den Wählerwillen zu missachten. Diese wollen, dass Herr Kretschmann Ministerpräsident bleibt.
Morgen soll der Nachfolger von Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel gewählt werden. Ist das sinnvoll?
Das ist Sache der neuen Fraktion.
Sie sind Teil davon. Werden Sie kandidieren?
Das steht nicht zur Debatte.
Vor einem halben Jahr wurden Sie mit 91 Prozent als Parteichef wiedergewählt. Nun fordern manche einen Neuanfang – im Klartext Ihren Rücktritt. Denken Sie an Neuwahlen?
Nein, wir haben die Wahl gemeinsam bestritten, gemeinsam gut regiert und wir werden nun auch gemeinsam die Gründe für den Wahlausgang analysieren, sorgfältig und mit der gebotenen Demut. Ich sehe mich in der Pflicht, die Fragen zu klären, wie wir bei sozialen Themen unsere gespaltene Anhängerschaft wieder zusammenbringen können. Das haben wir seit Jahren nicht mehr geschafft, etwa bei der letzten Bundestagswahl. Mir ist das gelungen mit der Volksabstimmung zu Stuttgart 21. Strittige Fragen wie die Eurorettung und die Aufnahme von Flüchtlingen kann ein Landesvorsitzender oder Landesverband aber nicht allein lösen.