Friederike Herrmann rät dazu, nicht über jedes Stöckchen der AfD zu springen. Foto: Universität Eichstätt

Spitzenpolitiker von Union und SPD haben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Mitschuld für den AfD-Wahlerfolg gegeben. Die Eichstätter Kommunikationswissenschaftlerin Friederike Herrmann widerspricht – sieht aber auch Versäumnisse der Medien.

Stuttgart - Die Wahlverlierer von CSU und SPD machen die Medien für das Erstarken der AfD mitverantwortlich. Die Eichstätter Professorin Herrmann rät zu einer Reflexion des öffentlichen Diskurses.

Frau Herrmann, Union und SPD machen dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Vorwurf, die AfD erst groß gemacht zu haben. Sind ARD und ZDF schuld daran?
Ich glaube, dass diese einfachen Schuldzuweisungen vor allem eine Entlastungsfunktion haben sollen. Da hat man einen Sündenbock gefunden. Es gibt eine berechtigte Kritik an den Medien insgesamt über den Umgang mit dem Flüchtlingsthema und mit der AfD. Sie haben Fehler gemacht, gerade in der letzten Phase des Wahlkampfs. Darüber müsste man reden. Aber ich finde es falsch, jetzt auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten einzuschlagen, die noch immer für einen vernünftigen Diskurs in Deutschland sorgen. Ein Bashing gegen ARD und ZDF ist genau im Sinne von Rassisten.
CSU-Spitzenkandidat Herrmann hat gedroht, dass darüber „noch zu reden sein“ werde. Gehen die großen Parteien noch von einem Staatsfernsehen aus, das sie über die Rundfunkgremien beeinflussen?
Wenn das als Drohung gemeint war, wäre dies natürlich absurd. Wir haben kein Staatsfernsehen, das ist ein gefährlicher Begriff, der falsche Assoziationen weckt. Aber natürlich gibt es immer wieder Versuche der Parteien, Einfluss zu nehmen.
Kritikwürdig finden die Wahlverlierer vor allem die TV-Talkshows, die zu oft Themen zur Flüchtlingskrise oder zur Sicherheit behandelt hätten. 2016 habe dies jede zweite Talkshow betroffen. Damit seien Ängste geschürt worden. Ist das Argument berechtigt?
Das Argument ist richtig. Es gilt übrigens auch für die Printzeitungen. Das Thema Flüchtlinge wurde beispielsweise in den Monaten Oktober und November 2015 vor allem aus einer innenpolitischen Sicht behandelt, im Mittelpunkt stand die Auseinandersetzung Seehofer gegen Merkel, wie ich in einer Studie gezeigt habe. Thema war die Obergrenze, Flüchtlinge und Helfer verschwanden dahinter. Und es war über Monate tagtäglich das am häufigsten behandelte Thema. Selbst bei einer differenzierten Darstellung mussten die Bürger schon aufgrund der Masse der Berichterstattung das Gefühl bekommen: Wir werden von Flüchtlingen überrollt – obwohl ihr Alltag ganz normal weiterging. Das war fatal. Da muss man die Mechanismen des öffentlichen Diskurses neu reflektieren.
Gerade die SPD wirft ARD und ZDF vor, Themen der sozialen Gerechtigkeit vernachlässigt zu haben, die die Menschen sehr interessieren würden. Dies mag auf das vielkritisierte Kanzler-Duell zutreffen – aber sonst?
In dem TV-Duell war die Themensetzung in der Tat sehr einseitig und falsch gewichtet. Insgesamt bräuchte man dazu eine sehr differenzierte Erhebung. Es ist nicht einfach eine Frage der Sendezeit, die man einem Thema gibt. Der öffentliche Diskurs funktioniert viel komplizierter. Man kann schon sagen, dass die sozialen Themen gemessen an ihrer Relevanz derzeit eine zu geringe Rolle spielen. Und das Flüchtlingsthema – zumindest in der einseitigen Art, in der es diskutiert wird – eine zu große.
Auch der Deutsche Kulturrat beklagt, dass die Medien über jedes Stöckchen gesprungen sind, das die AfD hingehalten hat?
Der Vorwurf ist durchaus berechtigt. Erregungsthemen laufen immer gut. Deshalb hat die AfD eher zu viel Aufmerksamkeit erhalten. Auch in der Werbung gilt, dass die häufige Namensnennung eines Produkts wichtig ist – der Kontext ist eher egal. Man muss nicht auf jede Provokation reagieren und darüber die politischen Inhalte vernachlässigen. Das gilt auch für die Online-Medien. Die Medien insgesamt können bestimmte gesellschaftliche Debatten massiv verstärken. Von der Verantwortung kann man sie nicht freisprechen. Da sind wir auch an der Universität gefragt, so etwas stärker in der Ausbildung zu berücksichtigen.

Außerdem: Wie blicken Journalisten selbst auf ihre Berichterstattung über die AfD? Roland Pichler, ist Korrespondent im Hauptstadt-Büro der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Im Video gibt er Einblicke in seine Recherchen zur AfD.