Anhänger von Recep Tayyip Erdogan feiern den Wahlsieg Foto: AP

Die Nation habe ihm die präsidiale Aufgaben anvertraut, sagt Erdogan nach den Wahlen vom Sonntag. Sein Herausforderer Ince spricht dagegen von Manipulation. Wenig später ruft die Wahlkommission Erdogan zum Sieger aus.

Ankara - Recep Tayyip Erdogan bleibt nach den Präsidenten- und Parlamentswahlen an einer umgebauten Staatsspitze der Türkei. Nach Auszählung von 97,7 Prozent der Stimmen wurde er in der Nacht zum Montag von der Wahlkommission zum Sieger erklärt. Damit ist er der erste Staatschef im von ihm 2017 durchgesetzten Präsidialsystem. Während der Wahl hatten Oppositionspolitiker aber Unregelmäßigkeiten gemeldet.

„Die Nation hat mir die Verantwortung der Präsidentschaft und exekutiven Pflicht anvertraut“, erklärte Erdogan am Sonntagabend mit Verweis auf inoffiziell Ergebnisse im Fernsehen. Vor seiner Residenz in Istanbul feierten seine Anhänger und schwenkten türkische Fahnen. In der Nacht zum Montag trat Erdogan auch vor der Zentrale seiner Partei AKP in Ankara auf. „Der Gewinner dieser Wahl ist die Demokratie, der Sieger dieser Wahl ist der nationale Wille“, sagte er vor einer jubelnden Menge. Die Türkei „wird mit so viel mehr Vertrauen in die Zukunft blicken als am Morgen.“

Oppositionelle melden Unregelmäßigkeiten

Nach vorangegangenen Meldungen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu entfiel auf Erdogan eine Mehrheit von 52,5 Prozent der Stimmen, CHP-Kandidat Muharrem Ince landete mit 30,7 Prozent auf dem zweiten Platz. Dritter wurde der inhaftierte HDP-Kandidat Demirtas mit 8,3 Prozent.

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Inoffiziellen Resultaten zufolge hätten fünf Parteien außerdem die Zehnprozenthürde für den Einzug ins Parlament geschafft, ergänzte Güven. Demnach sind es Erdogans Arbeiterpartei AKP, die mit ihr verbündete Nationalistische Bewegung (MHP) sowie die Republikanische Volkspartei (CHP), die prokurdische Partei HDP und die neu gegründete nationalkonservative Gute Partei (Iyi Parti). Vor allem der Einzug der HDP mit 11,5 Prozent der Stimmen gilt als Erfolg, machte die Partei doch Wahlkampf mit neun inhaftierten Abgeordneten, darunter Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas. Tausende HDP-Mitglieder sitzen ebenfalls wegen mutmaßlicher Kontakte zu kurdischen Rebellen im Gefängnis.

Schon während des Votums hatten Oppositionelle Unregelmäßigkeiten gemeldet. Die Aufsichtsbehörden sagten zu, diese zu prüfen. Ince warf Anadolu Manipulation bei ihrer Wahlberichterstattung vor. Auf Twitter schrieb er, tatsächlich seien erst 37 Prozent der Wahlurnen ausgezählt gewesen, als Anadolu bereits von mehr als 85 Prozent gemeldet habe. Erdogans AKP wies das zurück; Regierungssprecher Bekir Bozdag sagte, Ince greife die Nachrichtenagentur an und drohe ihr.

Erdogan bekommt mehr Macht

Erdogan war 2003 Ministerpräsident und 2014 Präsident geworden und kandidierte für eine neue fünfjährige Amtszeit. Die Wahl vom Sonntag schloss den Prozess von einem Parlaments- zu einem Präsidialsystem ab, der im vergangenen Jahr bei einem Referendum seinen Anfang nahm. Im neuen System wird das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft und geht in den Befugnissen des Präsidenten auf. Dieser darf Minister, Vizepräsidenten und ranghohe Funktionäre berufen, Dekrete erlassen, den Haushalt vorbereiten und sicherheitspolitische Entscheidungen treffen.

Erdogan beharrt darauf, dass ausgeweitete Machtbefugnisse für ihn mehr Wohlstand und Stabilität für das Land bedeuten, vor allem nach dem gescheiterten Militärputsch 2016. In dessen Folge wurden rund 50 000 Menschen verhaftet und rund 110 000 Beamte im Rahmen eines Ausnahmezustands gefeuert. Die Opposition wirft Erdogan vor, den gescheiterten Putsch zum Vorwand für die Unterdrückung kritischer Stimmen zu nutzen.

Opposition will Erdogan entgegen treten

Gesetze verabschiedet auch künftig das Parlament, das den Haushalt ratifizieren oder ablehnen kann. Da Erdogan an der AKP-Spitze bleibt, könnte eine loyale Mehrheit im Parlament aus Sicht von Kritikern die Kontrollmechanismen der Gewaltenteilung abschwächen. Zwar büßte seine AKP inoffiziellen Ergebnisse zufolge ihre Mehrheit ein und kommt im künftig 600 Sitze zählenden Parlament auf 293 Mandate. Ihr kleiner Partner MHP, mit der die AKP die Volksallianz bildet, holte indes 49 Sitze. „Obwohl wir unser Ziel im Parlament nicht erreichen konnten, werden wir, so Gott will, in der Volksallianz mit allen unseren Kräften auf eine Lösung hinarbeiten“, sagte Erdogan.

Kandidaten der erstarkten Opposition hatten angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die Türkei zu einer parlamentarischen Demokratie mit einer starken Gewaltenteilung zurückzuführen. Sie wollen einer „Ein-Mann-Herrschaft“ Erdogans entgegentreten.