Martin Winterkorn ist im vergangenen September als VW-Konzernchef zurückgetreten. Er sei sich jedoch keines Fehlverhaltens bewusst, betonte Winterkorn damals. Foto: dpa

Im Abgasskandal gegen VW gerät nun auch der frühere Konzernchef Martin Winterkorn ins Visier der Staatsanwaltschaft.

Stuttgart - Im Abgasskandal bei VW ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig nun auch gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn. Es gebe einen Anfangsverdacht auf Marktmanipulation bei Wertpapieren von Volkswagen, teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit. Ausgelöst wurden diese Ermittlungen durch eine Anzeige der Finanzaufsichtsbehörde Bafin. Nun wird geprüft, ob die Öffentlichkeit gesetzeswidrig zu spät über die finanziellen Folgen der Betrügereien informierte.

Bekannt wurden diese Software-Tricksereien, mit denen der Schadstoffausstoß von Dieselautos manipuliert wurde, am 18. September vergangenen Jahres – zunächst durch eine Veröffentlichung der kalifornischen Umweltbehörde Carb. Am 22. September gab der Autokonzern dann bekannt, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen seien und der Konzern für Reparaturen, Strafen und rechtliche Auseinandersetzungen 6,5 Milliarden Euro zur Seite legen müssen. Die Staatsanwaltschaft sieht „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass diese Pflicht zu einer Mitteilung über die zu erwartenden erheblichen finanziellen Verluste des Konzerns bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden haben könnte. Bis zu einem Ergebnis der Ermittlungen gelte jedoch die Unschuldsvermutung. Durch eine zu späte Information könnte Anleger geschädigt worden sein. Der Konzern wies im vergangenen Jahr die höchsten Verluste der Firmengeschichte aus.

VW verteidigt geplante Entlastung auf der Hauptversammlung

Neben Winterkorn richten sich die Ermittlungen laut Staatsanwaltschaft gegen ein weiteres damaliges Vorstandsmitglied, dessen Name jedoch nicht bekannt gegeben wurde. Die Behörde stellte nur klar, dass es sich dabei nicht um den früheren Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch handle, der heute Aufsichtsratschef ist. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet, dass es sich dabei um Herbert Diess handeln soll, der seit Juli vergangenen Jahres Chef der Marke VW ist. Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich dazu zunächst nicht äußern. Winterkorn war am 23. September zurückgetreten. Er betonte damals jedoch in einer persönlichen Erklärung, dass er sich keines Fehlverhaltens bewusst sei.

Die neuen Ermittlungen dürften auf der Hauptversammlung am Mittwoch in Hannover für zusätzliche Kritik sorgen. Denn der Aufsichtsrat hat den Anteilseignern empfohlen, sämtliche damaligen Vorstände zu entlasten. Dagegen gab es bereits vor dem Aktionärstreffen Opposition. Das Unternehmen bekräftigte am Montag die geplante Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand. Mehrere Anwaltskanzleien hätten dies auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Informationen aus der umfassenden, wenngleich noch nicht abgeschlossenen Untersuchung der US-Kanzlei Jones Day geprüft. Diese Kanzlei soll im Auftrag des Autobauers die Software-Betrügereien aufklären. Nach derzeitigem Kenntnisstand seien keine eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen von aktuellen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern festgestellt worden, so das Unternehmen. Wie VW weiter mitteilte, werden sich Aufsichtsrat und Vorstand vor der Hauptversammlung von den Kanzleien nochmals rechtlich beraten lassen. Dies sei schon seit längerem geplant gewesen. Der Autokonzern sieht sich mit einer Vielzahl von Forderungen enttäuschter Anleger konfrontiert, die Schadenersatz fordern. Diese Forderungen dürften nun zusätzlichen Auftrieb erhalten. Das Unternehmen hatte allerdings vor einigen Monaten sämtliche Vorwürfe einer verspäteten Information zurückgewiesen.

Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt bereits seit Oktober

Die Ermittlungen wegen Marktmanipulation sind bereits der vierte Bereich, den die Staatsanwaltschaft untersucht. Bereits im vergangenen Oktober gab es eine Razzia, bei der die Konzernzentrale in Wolfsburg sowie Wohnungen von Mitarbeitern durchsucht wurden. Dabei ging es zunächst darum, wer Schuld an der Softwaremanipulation ist, mit der die Stickoxidwerte von Dieselmotoren geschönt wurden. Die Motoren hielten die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand ein, im Straßenverkehr dagegen war der Schadstoffausstoß deutlich höher. Später wurden die Ermittlungen auf möglicherweise frisierte CO2-Angaben ausgedehnt. Zuletzt kam noch der Verdacht hinzu, dass belastende Daten möglicherweise gelöscht worden sind. Die Staatsanwaltschaft hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass sie gerade beim Stickoxid kaum mit einem Abschluss des Verfahrens noch in diesem Jahr rechne, weil sehr große Datenmengen überprüft werden müssten. Zudem erstrecke sich der mögliche Tatzeitraum über wenigstens zehn Jahre.