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Ratlosigkeit und Entsetzen bei der CDU-Party - Mappus: Trage Verantwortung "voll und ganz".

Stuttgart - Politische Kernschmelze. Für die CDU atomisierten sich Zehntausende Stimmen Vorsprung auf die Grünen. Fassungslos blicken die Christdemokraten auf das, was ihrer Meinung nach die Atomkatastrophe in Fukushima in der Landeshauptstadt angerichtet hat.

Reinhard Löffler ist ein Sieger der traurigen Gestalt. Er ist der letzte von vier Abgeordneten, die von der Stuttgarter CDU noch in den Landtag geschickt werden. Um 20.10 Uhr, als die Trauerreden bei der Wahlparty im Stuttgarter Ratskeller eigentlich schon gehalten sind, taucht der 56-Jährige im Saal Graf Eberhard auf. Sieger sehen irgendwie anders aus: "Eine verdammt bittere Pille", nennt der Gewinner des nördlichen Wahlkreises den Wahlabend. Sein Trost: "Freunde stehen auch in schlechten Zeiten zusammen." Was soll er sich auch anderes sagen: Satte 14600 Stimmen Vorsprung hatte er vor fünf Jahren auf die Konkurrenz der Grünen. Jetzt sind davon 3900 übrig geblieben.

Das ist immerhin noch etwas. Thomas Bopp, der Regionalpräsident und Kandidat auf den Fildern, hat nicht einmal 12600 Stimmen Vorsprung auf die Grünen über die Ziellinie bringen können. Dass er nun hauchdünne 300 Stimmen zurückliegt, nennt er "ein achtbares Ergebnis". Ach, dieses Japan: "Ein Erdbeben 10000 Kilometer entfernt hat bis in unseren Wahlkreis Auswirkungen gehabt."

Dabei hatte es anfangs noch gar nicht endgültig nach einer Katastrophe ausgesehen. Die ersten Hochrechnungen wurden von den Parteifreunden zwar erschrocken zur Kenntnis genommen - doch die Sitzverteilung mit möglichen Überhangmandaten machte noch Hoffnung. "Das könnte noch klappen", meinte einer. "Entscheidend ist, wie viele Mandate wir verteidigen", machte der Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann schon nach der Prognose um 18.07Uhr seinen Christdemokraten Mut. Er wirbt fürs Büfett - mit Putengeschnetzeltem, Leberkäs und Maultaschen. Immerhin: Die Linken haben's nicht geschafft.

Christoph Palmer war einstiges Aushängeschild der Stuttgarter CDU, früherer designierter Kronprinz des Ministerpräsidenten Erwin Teufel, Ex-Staatsminister, der kommende Mann, bis ihn eine Ohrfeige gegen Parteifreund Joachim Pfeiffer stoppte. Dieser Christoph Palmer erkennt die Unverdaulichkeit des Wahlabends viel früher. Kurz vor 19 Uhr, als allgemein noch von Zittern und Bangen gesprochen wird, gibt er den Wahlkreis Neckar verloren. Dort hat seine Frau Christine Arlt-Palmer kandidiert - und sie liegt hinten.

Palmer ist längst raus aus dem politischen Geschäft. Aber die Verluste kann er noch immer richtig einordnen. "Als Erstes habe ich nach den Briefwahlergebnissen gefragt, aber da ist der Trend gleich", schüttelt er den Kopf. Wie war das noch vor fünf Jahren - als er, damals Kreisvorsitzender, im Ratskeller stolz den Gewinn aller vier Mandate verkünden durfte. Er selbst hatte die Filder mit 8000 Stimmen Vorsprung auf die SPD gewonnen. Jetzt sagt er: "Japan war entscheidend in den Schlussminuten, aber es ist müßig, darüber nachzudenken, was ohne diese Umweltkatastrophe gewesen wäre." Welchen Trost er für seine Frau habe? "Das Leben geht weiter." Am Ende fehlen seiner Frau 558 Stimmen.

Andrea Krueger ist im Innenstadt-Wahlkreis die Verliererin der Verlierer. Minus 11000 Stimmen auf die Grüne Muhterem Aras - das ist ein wirklicher Erdrutsch. Vor fünf Jahren war sie noch 3500 Stimmen vorne. "Wir werden alles versuchen, dass die Welt in Stuttgart bei der nächsten Wahl wieder in Ordnung ist", sagt die ehrenamtliche Bezirksvorsteherin hilflos.

Um 19.46 Uhr muss Michael Föll, Finanzbürgermeister und seit 2008 Palmers Nachfolger im Amt des Stuttgarter CDU-Kreisvorsitzenden, die Niederlage der Christdemokraten offiziell verkünden: "Es ist ein bitterer Abend für uns, eine Zäsur für die CDU", sagt er im Ratskeller. Dies werde auch das Gefühl der nächsten Monate sein. Die CDU habe glücklos agiert, und dann sei noch das Pech dazugekommen: "Japan war eine der wesentlichen Ursachen", sagt Föll, "ich sehe keinen spezifischen Stuttgart-21-Faktor für das Ergebnis in der Landeshauptstadt."

Die Enttäuschung ist riesig. Wie soll man die treuen Parteifreunde im Ratskeller überhaupt motivieren? Welches Trostpflaster gibt es? Keines. "Wir müssen uns auf die neue Rolle einstellen", ruft Föll ins Mikrofon, "die CDU wird in Stuttgart wieder dort ankommen, wo sie hingehört, an die Spitze." Der Kreisverband, sagt Föll, habe noch "genug Substanz und Kraft".

Im Nachhinein hat sich das Lebensmotto der CDU-Kandidatin Christine Arlt-Palmer übrigens als prophetisch erwiesen: "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist", zitiert sie Thomasi di Lampedusa, "dann muss sich alles verändern." Jetzt ist sie Ex-Landtagsabgeordnete.