Nicht einmal ein Viertel der Landtagsabgeordneten sind Frauen – von „Repräsentanten“ der Bevölkerung kann da keine Rede sein. Foto: dpa

Die Grünen drängen: Damit im Landtag endlich mehr Frauen vertreten sind, soll das Parlament zügig ein neues Wahlrecht beschließen. Doch der Koalitionskompromiss erntet Widerspruch. Der angepeilte Konsens wird ein hartes Stück Arbeit.

Stuttgart - Das Landtagswahlrecht lässt Frauen nicht hoch kommen: eine Behauptung, die sich mit Blick auf das Ergebnis vom 13. März nur schwer widerlegen lässt. Gerade mal 35 der 143 Abgeordnete des neuen Landtags sind weiblich. Das bedeutet 24,5 Prozent und magere 5,7 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Bei ihren Koalitionsverhandlungen hatten die Grünen also gute Argumente, um auf ihre alte Forderung nach einer Wahlrechtsreform zurückzukommen. Letztlich mit Erfolg: Die CDU lenkte ein.

„Damit der Landtag die baden-württembergische Gesellschaft künftig in ihrer ganzen Breite besser abbildet, werden wir ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste einführen“, heißt es nun im Koalitionsvertrag. Und in den Nebenabreden: „Dabei werden wir das Einstimmenwahlrecht beibehalten.“

Die dürren Sätze haben es in sich: Sie führen dazu, dass die Parteien künftig mehr Einfluss darauf erhalten, wer ein Mandat erreicht, weil sie über die Zusammensetzung der Liste entscheiden. Das ist zwar in den meisten Ländern und im Bund der Fall, doch im Südwesten bedeutet dies eine Zeitenwende. Zumal Grün-Schwarz ein Wahlrecht anpeilt, das es so noch gar nirgends gibt: Die Wähler entscheiden mit ihrem einzigen Kreuz nicht nur über Wahlkreiskandidaten, sondern wählen auch eine geschlossene Landesliste. Schon jetzt lässt sich absehen, dass viele Abgeordnete damit Probleme haben: Sie fürchten, dass damit die persönliche Leistung im Wahlkreis in den Hintergrund tritt - zu Gunsten von Strippenzieherei in der Partei.

Es bleibt bei einer Stimme

Bis zur nächsten Wahl im Jahr 2021 ist es zwar noch eine Weile hin. Doch die Grünen drängen, denn die Reform wird Zeit benötigen – auch weil es guter Brauch ist, dabei alle Fraktionen einzubinden. „Wir dürfen das Thema nicht auf die lange Bank schieben, denn wir sind alle unter Zugzwang“, sagt die Landtagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Partei, Thekla Walker. Noch in diesem Herbst werde ihre Fraktion – sie ist die größte im Parlament – einen Fahrplan für das weitere Vorgehen vorschlagen. Um die Konsenssuche nicht zu erschweren, ist für sie die Koalitionsvereinbarung in diesem Punkt nicht in Stein gemeißelt, sondern nur der Ausgangspunkt für Verhandlungen.

Doch sie ist von dem grün-schwarzen Kompromiss überzeugt. Das Ein-Stimmen-Prinzip habe den Vorteil, dass für den Bürger alles beim Alten bleibe, begründet Walker das Modell. Gleichzeitig haben Parteien die Möglichkeit, auf einer Liste Menschen in den Landtag zu schicken, die sonst bei der Kandidatenkür häufig an den festgefügten Machtverhältnissen in den Kreisverbänden scheitern. „Die Platzhirsche haben eindeutig den Vorteil“, sagt der Wahlforscher Jürgen Falter.

Taktisches Wählen wie bei der Bundestagswahl, bei der man Erst- und Zweitstimme an unterschiedliche Parteien vergeben kann, ist damit allerdings nicht möglich. „Das Beibehalten der einen Stimme war eher unser Wunsch“, sagt Thomas Blenke, der für die CDU das Wahlrecht mit ausgehandelt hat. Dahinter steht ein klares Kalkül: Starke Parteien wie Grüne und CDU mit vielen Direktmandaten profitieren vom Ein-Stimmen-Prinzip. Die schwächeren Parteien sehen das deshalb anders. „Für die FDP-Fraktion ist die Einführung der Zweitstimme wünschenswert“, sagt ihr Vorsitzender Hans-Ulrich Rülke.

Eine „kleine“ Landesliste?

Eine komplette Mandatsvergabe über eine Landesliste – auf Direktmandate können die Liberalen kaum hoffen - hält Rülke innerhalb seiner Fraktion aber auch nicht für mehrheitsfähig. Die Chance, über eine Zweitauszählung, bei der ein gutes Wahlergebnis zählt, ins Parlament zu gelangen, müsse gewahrt bleiben. Das wäre zum Beispiel mit dem Modell der „kleinen Landesliste“ der Fall, die das Wahlrecht ergänzen könnte. Soll heißen: Neben den 70 direkt gewählten Abgeordneten zieht ein Teil wie bisher über eine Zweitauszählung, ein weiterer Teil aber über eine Liste in den Landtag ein. Dieses Modell schwebt offenbar auch der grün-schwarzen Koalition vor.

Der SPD-Abgeordnete Peter Hofelich sorgt sich um etwas ganz Anderes: „Viele Menschen behaupten, die Politik sei zu weit weg von ihnen: Das kann man nicht damit kurieren, dass man eine landesweite Liste einführt, auf deren Zusammensetzung der Wähler keinen Einfluss hat.“ Natürlich sei die aktuelle Repräsentanz von Frauen im Landtag nicht akzeptabel, und der Druck für eine Reform wachse. Doch die müsse so nah wie möglich an den Wahlkreisen sein. Soll heißen: Auch das persönliche Abschneiden der Abgeordneten bei den Wahlen muss zählen. Wie man dies erreicht, ob mit einer „kleinen Landesliste“ oder dem bayrischen Wahlrecht, lässt Hofelich einstweilen offen.

Wenn Abgeordnete aufeinander treffen, kommt es bisweilen schon zu hitzigen Diskussionen. „Manche wollen gar nichts ändern“, sagt Walker und macht Reformgegner in allen Fraktionen aus – auch in der eigenen. „Die Grünen haben’s doch auch mit diesem Wahlrecht geschafft, fast 50 Prozent weibliche Abgeordnete zu bekommen“, gibt SPD-Fraktionsvize Sascha Binder zu bedenken. Doch das setzt voraus, dass alle Parteien bei der Kandidatenaufstellung eine Quote vorgeben – was CDU und FDP aber ablehnen.

Und was, wenn sich im Landtag keine große Mehrheit findet? Notfalls, so Grünen-Chefin Walker, müsse man über andere Wege nachdenken. Wenn sich gar nichts bewege, könnte man das neue Wahlrecht auch nur mit Regierungsmehrheit verabschieden.