Redebeitrag von Sebastian Hartmann (SPD) bei der hitzigen Debatte über die Wahlrechtsreform Foto: AFP/ODD ANDERSEN

Am Freitag hat die Ampelregierung die Wahlrechtsreform beschlossen. In der Debatte zuvor ging es heftig zu – und manchmal fast wie in einem Fußballstadion.

Irgendwann schob sich Wolfgang Schäuble die Hände vor die Augen – als sei es ihm peinlich, was gerade passiert. Vorn stand gerade Katja Mast, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, um die Wahlrechtsreform der Ampelregierung zu verteidigen. Um diese Änderung ging es nämlich an diesem Tag im Bundestag: jenes Vorhaben der Ampelregierung, das dafür sorgen soll, dass künftig nicht mehr als 630 Abgeordnete im Parlament sitzen.

Widerstand der CDU

Am Freitag hat der Bundestag die Wahlrechtsreform beschlossen. Es ist das größte Parlament, das Deutschland je hatte. Nun hat es sich entschieden, sich zu verkleinern. Künftig soll es 106 Plätze weniger als aktuell geben. Das soll gelingen, indem direkt gewählte Kandidatinnen und Kandidaten nur dann in den Bundestag einziehen dürfen, wenn ihre Partei über die Zweitstimmen ausreichend Sitze bekommen hat. Gelingt das nicht, fallen die Direktkandidatinnen und -kandidaten raus, die ihren Wahlkreis am knappsten gewonnen haben.

Dass eine Reform kommen soll, war seit Jahren klar. Auch Wolfgang Schäuble hatte es in seiner Zeit als Bundestagspräsident versucht – und war daran gescheitert, auch an seiner eigenen Partei. Doch eigentlich wissen alle: Je mehr Abgeordnete in einem Bundestag sitzen, desto teurer wird er. Hinzu kommt, dass mehr Abgeordnete nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führen. Und es bedeutet auch, dass viele Abgeordnete lange warten müssen, bis sie mal im Plenum sprechen dürfen.

Für die Ampelregierung ist die Wahlrechtsreform ein Prestigeprojekt. Es ist ein Gesetz, von dem sich sagen lässt: Das wäre mit der Union nicht passiert. Was die selbst ernannte Fortschrittskoalition als Lob versteht. Dominiert wurde die Debatte im Bundestag von den Oppositionsparteien – vor allem von der Unionsfraktion, aus der ständig Zwischenrufe zu hören waren. Dass die Union, besonders die CSU, die Reform ablehnt, ist verständlich. Denn für die CSU sind die Direktmandate besonders wichtig: Alle CSU-Abgeordneten wurden mit der Erststimme gewählt.

Wüste Worte

Nach der Änderung ist es möglich, dass künftig nur noch wenige von ihnen einziehen könnten – oder sogar keiner. Denn mit der Wahlrechtsreform will die Ampelkoalition auch die Grundmandatsklausel streichen. Diese sieht vor, dass eine Partei in den Bundestag einzieht, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen hat – auch dann, wenn sie bei den Zweitstimmen nicht auf die erforderlichen fünf Prozent gekommen ist. Das ist künftig nicht mehr möglich.

Die CSU erreichte die fünf Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl ganz knapp. Die Linke verfehlte sie sogar. Sie ist derzeit nur im Parlament vertreten, weil sie von der Grundmandatsklausel profitierte: Sie gewann drei Direktmandate und sitzt deshalb – gemäß dem bisherigen Wahlrecht – mit 39 Sitzen im Bundestag.

Laute Rufe aus den Unionsreihen

Dass sowohl die Linke als auch die CSU um ihre Existenz fürchten, war bei der Debatte zu spüren. Als der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann als erster Redner ans Pult trat, dauerte es keine zwei Minuten, bis die Unionsfraktion zu hören war. Es wurde gelacht, gepöbelt und immer wieder dazwischengerufen. Als die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sprach, tönte es aus der Union: „Das ist Kommunismus!“. Und auch: „Schweinerei!“

Besonders laut wurde es, als die SPD-Abgeordnete Katja Mast sprach. Fast erinnerte die Atmosphäre im Plenarsaal da an ein Fußballstadion. Es war jener Moment, in dem Wolfgang Schäuble seine Hände über die Augen schob. Deutlich wurde aber auch die Linke. „Ich wünsche Ihnen politisch alles erdenklich Schlechte!“, rief der Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte den Fraktionen der Ampelparteien zu und sprach von „bigotter Arroganz“.

Irgendwie eine CSU-Debatte

Die Redebeiträge der Ampel-Abgeordneten gingen dagegen fast unter. Alle Rednerinnen und Redner betonten, dass die Regierung eine Reform an sich selbst vornehme und wie wichtig es sei, den Bundestag zu verkleinern. Am ehesten dürfte wohl ein Satz von Konstatin Kuhle hängen bleiben, dem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion, der sagte: „Die CSU schafft es, jede Debatte über die Wahlrechtsreform zu einer Debatte über die CSU zu machen.“ Er schien Recht zu behalten.

Zur allgemeinen Unruhe gesellten sich noch unzählige Kurzinterventionen und Zwischenfragen. Fast ganz am Ende meldete sich CDU-Chef Friedrich Merz zu Wort, der die ganze Zeit über bemerkenswert ruhig gewesen war. Er klang zunächst so leise, dass er aufgefordert wurde, lauter zu reden. Er bat die Ampelkoalition darum, die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben, um noch einmal über die Grundmandatsklausel nachzudenken. Friedrich Merz’ Ansinnen fand keine Zustimmung. Am Ende stimmte die Ampel für die Reform.