Olaf Scholz lässt sich vom SPD-Bundestagsabgeordneten Macit Karaahmetoglu und den Zuschauern in Ludwigsburg feiern. Foto: Simon Granville

Im Ludwigsburger Scala spricht Olaf Scholz vor Bürgerinnen und Bürgern, die meisten haben Migrationshintergrund. Inhaltlich liefert der Bundeskanzler nichts Neues und ist unkonkret – dennoch fliegen ihm die Herzen der Zuhörer zu.

Der Saal im Ludwigsburger Scala ist bis auf den letzten Platz besetzt. Laut SPD waren alle Tickets innerhalb von eineinhalb Tagen vergriffen. Aus den Lautsprechern dröhnt türkische Popmusik, auf der Empore richten Dutzende Journalisten ihr Equipment ein. Unten, vor der Bühne, begrüßen sich die Vorsitzenden der wichtigsten islamischen Verbände des Landes. Das Publikum ist für Bundeskanzler Scholz günstig gestimmt: fast ausschließlich SPD-Mitglieder oder -Sympathisanten.

 

Einer von ihnen ist Abdulla Emili. Eigentlich, sagt der Rechtsanwalt, sei er kein typischer Sozialdemokrat. Heute wolle er sich jedoch ein Bild vom Kanzler machen. Früher habe er wegen der Wirtschaftspolitik die CDU gewählt, erzählt Emili. „Dieses Jahr habe ich aber ein Problem mit deren Kandidaten.“ Friedrich Merz’ Äußerungen zur Migration in den vergangenen Wochen hätten ihn und viele andere türkischstämmige Bürger abgestoßen. Deshalb steht für ihn schon jetzt fest: Am 23. Februar wählt er Scholz und die SPD.

Der „Made in Germany Bonus“

Bei seinem Auftritt in Ludwigsburg skizziert der Bundeskanzler kaum Zukunftsvisionen. Stattdessen nutzt er die Gelegenheit, gegen die Union zu sticheln und den Zusammenhalt zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu betonen. Das hat seinen Grund: Die türkischstämmige Community ist eine wichtige Wählerbasis für Scholz – die schätzt den Kanzler besonders wegen eines politischen Engagements.

Zwei Wochen vor dem Urnengang antwortet Olaf Scholz bei der Wahlkampfveranstaltung am Freitagvormittag auf viele Publikumsfragen erstaunlich vage. Wie weitermachen mit den USA? „Wir wollen auch in Zukunft gute Beziehungen.“ Wie soll die Ukraine unterstützt werden? „Deutschland ist bereits der größte Unterstützer der Ukraine.“ Wie kriegen wir den Fachkräftemangel in den Griff? „Wir müssen Möglichkeiten schaffen, wo sich Menschen und Firmen finden.“

Nur bei der Frage nach der Wirtschaftskraft des Landes präsentiert Scholz eine konkrete Idee. Der „Made in Germany Bonus“ soll Unternehmen mit unbürokratischen Steuerprämien fördern – allerdings nur, wenn sie in Deutschland investieren. „Die Union will einfach für alle Unternehmen die Steuern senken, egal, wo sie investieren.“

Die großen Themen während des Auftritts in Ludwigsburg sind jedoch die Migration und die Wertschätzung für die ausländischen Communitys, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Gleich zu Beginn richtet Scholz den Blick auf die jüngste Migrationsdebatte im Bundestag. In der deutschen Demokratie, betont er, stimme man nicht mit Rechtsextremen ab. Friedrich Merz und die Union hätten ein Tabu gebrochen – und das für ein Gesetz, das nie den Bundesrat passiert hätte. „Ein Tabubruch für nichts. Das bedrückt mich sehr.“

Das Scala ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Foto: Simon Granville

Ein junger Stuttgarter namens Hakan meldet sich zu Wort. Er sei in Deutschland geboren und aufgewachsen, fühle sich aber immer noch als Bürger zweiter Klasse. „Das beginnt beim Türsteher vor der Disco und reicht bis zur Wohnungssuche.“ Politisch, so Hakan, bestätigten CDU und AfD diese Diskriminierung. Scholz entgegnet, die SPD habe durch ihre Politik Diskriminierung in jeglicher Form verboten. „Wir müssen aber auch das gesellschaftliche Klima ändern. Ich drücke mich nicht davor und stelle mich vor Menschen mit Migrationshintergrund.“

Man müsse die Geschichte der Migration als das erzählen, was sie ist, so Scholz: eine Erfolgsgeschichte. „Der deutsche Wohlstand basiert auch darauf, dass fast ein Drittel der Menschen einen Migrationshintergrund hat.“ Mehr Anerkennung und Wertschätzung für diese Leistungen gebe es nur mit der SPD, lautet die Botschaft.

Deutschtürken feiern Scholz für doppelte Staatsbürgerschaft

Auch wenn die Bindung im Gegensatz zum vergangenen Jahrhundert bröckelt, gewinnen Sozialdemokraten immer noch viele Stimmen aus migrantischen Gemeinschaften. Besonders türkischstämmige Wähler setzen ihr Kreuz mehrheitlich bei der SPD. 2017 zeigte eine Studie der Universitäten Duisburg und Köln, dass 35 Prozent der Menschen mit türkischen Wurzeln die SPD unterstützten. Das Meinungsforschungsinstitut Data4U kam 2021 sogar auf einen Zuspruch von 44 Prozent.

Die Nähe zwischen Deutschtürken und der Sozialdemokratie zeigte sich, als Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinschaft in Deutschland, das Wort ergriff. „Ich will Ihnen danken, dass sie sich trotz der vielen Krisen in den vergangenen Jahren für die doppelte Staatsbürgerschaft eingesetzt haben.“ Tosender Applaus. Auch andere Menschen im Publikum loben Scholz während ihrer Wortbeiträge für das sogenannte Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz und betonen, welchen Wert dieses für Menschen mit Migrationshintergrund hat.

Seit den 1980ern habe er sich für dieses Thema eingesetzt, betont Scholz. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei eine „riesige Errungenschaft“, die man gegen CDU und AfD verteidigen müsse.

„Ich werde häufiger auf den Tisch hauen“

Corona
Olaf Scholz äußert sich am Freitagvormittag in Ludwigsburg auch zu anderen Themen. Angesprochen auf die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Kinder und Jugendlichen sagt Scholz beispielsweise : „Es wurde zu viel zugemacht, das alles hat der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen nicht gut getan.“ Als Bundesregierung stehe man in der „Schuld, die Dinge in Zukunft besser zu machen“.

Kommunikation
Die Ampel-Regierung sei nicht so ineffizient gewesen wie viele denken, sagte eine Ludwigsburgerin in einem Wortbeitrag. Wieso hat man die Erfolge nicht besser kommuniziert? „Ich habe in den letzten Jahre gelernt, dass ich laufend kommentieren muss, damit Menschen wissen, woran sie sind. Ich werde in Zukunft häufiger auf den Tisch hauen, damit alle mitkriegen und wissen, welche Kompromisse auf dem Tisch liegen.“