Im dritten Anlauf will Österreich an diesem Sonntag seinen Bundespräsidenten wählen. Die Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus, spannend soll es werden. Mal wieder. Denn der Wahlkampf verliert nach und nach seinen Sinn. Zu diskutieren gibt es ohnehin nichts.
Wien - Wer das Tütchen Weingummi und die Postkarte mit dem lächelnden Alexander Van der Bellen wohl nehmen wird? „Meistens weiß man es schon vorher“, sagt Judith Schwentner, die Abgeordnete der Grünen, die in Graz um Stimmen für ihren Kandidaten kämpft. Untrügliche Zeichen sind offener Blick, offenes Hemd, offener Mantel: Da kommt sicher ein freundliches Kopfnicken, ein einvernehmliches Lächeln.
„Den wähl‘ ich eh“, versprechen der Politikerin im Vorbeigehen reihenweise junge Leute im Studentenalter, auch wenn sie keinen Weingummi wollen – ängstlich darauf bedacht, nur ja nicht irgendwie für Hofer-Wähler gehalten zu werden. Bei den Familien, die in Trauben vom Bahnhof her in die Altstadt gelaufen kommen, ist dagegen wenig zu holen. Stur an der Schwentner vorbei schließlich gehen die Leute mit den bunten Freizeitjacken und den langweiligen Schuhen. „Steckt’s euch das wohin“, schimpft leise eine Frau in den Fünfzigern, ein wenig erschrocken vor der eigenen Vulgarität.
Jetzt stehen „oben“ gegen „unten“
Seit die Österreicher im März zum ersten Mal zur Wahl eines Staatspräsidenten an die Urnen gerufen wurden, hat der Wahlkampf nach und nach seinen Sinn verloren – nicht nur der klassische mit Prospekten und Kundgebungen. Erhitzte Kontroversen in der Straßenbahn, wie noch vor dem ersten Wahlgang, finden nicht mehr statt. Nur zu Hause vor dem Computer versichern die Wähler in ihren Facebook-Blasen einander ihre Gesinnungstreue. Zu diskutieren gibt es ohnehin nichts.
In der ersten Runde vor acht Monaten ließ der grüne Van der Bellen noch mit der Ankündigung aufhorchen, er würde als Präsident den rechten Scharfmacher Heinz-Christian Strache nicht zum Bundeskanzler machen. Der „blaue“ Norbert Hofer von der FPÖ wollte dagegen die Regierung entlassen, „wenn sie dem Land Schaden zufügt“, und schloss drohend: „Sie werden sich wundern, was alles gehen wird.“ Beide wollen nun nichts mehr davon hören.
Vor der US-Wahl im Oktober dann, nach einem annullierten ersten und einem abgesagten zweiten Wahlgang, stritten nicht mehr Links und Rechts. Jetzt stehen „oben“ gegen „unten“, „Establishment“ gegen „Volk“. Das Stichwort war von Hofer gekommen, dem Biedermann aus dem Burgenland. Gleich als die beiden Kandidaten das erste Mal in einem Fernsehduell aufeinandertrafen, zählte Van der Bellen, der gelassene, stets ein wenig selbstironische Wirtschaftsprofessor mit dem Dreitagebart, die vielen Prominenten auf, die sich für ihn aussprachen – und die man gewiss nicht für Grüne oder Linke halten konnte: den früheren EU-Kommissar Franz Fischler etwa, einen Mann der konservativen ÖVP. Den steinreichen Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner. „Sie haben die Hautevolee“, konterte der brave Hofer aus dem kleinstädtischen Einfamilienhaus, „ich habe die Menschen.“
„Ich geh’ eh nicht wählen“
Anders als im einkaufslustigen Graz trifft man in der Kleinstadt Kapfenberg, fünfzig Autominuten nördlich, Wählermassen überhaupt nur an Werktagen. Aber selbst dann ist vor der Edelstahlfabrik von Böhler-Uddeholm das Verteilen von Werbematerial vergebene Liebesmüh. Schon grimmig kommen die Arbeiter aus dem Werktor, den Blick auf den Boden geheftet. „Ich geh‘ eh nicht wählen“, sagt ein Endzwanziger mit Löwen-Sweatshirt, der Einzige, der sich überhaupt zu einem Kommentar herablässt. „Und wenn doch, dann bestimmt nicht diesen Deppen!“ Elfi, eine Lehrerin um die sechzig, die ihre Van-der-Bellen-Postkarten verteilen will, ist erschüttert. „Wieso wird dieser freundliche, ganz und gar gemäßigte Kandidat bloß so sehr gehasst?“
Van der Bellen hätte die Rolle nicht annehmen müssen. „Establishment“ sind die Grünen im konservativen Österreich wirklich nicht – jedenfalls weniger als die rechte FPÖ mit ihren allwinterlichen „Akademikerbällen“ und schlagenden Burschenschaftlern. Noch immer umweht ein leiser Hauch von Verruchtheit und Marihuana die ewige Oppositionspartei, mit der auf Bundesebene noch nie jemand hat koalieren wollen. Aber als die Rolle des großen Repräsentanten sich bot, griffen Van der Bellen und sein Wahlkampfteam bereitwillig zu. Reihenweise bekannten sich Prominente, Reiche und Mächtige zu dem einstigen Rebellen – fast alles, was in Österreich Rang und Namen hat. Die bekanntesten Manager werben für den Professor. Der Schlagersänger Rainhard Fendrich, der mit seinem Evergreen „I Am From Austria“ seit einem Vierteljahrhundert alle Skihütten des Landes beschallt, bekannte sich zu Van der Bellen und verbot den national gesinnten „Blauen“, sein Lied zu spielen. Selbst der Kardinal von Wien ließ vorsichtige Sympathie für den konfessionslosen Grünen erkennen. Umgekehrt schminkte dessen Wahlkampfteam den durch und durch urbanen Zigarettenraucher zum Alm-Öhi um, ließ ihn in Trachtenjacke auftreten und verkaufte das Tiroler Kaunertal, wo der Innsbrucker als Kind seine Ferien verbrachte, als seine „Heimat“. Der Kandidat ließ es über sich ergehen.
