Saskia Esken steht seit 2019 an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie. Foto: AFP/TOBIAS SCHWARZ

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken stellt im Interview mit unserer Zeitung klar: durch den Heizungstausch dürfen Mieter nicht aus ihrer Wohnung raussaniert werden. Auch zur Art, wie die Förderung für Wärmepumpen verteilt werden soll, hat sie einen Vorschlag.

SPD-Chefin Saskia Esken verteidigt das Gebäudeenergiegesetz. Sie fordert aber auch Nachbesserungen – für einen stärkeren sozialen Ausgleich.

Frau Esken, wie erklären Sie auf einer Familienfeier, warum sich niemand wegen des Gebäudeenergiegesetzes Sorgen machen muss?

Wir wissen doch, dass die Wärmewende dringend notwendig ist, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Die Gebäudeenergie macht ein Drittel der CO2-Emissionen aus. Die wichtigste Maxime ist aber: Niemand wird von der Umsetzung überfordert werden – weder praktisch noch finanziell. Dafür wird die SPD sorgen. Versprochen.

Klingt nett. Aber mit so allgemeinen Worten holen Sie die Menschen auf der Feier wohl kaum auf Ihre Seite.

Entscheidend ist, wie das Gesetz schlussendlich gestaltet ist. „You’ll never walk alone“: Keiner, der Hilfe braucht, wird alleingelassen – dieses Versprechen des Kanzlers ist ein ursozialdemokratisches, und natürlich gilt es auch für die Wärmewende. Am Ende wird ein Gesetz mit umfangreichen Ausnahmeregelungen, Übergangsfristen und einer möglichst zielgenauen Förderung stehen. Verlassen Sie sich darauf.

Das Struck’sche Gesetz, benannt nach dem früheren SPD-Fraktionschef Peter Struck, besagt, kein Gesetz verlasse den Bundestag so, wie es hineinkommt. Was genau muss sich also beim Gesetz zum Heizungstausch noch ändern?

Kein Eigenheimbesitzer mit einem schmalen Geldbeutel muss etwa fürchten, sein Haus verkaufen zu müssen, weil er sich die Erneuerung der Heizung nicht leisten könnte. Wir wollen für die Probleme gute Lösungen finden. Um einen konkreten Punkt zu nennen, an dem wir im parlamentarischen Verfahren gerade intensiv arbeiten: Wir werden nicht nur Eigentümer, sondern auch Mieter vor übermäßigen Belastungen schützen. Die Investitionen, die bei den Heizungen getätigt werden müssen, dürfen nicht einfach so auf die Mieten umgelegt werden. Die Wärmewende darf nicht dazu führen, dass Menschen aus ihrer Wohnung raussaniert werden.

Sie sagen, niemand der Hilfe brauche, werde alleingelassen. Wie wollen Sie es schaffen, dass das Geld tatsächlich zielgenau bei den Richtigen ankommt?

Eine Förderung mit der Gießkanne wird es nicht geben. Das ist ein sozialdemokratisches Prinzip – und darauf werden wir bei den Hilfen für den Heizungstausch achten. Wir wollen und wir werden nicht Einkommensmillionäre schützen, die eine Wärmepumpe einbauen müssen.

Wo wollen Sie die Einkommensgrenze für die Förderung ziehen?

Harte Abbruchkanten müssen wir vermeiden und werden das Gesetz entsprechend ausgestalten. Das Ziel ist also nicht, dass es die Förderung bis zu einem bestimmten Einkommen komplett gibt und danach gar nicht mehr. Das wäre genauso wenig plausibel wie die Idee, beim Heizungstausch für den über 80-Jährigen eine Ausnahmeregel zu haben – für denjenigen, der 79 Jahre und 6 Monate alt ist, aber nicht mehr.

Was streben Sie konkret an?

In der Energiekrise haben wir ein Modell ausprobiert, das auch jetzt ein guter Weg sein könnte: Die Energiepreispauschale haben zwar alle bekommen, aber sie musste versteuert werden. Diejenigen mit geringen Einkommen haben also mehr profitiert. Ich halte das für einen praktikablen Ansatz auch bei der finanziellen Förderung bei den Heizungen.

Muss das Gebäudeenergiegesetz unbedingt zum 1. Januar in Kraft treten? Oder geht, wenn es hart auf hart kommt, Gründlichkeit vor Schnelligkeit?

Eines sollten wir nicht vergessen: Es gibt auch Menschen, die sich bereits auf den 1. Januar 2024 eingestellt haben. Diejenigen, die bereits eine Wärmepumpe bestellt haben und dabei mit einer Förderung kalkuliert haben, brauchen auch eine Zuverlässigkeit. Deshalb bin ich dagegen, das Inkrafttreten des Gebäudeenergiegesetzes zu verschieben. Der klügere Weg ist, bei Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen noch großzügiger zu sein. Diesen Weg sollten wir gehen.

