Musikstreaming-Dienste wie Spotify werden immer beliebter. Das verhilft der Musikindustrie zu mehr Umsatz. Foto: dpa

Jahrelang ging es in der deutschen Musikindustrie bergab. Weil aber immer mehr Deutsche Audiostreaming nutzen, verzeichnet die Branche das größte Wachstum seit 1993. Die neue Art, Musik zu hören, hat Auswirkungen auf die CD-Verkäufe.

Berlin - Nach rund 20 Jahren mit einem nahezu ungebrochenen Abwärtstrend ist der Musik-Umsatz in Deutschland im ersten Halbjahr 2019 wieder deutlich gewachsen. Wie der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) in Berlin mitteilte, nahm die Branche auf dem weltweit viertgrößten Musikmarkt in den ersten sechs Monaten überwiegend mit Audiostreaming, CDs, Downloads und Vinyl insgesamt 783,2 Millionen Euro ein. Das waren 7,9 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – und die höchste Wachstumsrate seit 1993. Zwischen 1998 und 2012 hatten sich die Umsätze der deutschen Musikindustrie fast halbiert.

Vor allem das Audiostreaming trägt zur möglichen Trendwende bei. Das Geschäft von Spotify, Apple Music, Deezer & Co. legte um 27,7 Prozent zu und erreichte damit einen Marktanteil von 56,4 Prozent. Dagegen sank die Nachfrage nach Downloads mit einem Minus von 16,3 Prozent noch stärker als die nach CDs, wo das Minus 11,7 Prozent betrug. Etwas mehr gefragt waren Schallplatten. Ihr Anteil am Gesamtumsatz betrug im ersten Halbjahr 4,4 Prozent, der von Downloads 6,6 Prozent und von CD-Alben 28,2 Prozent.

Das Audiostreaming setzt sich jetzt auch in Deutschland durch

„Das Audiostreaming verhilft uns gerade im globalen Markt zu einer Erfolgsgeschichte. Streaming entfaltet jetzt auch in Deutschland die Hebelwirkung“, sagte der BVMI-Vorsitzende Florian Drücke. Die Plattformen seien „hierzulande mit einem geringen Zeitrückstand in den Markt gegangen“, räumt der Verbandsmanager ein. „Es gab sicherlich zu Beginn die Sorge vieler Konsumenten in Deutschland um die persönlichen Daten beim Zahlungsverkehr, die Angst vor Missbrauch von Kreditkartendaten. Auch hat sich der deutsche Fan länger in seiner physischen Welt aufgehalten als die Fans in anderen Ländern.“

Letztlich sei es aber nur eine Frage der Zeit gewesen, betont Drücke: „Wann bekommt der Nutzer Appetit auf diese neue Welt des Streamings?“ Die 2018 gestartete, auf drei Jahre angelegte Untersuchung „Zur Zukunft der Musik“ der Universität Hamburg mit 5140 Befragten zeigt: Jeder zweite Musikkonsument in Deutschland nutzt inzwischen Streaming-Angebote. Der Besitz von Tonträgern – das berühmte „haptische Element“ beim Umgang mit Musik – oder ein Verfügungsrecht über Downloads ist für fast die Hälfte der Kunden nicht mehr wichtig. Jeder zehnte Befragte besitzt laut Studie keine CDs oder Vinylplatten mehr. Musikgenuss wird immer flüchtiger, und die Streaming-Auswahl für einen Zehner pro Monat in einem riesigen Musikkatalog kostet weniger als physische Tonträger. Die Bereitschaft, für Live-Events der Lieblingsmusiker mehr Geld auszugeben, ist der Befragung zufolge indes hoch.

Deutschland – der viertgrößte Musikmarkt der Welt, eine Branche mit rund 20 000 Beschäftigten – verabschiedet sich von den klassischen Tonträgern gleichwohl weniger radikal als andere Länder. „Der Markt ist hier ein bisschen anders, die CD ist weiterhin gefragt“, erklärt Verbandschef Drücke. „Es gibt bei uns nach wie vor viele Jäger und Sammler von Musik.“ Dies gilt erst recht für den Bereich Vinyl – auch wenn der Boom der schwarzen Scheiben nicht konstant ist. So gab es 2018 die erste Umsatz-Delle seit Jahren, jetzt aber geht es wieder etwas bergauf.

Ob und wie sich demnächst höhere Preise fürs kostenpflichtige Audiostreaming durchsetzen lassen, ist nach Drückes Worten schwer einzuschätzen. „Das Umsonst-Angebot ist eben reichlich verfügbar.“ Um beispielsweise Youtube in die Verantwortung zu nehmen, sei aber immerhin „mit der Urheberrechts-Richtlinie auf europäischer Ebene einiges passiert“, meint der BVMI-Manager. „Zentral ist für uns, dass eine Plattform wie Youtube, die als aktiver Dienst tief an der Verbreitung und Nutzung von Musik partizipiert, nicht weiterhin sagen kann: Wir müssen Euch eigentlich nichts zahlen, aber wir zahlen Euch trotzdem freiwillig ein bisschen.“