Ein Mann trägt im syrischen Aleppo nach einem Luftangriff ein schreiendes Kind weg. Foto: dpa

Im Bürgerkriegsland Syrien soll die Waffenruhe am Samstag um 00.00 Uhr Ortszeit in Kraft treten. Die Aussichten, dass die Diplomatie eine Ausweg sind eher gering, meint unser Kommentator.

Stuttgart - Nach 1807 Tagen Krieg soll jetzt also in Syrien nicht mehr geschossen, bombardiert, massakriert werden. Zumindest nicht mehr so wie seit dem 17. März 2011. Dem Tag, als der syrische Präsident Baschar al-Assad erstmals sein Volk niederkartätschte. Die Truppen des Diktators wollen in den kommenden 14 Tagen keine Rebellen mehr töten. Die mit ihm verbündeten Milizionäre der iranischen Regierung, die von den Teheraner Ajatollahs unterstützten Hisbollah-Terroristen und die russischen Soldaten in der Levante wollen es ihm gleichtun.

Komplizierte Waffenruhe

Auch die Aufständischen – mit zwei Ausnahmen in den vergangenen Wochen vom Westen kurzerhand zu „Gemäßigten“ deklariert – wollen ihrem Feind Assad und seiner Soldateska erst einmal nicht mehr an die Kehle. Im Gegenteil: Wenn geschossen wird, dann wollen Rebellen und Regierungstruppen gemeinsam auf die Terroristen des El-Kaida-Ablegers Jabhat al-Nusra und des Islamischen Staates (IS) schießen. Und die Türken wollen weiter auf die syrischen Kurden der YPG feuern, die nördlich von Aleppo den Dschihadisten der Islamischen Front zu Leibe rücken: Es ist wohl eine der kompliziertesten Waffenruhen, die sich Diplomaten je ausgedacht haben.

Terroristen haben keine Mitgliedsausweis

Eine zum Scheitern verurteilte Waffenruhe: Niemand kann verlässlich sagen, wo genau die Grenzen zwischen Nusra- und IS-Kriegern sowie mit ihnen verbündeten Dschihadisten laufen – auch in Syrien haben Terroristen keinen Mitgliedsausweis. Im 3300 Kilometer von Aleppo entfernten, friedensverwöhnten Stuttgart zeigt sich das ganze Dilemma dieser Diplomatie: Dort sollen Richter des Oberlandesgerichtes über vier Angeklagte urteilen, denen vorgeworfen wird, die dschihadistische Gruppe Ahrar ash-Sham, die „Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens“, mit Ausrüstung und Uniformen ausgestattet zu haben.

Gottesstaat im Nachkriegssyrien

Eine Organisation, die nahe Aleppo in Hraytan die Richter des Scharia-Gerichtes stellt. Die Richter ordnen an, wer wie in der Provinz Aleppo zu foltern ist. Wer wie und warum zu exekutieren ist – Urteile, die meist vollstreckt werden von den ausländischen Kämpfern der Ahrar ash-Sham. Deren Anführer wollen einen Gottesstaat im Nachkriegssyrien und -irak aufbauen. Und ein wenig darüber hinausgehen: Letzte Veröffentlichungen der Gruppe zeigen, dass sie auch ein Auge auf Israel werfen, Juden ausrotten wollen.

Steinmeier möchte auch mit Radikalen verhandeln

Den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier stört das nicht: Er möchte bei den Syrienfriedensgesprächen auch mit der Ahrar ash-Sham verhandeln: „Ich fürchte, wir sind weit über den Moment hinaus, wo wir uns wirklich alle Gesprächspartner und Verhandlungsteilnehmer aussuchen könnten“, begründet er das.

Assad und besonders sein Freund Wladimir Putin sehen das anders: Für den russischen Präsidenten sind die großsyrischen Islamisten immer noch das, was sie mehr als 1750 Tage lang auch für den Westen waren: mit El Kaida verbündete, von Saudi-Arabien und der Türkei finanzierte Terroristen – die aktuell noch den Raum westlich von Aleppo und die Stadt Idlib halten. Kaum zu glauben, dass russische Bomber künftig ihre Raketen nicht mehr über den Stellungen der „Freien Männer Großsyriens“ abfeuern.

Konzeptloser Friedensplan

Das alles zeigt, wie konzeptlos, ja vom Aktionismus in der Flüchtlingskrise getrieben die internationale Staatengemeinschaft in Syrien herumtapst. Als hätten gerade die westlichen Diplomaten keine 1807 Tage Zeit gehabt, sich wenigstens ein paar Gedanken darüber zu machen, wie der Frieden in der Levante aussehen könnte.