Die andere große Baustelle der Ampel-Koalition ist der Haushalt für das kommende Jahr. Finanzminister Christian Lindner hat gerade die Steuerschätzung vorgelegt. Die Spielräume sind gering. Müssen die Bezieher hoher Einkommen und Vermögende stärker besteuert werden?

Ja. In Zeiten, in denen der Staat Milliardensummen aufgebracht hat, um das Land durch diverse Krisen zu bringen, gibt es daran keinen Zweifel. Die engen Spielräume, die uns die Steuerschätzung für den kommenden Haushalt aufzeigt, machen umso deutlicher: Bezieher sehr hoher Einkommen und Vermögende müssen einen größeren Beitrag leisten und höhere Steuern zahlen. Ich setze weiter darauf, dass der Bundesfinanzminister sich von der Kraft der guten Argumente früher oder später überzeugen lässt. Damit nerve ich Christian Lindner notfalls auch mal.

Von noch höheren Verteidigungsausgaben hört man weiterhin, Ihre Idee eines Sondervermögens Bildung scheint in den Hintergrund gerückt zu sein.

Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass gerechte Bildung zu einer gesamtstaatlichen Mission werden kann und wir dafür ein Sondervermögen für die Bildung möglich machen. In der Verteidigungspolitik ist argumentiert worden, dass es das Sondervermögen braucht, um langfristige Projekte abzusichern. Das muss für die Aufgabe, mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen, erst recht gelten. Wir können die Zukunft unsere Kinder doch nicht immer wieder den nächsten Haushaltsverhandlungen anvertrauen.

Sie haben eine Debatte über die Vier-Tage-Woche angestoßen. Ließe sich Ihr eigener Job auch in einem solchem Modell erledigen?

Das ist eher eine Sieben-Tage-Woche, auch wenn wir die SPD in einer Doppelspitze führen. Die Verfügbarkeit, die gefordert ist, ist sehr zehrend. Ich muss mir jeden Tag eine kleine Nische fürs Leben gönnen. Ansonsten würde ich kaputtgehen.

Sie haben gesagt, Sie könnten sich vorstellen, dass mit der Vier-Tage-Woche gute Ergebnisse erzielt würden. Bräuchte es für ein solches Modell einen vollen Lohnausgleich?

Studien zeigen, dass Arbeitnehmer in einer Vier-Tage-Woche häufig effektiver arbeiten, vor allem aber, dass sie zufriedener sind, weniger wechseln und weniger Krankheitstage haben. Ein Lohnausgleich ist deshalb ein berechtigtes Anliegen. Mir geht es darum, dass nicht nur diejenigen vom digitalen Wandel der Arbeitswelt profitieren, die das Home-Office nutzen können. Für die vielen, die in Präsenz arbeiten müssen, am Pflegebett oder am Hochofen, wäre es ein großer Gewinn an Lebensqualität, wenn sie ihre Arbeitszeit auf vier Tage verteilen könnten – mit zum Beispiel 36 Stunden gelingt das vielfach ganz gut. Das Ziel muss sein, dass in Familien das Motto gilt: „Auch am Freitag gehören Mutti und Vati mir“. Oder an einem anderen Wochentag.

Die SPD feiert in der kommenden Woche ihren 160. Geburtstag. Welche Person aus der Parteigeschichte hat Sie am meisten beeindruckt?

Ich bin groß geworden in einer sozialdemokratischen Familie. Mein Vater war mehr der Ortsvereinstyp, meine Mutter war im Gemeinderat. Diese Familie hat ihr Herz an Willy Brandt verloren – und da bin ich mit dabei. Das mag nicht unbedingt originell klingen. Aber darum geht es auch nicht. In der SPD setzen wir uns seit 160 Jahren für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ein. Die Welt verändert sich, aber unsere Grundwerte bleiben.

Integrationsfigur für den linken Flügel und Kanzlermacherin

Abgeordnete
Saskia Esken, geboren 1961 in Stuttgart, ist ein Beispiel für eine späte, aber steile politische Karriere. Im Bundestag ist die Sozialdemokratin aus dem Wahlkreis Calw seit dem Jahr 2013. Dort erarbeitete sie sich zunächst einen Namen als kundige Digitalpolitikerin, war aber darüber hinaus wenig bekannt.

Parteichefin
Nachdem Andrea Nahles im Jahr 2019 als SPD-Vorsitzende gestürzt war, bewarb sich Esken für viele überraschend um den Parteivorsitz – gemeinsam mit dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Die beiden setzten sich bei einer Abstimmung unter den Mitgliedern gegen den heutigen Kanzler Olaf Scholz durch – wegen der Unterstützung der Jusos. Esken und Walter-Borjans machten Scholz zum Kanzlerkandidaten – die Sozialdemokraten gewannen die Wahl. Mittlerweile führt die 61-Jährige an der Seite von Lars Klingbeil die Partei. Sie gilt als Integrationsfigur für den linken Flügel.