Der Politologe André Brodocz ist skeptisch, was eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung angeht. Foto: STZ

Am Mittwoch wird in Thüringen der Ministerpräsident gewählt. Möglich wäre eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, doch ein Politikwissenschaftler gibt einer solchen Konstellation wenige Chancen.

Herr - Professor Brodocz, was macht die Ministerpräsidentenwahl am Mittwoch in Erfurt so spannend?

Dass ihr Ausgang tatsächlich sehr offen ist. Wir haben keine Regierungsmehrheit im Thüringer Landtag. Deshalb steht eine Minderheitsregierung zur Wahl, der eine Opposition aus CDU, FDP und AfD gegenüber steht, die mehr Stimmen hat als Rot-Rot-Grün, die sich aber nicht einig ist, ob sie gemeinsam regieren will.

Alle Beobachter schauen jetzt auf das Verhalten der CDU. Wie ist deren Lage?

Die Lage in der CDU ist das eigentliche Problem in Thüringen, da die Partei in der Fraktion und im Landesvorstand überhaupt nicht entschieden ist, ob sie sich in Richtung der Linken oder der AfD öffnen soll. Vor der Wahl hat die CDU jedwede Koalition mit beiden ausgeschlossen. Sie kann sich in der Frage jetzt also nicht bewegen, obwohl die Situation es zu erzwingen scheint. Es fehlt ihr eine klare Führung, die sie aus dem Dilemma führt.

Am spannendsten scheint der dritte Wahlgang zu sein, wenn für den Posten des Ministerpräsidenten eine einfache Mehrheit genügt. Es gibt neben dem linken Ramelow noch den von der AFD angekündigten parteilosen Kandidaten Christoph Kindervater. Bleibt es dabei?

Es sind im dritten Wahlgang noch Spontankandidaturen möglich, also auch von FDP und CDU. Die FDP hat bereits beschlossen, dass sie im dritten Wahlgang ihren Fraktionsvorsitzenden Thomas Kemmerich aufstellen will. Ihr Argument ist, dass man einen Kandidaten aus der bürgerlichen Mitte als Alternative zu Bodo Ramelow anbieten will. Wir haben nach jetziger Lage also drei Kandidaten. In der FDP heißt es aber, man würde, falls die AfD ihren Kandidaten vor dem dritten Wahlgang zurückzieht, auch Kemmerich nicht nominieren.

Ist es denn denkbar, dass CDU, Liberale und AfD nun alle geschlossen den FDP-Mann wählen, um unbedingt ein Rot-Rot-Grünes Regierungsbündnis zu verhindern?

Die Wahl ist geheim und es ist nicht auszuschließen, dass die die AfD-Abgeordneten genau so eine Überlegung im dritten Wahlgang anstellen. Im Wissen, dass ihr Kandidat nicht gewählt wird, könnten auch die AfD-Landtagsabgeordneten für den FDP-Bewerber stimmen. Es könnte also passieren, dass wir am Ende - ganz aus Versehen - einen FDP-Ministerpräsidenten vor uns haben.

Wird die CDU auch noch einen Kandidaten aus dem Hut zaubern?

Ganz auszuschließen ist das im Moment sicher nicht. Auch der AfD-Kandidat ist sehr spontan aufgetaucht. Es ist nicht auszuschließen, dass die CDU noch einen eigenen Kandidaten erwägt. Die CDU hat in den letzten Wochen viel angekündigt und ihre Position oft geändert, eine Überraschung ist sicher noch möglich. Ein denkbarer Schachzug könnte sein, dass auch die CDU einen Parteilosen vorschlägt, der von CDU, FDP und AfD gewählt wird. Damit wäre sicher gestellt, dass niemand aus der CDU mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsident gewählt wird - das ist aber reine Spekulation.

Noch ein Szenario: Ramelow tritt alleine an im dritten Wahlgang, erhält aber mehr Nein als Ja-Stimmen. Gibt es da ein Verfassungsproblem?

Dieses Szenario ist derzeit die unwahrscheinlichste Variante. Sie träte allenfalls ein, wenn der AfD-Kandidat selbst nicht mehr zur Verfügung steht im dritten Wahlgang. Die Verfassungslage ist im Wortlaut nicht eindeutig geregelt: Gewählt ist im dritten Wahlgang, wer die einfache Mehrheit der Stimmen auf sich vereint. Wie aber die Wahl durchzuführen ist, da gibt es keine konkreten Hinweise, auch nicht in der Geschäftsordnung des Landtags. Es gibt eine Meinung, dass Ramelow nicht gewählt sei, wenn er mehr Nein-Stimmen erhält als Ja-Stimmen. Das Problem entsteht aber nur, wenn man die Wahl als eine Ja-Nein-Abstimmung gestaltet. Aber auch Direktkandidaten für Bundestag oder Landtage werden ja nicht mit Ja- oder Nein-Stimmen gewählt, man kreuzt in der Regel einen Namen an, und wenn es nur einen gibt, ist das Ergebnis klar: Entweder man wählt ihn oder man enthält sich, indem man seinen Namen nicht ankreuzt.

Trotzdem erwägt die CDU eine Klärung vor dem Landesverfassungsgericht.

Ich denke, dass auch der Verfassungsgerichtshof zu keinem anderen Ergebnis kommen wird, als dass eine Wahl mit mehr Nein-als Ja-Stimmen trotzdem mit der Verfassung im Einklang steht. Wir hatten diese Situation in Thüringen aber noch nicht. Als Christine Lieberknecht 2009 als Ministerpräsidentin in Erfurt zur Wahl stand, musste sie trotz einer Mehrheit ihrer CDU-SPD-Koalition in den dritten Wahlgang. Damals trat aber Ramelow als Gegenkandidat an. Da war die Entscheidung klar, Lieberknecht oder Ramelow, und wir hatten das Problem nicht.

Falls es doch zu einer Tolerierung von Rot-Rot-Grün kommen sollte: Gibt es denn Schnittstellen des linken mit dem rechtsbürgerlichen Block?

Schnittstellen sind schwer zu finden. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der ein Kompromiss ist aus den drei Parteiprogrammen von Linken, SPD und Grünen. Da musste jeder Zugeständnisse an den anderen machen. Jetzt in Einzelfragen auf die CDU oder FDP zuzugehen und mit den eigenen Kompromissen nochmals einen Kompromiss einzugehen hätte zur Folge, dass einer Koalitionspartner auf der Strecke bleibt. Das hält die Koalition nicht lange aus. Selbst wenn es vielleicht beim Thema Infrastruktur oder der Finanzierung der Kommunen Schnittstellen zur Zusammenarbeit gäbe, es würden Spannungen in der Koalition hineingetragen. Ich gebe einer Minderheitsregierung wenig Chancen auf eine lange Amtszeit.

Ist sie also eine Sackgasse?

Ja, ich würde sie als Sackgasse bezeichnen. Ich rechne damit, dass die Regierung spätestens im Herbst bei den Entscheidungen über den nächsten Haushalt keine Mehrheit im Landtag mehr finden wird. Der Ministerpräsident wird dann die Vertrauensfrage stellen müssen und dabei scheitern. Es wird danach auf Neuwahlen hinauslaufen.