Eine Erklärung für die Stille
Die Rolle des Rebellen bleibt dagegen frei; auch Norbert Hofer will sie nicht annehmen. Im krassen Gegensatz zu seinem Gesinnungsgenossen Donald Trump vermeidet der sauber gescheitelte 45-Jährige peinlich jeden konfrontativen Ton. Die „Ausländer“, über Jahrzehnte der Joker jeder FPÖ-Wahlkampagne, sind kein Thema mehr. Anfangs punktete Hofer in den wöchentlichen „TV-Duellen“ noch mit rhetorischen Tricks, gab sich getroffen von vermeintlich unfairen Anfeindungen, unterstellte der Moderatorin Parteilichkeit und unterbrach den Gegenkandidaten, treuherzig lächelnd, mit nur scheinbar harmlosen Unterstellungen. Seit sich herumgesprochen hat, dass man seine Kniffe bis in Einzelheiten im Lehrbuch für „NLP“, eine manipulative Gesprächstechnik, nachlesen kann, nimmt er sich zurück. Nur ja nicht anecken, keine Angriffsfläche mehr bieten: Peter Filzmaier, Österreichs bekanntester Wahlforscher, hat für den krassen Unterschied zur amerikanischen Kampagne eine Erklärung. Trumps rüpelhafter Ton habe in den USA mit ihrer traditionell niedrigen Wahlbeteiligung erst einmal erfolgreich für Aufmerksamkeit gesorgt. In Österreich sei das dagegen nicht nötig.
Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Wähler am Sonntag auch noch ein drittes Mal zur Urne gehen wollen – womöglich sogar in noch größerer Zahl. Aber es gibt noch eine andere Erklärung für die Stille. Rund um Parlament und Kanzleramt in Wien am Ring, nur einen Steinwurf entfernt von den riesigen, von slowakischen, ungarischen, kroatischen Touristenbussen umstellten Adventsmärkten, haben die geschäftigen Herren in den modisch knappen Sakkos die Präsidentenwahl am Sonntag schon abgehakt.
Sozialdemokraten wollen Verhältnis zur FPÖ überdenken
Wahlkämpfe sind für die offene Bühne, Politik wird hinter den Kulissen gemacht: Österreichs ungeschriebenes Grundgesetz hat auch der Streit um das Präsidentenamt nicht außer Kraft setzen können. Als wäre der Ausgang am Sonntag egal, nehmen die Parteien schon Aufstellung für die nächste Schlacht. 2017 und 2018 stehen vier Landtagswahlen an. Obendrein ist eine vorgezogene Neuwahl und damit das Ende der rot-schwarzen Koalition nicht ausgeschlossen. Nicht von ungefähr wollen die Sozialdemokraten ihr Verhältnis zur FPÖ überdenken.
In der vergangenen Woche traf sich SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern öffentlich zu einem überraschend artigen Meinungsaustausch mit Heinz-Christian Strache, dem FPÖ-Chef, der unter einem Präsidenten Hofer Bundeskanzler werden will. Da werde Hofer sich bedanken, so das erschrockene Van-der Bellen-Team. Wer würde sich noch vor einem Hofer fürchten, wenn der Kanzler sogar mit dem angriffslustigen Strache so gut kann? Umgekehrt, schallt es aus Kanzler Kerns Umgebung zurück: Nach dem Treffen könne Hofer sich schlecht noch als Alternative zum Parteienkartell verkaufen. Wem es nützt, ist gar nicht mehr das Thema – viel mehr interessiert, wer bei den Van-der-Bellen-Weingummis zugreifen wird.