Ein Zirkusdirektor will sesshaft werden – damit fängt alles an im neuen Stuttgarter Ring: Goran Juric als Wotan im „Rheingold“. Foto: Matthias Ba

Auf sechs Regieteams wurde die Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Stuttgarter Oper verteilt. Die erste Gesamtaufführung zeigt, dass es bei allem Aufbrechen der Totale dennoch Berührungspunkte gibt.

Klar, Brünnhilde hat den Schminkspiegel allzeit bereit. Schnell noch das Make-up auffrischen, bevor es mit Siggi zur Sache geht. Dass sich dann Siegfried bespiegelt, hat nichts mehr mit Kosmetik zu tun. Sondern mit jenem mythischen Moment, der in Jossi Wielers und Sergio Morabitos „Siegfried“-Inszenierung in jugendlicher Unschuld erscheint: der Sehnsucht nach dem großen Unbekannten, dem eigenen Ich. Der Blick in den Spiegel: ein Identitätsschock zwischen narzisstischem Jubel („Das soll ich sein!“), abgründiger Entfremdung („Das soll ich sein?“) und desillusionierendem Imperativ („Schau dir ins Gesicht!“). So weit kommt es mit dem völlig entgleisten Siegfried der „Götterdämmerung“, dem in Marco Stormans Inszenierung die ums Gold beraubten Rheintöchter das Spieglein in der Hand vorhalten. Die Folgen sind tragisch: Der Identitäts- wird zum Erinnerungsschock, die Wahrheit ist die des Scheiterns. Für Götterboss Wotan indes macht die Differenz zwischen Fühlen und Sein, Wunsch und Wirklichkeit die Identität zur Projektion. In der „Rheingold“-Inszenierung Stephan Kimmigs ist er ein Zirkusdirektor, der sesshaft werden will. So bespiegelt sich denn der große Zampano mittels Filmsequenz als noch größerer Immobilienhai. Aber es kommen die Stunden, wo sich Identität nur noch trauernd am Verlorenen festhält: für den in die Machenschaften der eigenen Macht verstrickten Wotan ebenso wie für sein Opfer, die bestrafte Tochter Brünnhilde.