Marietta Tidei und Michael Link von der OSZE am Montag in Moskau. Foto: AP

Im Auftrag der OSZE hat Michael Link die Wahl in Russland beobachtet. Im Interview erklärt er, ob die Wahl korrekt ablief, ob sie auch hätte anders ausgehen können und wie Deutschland und Europa mit Russland zukünftig umgehen sollten.

Berlin - Am Montag stand es fest: Wladimir Putin ist erneut zum Präsidenten Russlands gewählt worden – bis 2024. Mit 76, 67 Prozent konnte er die Wahl am vergangenen Wochenende für sich entscheiden. Michael Link hat für die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) die Wahl beobachtet und kritisiert im Interview mit unserer Zeitung die fehlende demokratische Kultur im Vorfeld.

Herr Link, Wladimir Putin ist erneut zum russischen Präsidenten gewählt worden. Lief seine Wahl korrekt ab?
Rein formal lief der Wahlvorgang weitgehend korrekt ab, soweit wir das beobachten konnten.
Konnten mit Videoüberwachung der Wahllokale und einer elektronischen Auszählung Manipulationen verhindert werden?
Video kann helfen, jedoch bleiben Manipulationen bei der Auszählung nach wie vor möglich. Organisierte Manipulationen konnten wir bis Montagmittag jedoch nicht feststellen.
Eine andere Frage dürfte sein, ob sich Putin unabhängig vom reinen Wahlakt mit demokratischen Mitteln die Macht gesichert hat. Wie bewerten Sie, was im Vorfeld des Urnengangs geschehen ist?
Ernsthafte Mitbewerber wie Alexej Nawalny sind von den Behörden frühzeitig aussortiert worden. Der Wahlkampf war geprägt durch einen omnipräsenten Präsidialkandidaten einerseits und sieben „sonstige“ Kandidaten andererseits, die sich gegenseitig in niveaulosen Fernsehdebatten schlecht machten. Dadurch und durch komplizierte Hürden bei der Kandidatenregistrierung konnte kein Gegenkandidat Profil gewinnen oder gar in Reichweite eines Sieges gelangen.
Es hätte also nicht einmal in der Theorie jemand Anderes gewinnen können?
Diesmal in der Tat nicht. Demokratische Alternativen, Bewerber mit Format und echte Streitkultur fallen aber allesamt nicht vom Himmel. Mit dieser Wahl wurde dieser Prozess erneut ersetzt durch einen ritualisierten Wahlkampf, in dem keiner außer dem Amtsinhaber eine Chance hatte.
Die Polizei ist noch am Samstag gegen Anhänger Nawalnys vorgegangen, Bürger sollen gedrängt worden sein, zur Wahl zu gehen. Können die OSZE-Wahlbeobachter dies bestätigen?
Wir haben vielfältigen Druck auf Menschen beobachtet, zur Wahl zu gehen. Anhänger kritischer Geister wie Nawalny wurden mehrfach eingeschüchtert.
Wie haben Sie die Stimmung im Land am Wahltag wahrgenommen?
Ruhig. In Moskau eher passiv, und geprägt von landesweiten Festlichkeiten zum vierten Jahrestag der Annexion der Krim.
Verleiht die OSZE-Mission einer solchen Wahl, bei der das demokratische Defizit nicht im Wahlakt selbst, sondern im Drumherum zu suchen ist, nicht fragwürdige Legitimität?
Einspruch! Wenn Sie unsere Erklärung zur Wahl lesen, sehen Sie, dass die OSZE Wahlbeobachtungen äußerst ernst nimmt und diese Wahlen methodologisch und systematisch in die Tiefe gehend beobachtet hat. Wären wir nicht hier gewesen, gäbe es keine unabhängige Stimme, die diese Wahl unbeeinflusst von außen beobachtet. Darin sehe ich einen großen Gewinn für die internationale Öffentlichkeit, denn durch unseren Bericht können sich Interessierte ein ungeschminktes Bild der Lage verschaffen.
Wie müssen Deutschland und Europa jetzt mit Putin umgehen? Geht er gestärkt und noch unnachgiebiger aus der Wahl hervor? Oder sehen Sie jetzt eher eine Chance, mit ihm über die Ukraine oder Syrien zu verhandeln, da er nicht mehr im Wahlkampfmodus sein wird?
Sie sollten aus unserem Bericht den Schluss ziehen, dass Rechtsstaats- und Grundrechtsthemen im Dialog mit Russland auf die Tagesordnung gehören – schließlich ist Russland Unterzeichner der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dadurch entstehen bindende Pflichten Russlands, die zu überwachen Sache aller Mitglieder des Europarats ist.
Und was ist außenpolitisch nun zu tun?
Ich bin sehr dafür, Russland als wichtigen und gewichtigen Partner für eine echte Friedenspolitik in der Ukraine und in Syrien zu gewinnen. Diesen verstärkten Dialog fordert die FDP seit langem. Leider fehlt es bisher an der Bereitschaft Moskaus, ernsthaft auf diese Vorschläge zuzugehen. Sowohl in Syrien als auch in der Ukraine fährt Moskau einen Kurs der reinen Machtvermehrung. Bereitschaft zu Entspannung? Leider Fehlanzeige! Vielleicht gelingt nun nach der Wahl und im Vorfeld der Fußball-WM ein neuer Prozess der Vertrauensbildung.