David Lindo schaut bei seinen Exkursionen zum „Urban Birding Foto: Christoph Kutzer

Der Vogelexperte David Lindo hat bei den Wagenhallen sein Buch „#Urban Birding“ vorgestellt. Und bei einer kleinen Exkursion dort den vielen Teilnehmern gezeigt, dass es am Himmel mehr als nur Tauben zu sehen gibt.

S-Nord - Am Himmel über Container City spielen sich dramatische Szenen ab: Ein Turmfalke und eine Krähe haben sich in die Wolle gekriegt und gehen nun immer wieder aufeinander los. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte niemand auf dem Wagenhallen-Areal etwas von diesem Schauspiel am Samstagnachmittag mitbekommen. Glücklicherweise ist David Lindo zur Stelle – der Fachmann für Vogelbeobachtung im städtischen Ambiente.

Lindo sieht vor allem Nistplätze

Anlässlich der Veröffentlichung von Lindos Buch „#Urban Birding“ hat der Kunstverein Wagenhalle den Briten eingeladen, im und um den Projektraum TAUT zu vermitteln, dass es sich lohnt, stärker auf die gefiederten Stadtbewohner zu achten. „Wundern Sie sich nicht, wenn ich Sie nicht ansehe“, gibt Lindo den Teilnehmern der Exkursion über das Container-Areal und den nahen Pragfriedhof, die im Zentrum der Veranstaltung steht, zu verstehen. „Ich schaue immer nach oben.“ Wer darauf geeicht sei, zwischen den Häusern nur Tauben und Spatzen zu entdecken, der werde auch nur Tauben und Spatzen sehen, so der gebürtige Londoner. Er selbst sehe auch keine Gebäude, sondern Felsen und Nistplätze. Sein Credo: „Man muss für das Unerwartete bereit sein. Dann kann man die schönsten Überraschungen erleben.“ Wie bestellt bricht in diesem Moment der Zank zwischen Falke und Rabenvogel los.

Rund 60 Interessierte sind erschienen, um den Mann zu erleben, der in seiner Grundschulzeit von Gleichaltrigen als „Bird Brain“, als Spatzenhirn verhöhnt wurde. Der Andrang ist groß. Der vogelkundliche Spaziergang muss in zwei Gruppen durchgeführt werden. „Natürlich hatten wir gehofft, dass das Thema viele Leute anspricht“, sagt Stephanie Wilhelms vom Kosmos-Verlag. „Wenn wir jemandem von unserem Buch erzählten, waren die Resonanzen immer sehr positiv. Dass hier so viel los sein würde, hätte ich nicht erwartet.“ Vögel beobachten ist in Deutschland immer noch ein eher exotisches Thema. „Vielfach gibt es Berührungsängste, weil erwartet wird, man benötige ornithologische Fachkenntnisse“, weiß Wilhelms. „Es gibt allerdings auch hierzulande ein zunehmendes Interesse an Vogelkunde. „#Urban Birding“ macht mit seinem lockeren Erzählton auch Laien Lust, sich den Piepmätzen in der Umgebung zuzuwenden. Ein Kapitel ist Stuttgart gewidmet. Die Überschrift: „Grüne Stadt mit Amazonen“.

Kunst stärker mit anderen Bereichen verknüpfen

Noch besser ist es, David Lindo, der so gar nicht dem Bild entspricht, das man von einem Ornithologen im Hinterkopf hat, direkt zu erleben. Würde er erzählen, er sei in Stuttgart, um die Clubszene kennen zu lernen– es wäre glaubhaft. Auch dann, wenn man nicht wüsste, dass Lindo bereits als DJ gearbeitet hat. Am Samstag präsentiert er die Songs von Amsel, Zilpzalp und Stieglitz. „Ich liebe es, in einem Wald zu stehen und all diesen Stimmen zu lauschen“, schwärmt er. „Sie verbinden sich zu einem ganzen Orchester.“ Im Kleinen lasse sich das auch vor der Haustür erleben, versichert der Vogelfreund: „Nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit, öffnen Sie ihre Sinne und Sie können mitten in der Stadt ein spirituelles Erlebnis haben.“

Das Wagenhallen-Gelände bietet mit seiner Mischung aus Baustelle, Kulturschutzgebiet und Baumbestand die ideale Kulisse für den Erstkontakt mit Urban Birding. „Wir befinden uns hier in einem Zwischen-Raum“, erklärt Robin Bischoff, der Vorsitzende des Kunstvereins. Der Besuch von David Lindo ist für ihn Ausdruck des Bestrebens, Kunst noch stärker mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu verknüpfen. „Die Erkenntnis, dass man nicht in die Natur hinausfahren muss, um Vögel zu beobachten, berührt Fragen der Stadtplanung und Stadtentwicklung“, überlegt er. „Das sind auch zentrale Themen der temporären Stadt Container City. Diese Buchpräsentation passt also hervorragend hierher.“ – „Wir wollen zeigen, dass man kein Leica-Fernglas für 3000 Euro braucht, um die Vogelwelt als Bereicherung wahrnehmen zu können“, schaltet sich Heiko Fischer ein, der das Buchprojekt betreut hat. „Ich habe gestern Abend am Olgaeck eine Mönchsgrasmücke gehört. So etwas kann ein ganz besonderer Moment sein.“