Im Herbst 2014 gingen die Bilder von der „Regenschirm-Revolution“ um die Welt. Foto: dpa

An diesem Wochenende zeigen Chinas Kommunisten wieder ihren Einfluss in Hongkong. Eine Wahlversammlung bestimmt den neuen Stadtchef, und zwar ganz im Sinne Pekings. Schon jetzt ist sicher, dass die 59-jährige Beamtin Carrie Lam gewinnen wird.

Peking - Wie ein Netz von Fäden breitet sich über Hongkong der Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas (KP) aus. In den Redaktionen sitzen immer mehr ihrer zuverlässigen Gefolgsleute, die Firmenchefs unterstützen ganz offen die Machthaber vom Festland – und Peking diktiert unverhohlen, wer an den politischen Schaltstellen sitzen soll. An diesem Wochenende zeigen die Kommunisten wieder ihren Einfluss. Eine Wahlversammlung bestimmt den neuen Stadtchef, und zwar ganz im Sinne Pekings. Schon jetzt ist sicher, dass die 59-jährige Beamtin Carrie Lam gewinnen wird. Sie ist die erklärte Wunschkandidatin der KP.

Demokratie-Aktivisten halten es für sehr wahrscheinlich, dass die jungen Leute der Stadt bald wieder auf die Straße gehen, um ihr Recht auf freie Wahlen einzufordern. „Die Auswahl des Chief Executive ist eine Farce“, sagt Nathan Law von der Partei Demosisto. Law ist mit 23 Jahren der jüngste Abgeordnete des Stadtparlaments, das am Sonntag abstimmt. Doch das demokratische Lager ist in der Wahlversammlung nur schwach vertreten. Sie besteht vor allem aus Abgesandten der Wirtschaftsverbände. Diese stimmen traditionell mit Peking, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden.

Im Juli ist das nächste Großereignis, an dem sich Proteste entzünden können

Die politische Temperatur steigt wieder. Das nächste politische Großereignis, an dem sich Proteste entzünden können, steht im Juli an. Dann jährt sich die Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China zum zwanzigsten Mal. Staatspräsident Xi Jinping – oder ein hochrangiger Stellvertreter – wird anreisen und eine Truppenparade abnehmen. Die Studenten und ihre Unterstützer empfinden das als Provokation. In der Stadt könnte dann wieder die Hölle los sein. Im Herbst 2014 haben mehr als 150 000 junge Leute – zu Spitzenzeiten auch mehr – gegen die Repression durch Peking demonstriert. Bilder des „Regenschirm-Aufstands“ gingen um die Welt, nachdem die Studenten die Innenstadt abgeriegelt hatten. Die vormals unpolitische Jugend Hongkongs wurde mit einem Mal aktiv. Die Proteste verliefen gewaltfrei und haben sich wieder aufgelöst. Doch seitdem köchelt es in Hongkong.

Die Eingriffe Pekings hinterlassen auch einen Teil der Hongkonger Elite tief enttäuscht. „Wir begriffen die Übergabe 1997 als Chance“, sagt Anson Chan, damals Verwaltungschefin und später Parlamentsabgeordnete. Sie habe die Zusicherung Pekings ernst genommen, in Hongkong die Demokratie zu erhalten. „Ein Land, zwei Systeme“, hieß das Schlagwort. Doch stattdessen versuche die chinesische Regierung heute, Hongkong der eigenen Staatsform unterzuordnen. Hongkong war auch unter den Briten fremd beherrscht. Doch im Rückblick ziehen viele Bewohner der Stadt die aufgeklärte Herrschaft der Queen der harten Hand der Kommunisten vor.

Die aktuelle Regierung unter Präsident Xi Jinping hat einen totalen Machtanspruch

In den ersten Jahren nach der Übergabe hatte sich Peking weitgehend aus den Angelegenheiten der Wirtschaftsmetropole herausgehalten. Doch die aktuelle Regierung unter Präsident Xi Jinping hat einen totalen Machtanspruch. „Die Rechtsstaatlichkeit, die Transparenz und die effiziente Verwaltung sind unsere großen Pluspunkte“, sagt die 77-jährige Chan. Die Briten mögen als Kolonialherren gekommen sein, doch sie haben eine unabhängige, faire Justiz hinterlassen. Zusammen mit der freien Presse und der geringen Korruption sei das ein wichtiger Grund für internationale Firmen, sich hier anzusiedeln. In der Volksrepublik drohen dagegen willkürliche Übergriffe der Behörden.

Dennoch unterstützen die reichen Wirtschaftskapitäne der Stadt den Kurs Pekings. Ihre Haupteinnahmequellen sind die Märkte für Immobilien, Aktien und andere Anlagegüter. Die Beziehungen zu China sind wichtig für die Entwicklung ihrer Vermögen: China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und wächst schnell. Das Ergebnis ist eine Spaltung der Hongkonger Gesellschaft, sagt der Politologe Joseph Cheng, emeritierter Professor an der City University of Hong Kong. Die Jugend sowie der gebildete Teil der Gesellschaft befürworteten Pressefreiheit und den Kampf für mehr Demokratie. Die weniger gebildeten Schichten seien auf der Seite der Wirtschaft und wollten die starke Macht China nicht verärgern. Doch unterm Strich bleibt eine große Veränderung, die sich nicht zurückdrehen lässt: Die einst passive Finanzmetropole ist politisch geworden.