Am Sonntag müssen sich die Franzosen zwischen Macron und Le Pen entscheiden – wer wird Frankreich als nächstes regieren? Foto: AFP

In Frankreich stehen nur noch zwei vermeintliche Außenseiter zur Wahl. Viele Franzosen würden am Sonntag wohl am liebsten zu Hause bleiben. Doch genau das könnte nicht nur das Land, sondern ganz Europa in eine schwere Krise stürzen.

Paris - Nach einer außergewöhnlichen Präsidentschaftswahl wird Frankreich künftig eine außergewöhnliche Staatsführung haben - so viel steht schon fest. In der Stichwahl am (morgigen) Sonntag tritt eine Rechtsextremistin gegen einen früheren Investmentbanker an, Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron. Wer von beiden in den Élysée-Palast einziehen darf, wird vor allem davon abhängen, wie sich die Anhänger der abgehängten klassischen Parteien entscheiden.

Die Umfragewerte sind eigentlich eindeutig: Mit etwa zwanzig Prozentpunkten Vorsprung dürfte der politische Emporkömmling Macron demnach gewinnen. Doch ein Restrisiko bleibt. Denn in allen Parteien, die im ersten Wahlgang vor zwei Wochen das Nachsehen hatten, hat der liberale Kandidat auch etliche Gegner. Die Frage ist daher, ob ihnen das Verhindern von Le Pen wichtig genug ist, um überhaupt eine Stimme abzugeben.

Seit dem Zweiten Weltkrieg war die politische Landschaft in Frankreich von zwei großen Lagern geprägt: die Sozialisten auf der einen Seite, die Konservativen auf der anderen. Das System war lange sehr stabil - angesichts der sich ändernden Zeiten aber vielleicht etwas zu stabil.

Rassistische Parolen von der Front National

Die beiden Volksparteien verloren zunehmend den Bezug zum Volk. Und die rechtsextreme Front National verstand es geschickt, die Enttäuschten einzufangen. Die Folgen der Globalisierung und zuletzt die terroristischen Anschläge brachten das etablierte System weiter ins Wanken.

Le Pen hat die Präsidentschaftswahl als „Zivilisationsentscheidung“ bezeichnet, als eine Wahl zwischen Frankreich und dem Islam. Mit zum Teil offen rassistischen Parolen verspricht sie, das Land gegen Einwanderer abzuschotten. Sie will Frankreich aus der EU und aus dem Euro herausreißen und stattdessen ein neues Bündnis mit Russlands autokratischem Präsidenten Wladimir Putin eingehen.

Macron dagegen ist überzeugter Europäer und zugleich Liebling der französischen Wirtschaft. Und im direkten Fernsehduell am Mittwoch zeigte er vor einem Millionenpublikum, dass er trotz seines jungen Alters das Zeug zum Staatsmann haben könnte. Trotz der aggressiven, auf Halbwahrheiten oder gar Lügen basierenden Attacken Le Pens blieb er sehr souverän. Alles sieht daher danach aus, als bräuchte die Rechtsaußen-Kandidatin ein Wunder, um doch noch eine Chance zu haben.

Macron gilt vielen als Marionette der Finanzelite

Ob Macron mit seinen jüngsten Auftritten seine Kritiker überzeugen konnte, ist dennoch fraglich. Im linken politischen Spektrum gilt er vielen weiterhin als Marionette der Finanzelite. Konservative Kreise sehen ihn als abgespeckte Version des unbeliebten Amtsinhabers François Hollande - zumal Macron für einige Zeit als Wirtschaftsminister im Kabinett des Sozialsten saß.

Macron ist sich der Gefahr einer Überraschung bewusst. Im Endspurt warnte er seine Kritiker deswegen noch einmal gezielt vor der Alternative: „Das Schlimmste ist nicht unmöglich“, sagte er in einem am Donnerstag verbreiteten Video. Gemeint war das Risiko bei geringer Wahlbeteiligung. Sollten zu viele der etwa 47 Millionen Wahlberechtigten aus Ärger über Details am Sonntag einfach zu Hause bleiben, könnte es tatsächlich noch einmal knapp werden.

Wie leicht die Stimmung kippen kann, zeigte sich in der vergangenen Woche in der Stadt Amiens. Macron war zu einem eher gewöhnlichen Wahlkampfauftritt angereist. Doch da plötzlich tauchte auch Le Pen auf und stahl ihm die Show, indem sie sich demonstrativ mit Arbeitern einer örtlichen Whirlpool-Fabrik solidarisierte, die ihre Produktion nach Polen verlagern will. Als sich Macron den Arbeitern stellte, wurde er ausgepfiffen.

Wahlsieg Macrons gilt als wahrscheinlich

Moralisch punkten konnte der Liberale dagegen beim Besuch von Kriegsgedenkstätten, wo er die Wähler noch einmal daran erinnerte, dass Jean-Marie Le Pen, der Vater und politische Mentor seiner Rivalin, sowohl den Holocaust als auch die Kollaboration Frankreichs mit den deutschen Nazis verharmlost hat.

Gerade wegen des extremistischen Gedankenguts der Front National, das von einer klaren Mehrheit der Franzosen abgelehnt wird, gilt ein Wahlsieg Macrons als wahrscheinlich. Das heißt allerdings nicht, dass das Regieren für ihn einfach werden würde. Denn die erst im vergangenen Jahr von ihm gegründete Partei En Marche! ist im Parlament bisher gar nicht vertreten.

Auch nach der im Juni bevorstehenden Parlamentswahl dürfte Macron stets darauf angewiesen sein, Kompromisse einzugehen, um Mehrheiten zu finden. Bei der von ihm angekündigten Arbeitsmarkt-Reform müsste er mit heftigem Widerstand von Seiten der in Frankreich mächtigen Gewerkschaften rechnen. Und angesichts der anhaltenden Terrorgefahr gilt im Land darüber hinaus noch immer der Ausnahmezustand.

Um während der Wahl selbst für Sicherheit zu sorgen, werden 50 000 Polizisten und Soldaten im Einsatz sein. In den französischen Überseegebieten wird bereits am (heutigen) Samstag gewählt. Erste Prognosen zum Ausgang der Abstimmung werden unmittelbar nach Schließung der letzten Wahllokale am Sonntag um 20 Uhr erwartet.