So weit oben steht er ungern. Lieber ist er direkt vor den Biertischen, bei den Leuten: Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler in Bayern Foto: dpa

Bei der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober hat die CSU die absolute Mehrheit verloren. Die Freien Wähler würden gerne beim Regieren helfen – haben die Herrschenden aber oft genug bis aufs Blut gereizt.

Karpfham - Ohne Tross ist er einmarschiert, ohne Musik, ohne Video-Brimborium. Irgendwann steht er unter den gut 500 Menschen, schüttelt Hände, als würd’ er jeden persönlich kennen: „Ah, bis vo Ingolstadt seid’s kemma! So weit her!“ Die örtlichen Landtagskandidaten dürfen sich noch schnell vorstellen, jeder einen Satz, höchstens zwei. Dann ist er selber dran: Hubert Aiwanger, 47, Chef der Freien Wähler in Bayern. Ach was, Chef. Gesicht. Verkörperung. Die Ein-Mann-Show, wie Kritiker sagen.

Aiwanger steht also in einem Bierzelt, und zwar dort, wo Bayern gar nicht bayerischer sein könnte: im Rottal kurz vor Passau, in Karpfham, wo die Landmaschinenausstellung fast größer ist als das berühmte Volksfest. Da spricht er als geborener Bauer zu Bauern. Über Bürokratie („Stress ohne Ende“), Erzeugerpreise („die Landwirte werden als billige Rohstofflieferanten missbraucht“), gegen die Agrarindustrie und überhaupt darüber, dass man sich auf den Dörfern – „da heraußen“, sagt Aiwanger – als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt fühlt.

An den Graswurzeln

Hier ist Aiwanger in seinem Element. Die Freien Wähler in Bayern propagieren sich als die „Partei des ländlichen Raumes“, als „Graswurzelpartei“, weil sie sich tief im Volk verankert fühlt, weil sie das Gras wachsen hört, wo die CSU im Rausch ihrer absoluten Mehrheit die Bodenhaftung verloren habe. Die Freien Wähler, das ist die Partei vieler Bürgermeister und Landräte; all jener, die bürgerlich-konservativ so denken wie die CSU, aber in bayerischem Rebellionsgeist nicht eine Kraft wählen wollen, die ihnen zu selbstherrlich vorkommt.

„Als Freie Wähler sind wir unabhängig von Konzernspenden“, sagt Aiwanger: „Die CSU dagegen kann bei vielen, auch großen Themen nicht im Sinne der Bürger agieren. In der Dieselaffäre steht sie an der Seite der Autohersteller, nicht der Autobesitzer.“ Und: „Es reicht einfach nicht zu sagen, Bayern ist schön, und der Himmel ist blau, und wir sind die Besten.“ Die CSU habe politisch „nicht die Liebe zum Detail, die klopfen oberflächliche Sprüche, und da, wo man’s brauchen würd’, da fehlen dann die Hebammen, die Lehrer, die Polizisten, und das schnelle Internet funktioniert ned.“

Aiwanger stellt seine Freien Wähler als Partei der Praktiker und des gesunden Menschenverstandes einer „ideologisch“ denkenden CSU gegenüber. Und er hat bei den Regierenden bittere Feindschaft erweckt dadurch, dass er immer wieder „Aufregerthemen“ entdeckt, mit denen er die CSU vor sich hertreiben kann: die „Strabs“ zum Beispiel, die „Straßenausbaubeiträge“, zu welchen bayerische Gemeinden ihre Bürger heranziehen konnten und die viel Unmut ausgelöst haben. Aiwanger hat dagegen im Wahljahr ein Volksbegehren angeleiert, und die CSU hat schnell verstanden, dass ihr das gefährlich werden konnte. Flugs hat sie die „Strabs“ im Juli abgeschafft.

Gegen „Narrische“ in der Regierung

Im Landtag gehört Aiwanger zu den besten Rednern. Er spricht immer frei; gestanzte Formeln sind ihm zuwider, und authentisch wechselt er zwischen Dialekt und Hochdeutsch, ohne dass ein Stilbruch auffiele. In die Regierung kommen würde er schon gerne; sein Liebeswerben vor den Burgtoren der CSU gibt er derart offen zu, dass sich Ministerpräsident Markus Söder gerne lustig macht über diesen Oppositionellen, von dem er sich „schon fast gestalkt“ fühle.

Auch unter den Freien Wählern regt sich Widerstand gegen Aiwangers Regierungskurs. „Pass bloß auf!“, sagen ihm die Bauern in Karpfham: „Wennst des a so machst, sogn de Leit, dann kannt ma glei de Schwarzn wähln!“ Und: „Mir lass’ma uns vo der CSU fei ned verbiagn. Lieber gemma wieder in d’Opposition!“

„Is eh klar“, antwortet Aiwanger. Aber er will verhindern, dass „a paar Narrische“ in die künftige Landesregierung kommen; er will nicht, dass die CSU nach dem erwarteten Verlust ihrer absoluten Mandatsmehrheit am 14. Oktober mit Roten oder Grünen koalieren und die Freien Wähler dabei zuschauen. „Des is de schlechtere Variante!“

Pragmatisch bis populistisch sind die Freien Wähler unterwegs; von der „deutlich rechtsradikalen, nicht koalitionsfähigen“ AfD grenzt sich Aiwanger glasklar ab. Wenngleich die „großen Fehler“ in der Ausländerpolitik, dass Zehn- oder Hunderttausende unregistriert ins Land gekommen seien, „ausgebügelt“ werden müssten. Allerdings, im Sinn des heimischen Mittelstands: „Wer für den Arbeitsmarkt brauchbar ist, soll auch arbeiten dürfen.“

Problem Großstadt

Aber wie kommt die „Partei des ländlichen Raumes“ in der Großstadt München an, wo die Wahlen entschieden wird? Da wird’s dünner. Obwohl: Aiwanger sagt, man habe gerade in München bei den letzten Wahlen den Zuspruch regelmäßig verdoppelt; mit Themen wie „Kostenlose Kitas!“, „Gegen Nachverdichtung!“ und „München darf nicht aus allen Nähten platzen!“, rechnet er auch diesmal mit 50 Prozent Stimmenzuwachs. Für die urbane Klientel in München stellen die Freien Wähler wieder einen Hochschulprofessor zur Wahl: den Politologen Michael Piazolo (58), der seit zehn Jahren im Landtag sitzt. Auch die Fans von TV-Shows bekommen bei den Freien Wählern etwas geboten: Es kandidiert Alexander Hold, der Fernsehrichter, der auch im praktischen Leben Jurist ist.

Die Vormittagsstunde ist um; beim Karpfhamer Volksfest drängt der Wirt, damit der normale Bierbetrieb losgeht. Hubert Aiwanger legt das Mikrofon zur Seite: „Alles Gute Ihnen“, sagt er noch: „Es lebe Bayern.“ Und dann geht er so unauffällig, händeschüttelnd und schulterbeklopft, wie er gekommen ist.