Das Schweizer Referendum gegen den Bau von Minaretten hat in Deutschland eine Grundsatzdebatte über Integration und Volksabstimmungen ausgelöst.

Berlin - Das Schweizer Referendum gegen den Bau von Minaretten hat in Deutschland eine Grundsatzdebatte über Integration und Volksabstimmungen ausgelöst. Deutsche Muslime fürchten, dass eine islamfeindliche Welle über Europa schwappt. Die Angst scheint berechtigt: Europaweit jubeln Rechtspopulisten.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, reagierte mit Bedauern auf das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids. "Ich bin sehr erschrocken, dass eine rechtspopulistische Bewegung und eine rechtspopulistische Partei eine so überwältigende Mehrheit für so ein Verbot erringen konnte", sagte er. Zugleich fürchtet er, dass von dem Ergebnis der Abstimmung eine Signalwirkung ausgehen könnte. "Ich bin natürlich auch sehr besorgt, dass es zu einer europaweiten islamfeindlichen Volksbewegung kommen könnte."

Auch die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur warnte: "Wenn diese Initiative eine Dynamik in anderen europäischen Ländern auslösen sollte - und die Gefahr besteht -, dann werden die Muslime am Ende in Europa keinen Platz mehr haben." Sie sei entsetzt und habe Angst. Der Interkulturelle Rat in Deutschland bezeichnete das Referendum als "antimuslimischen Rassismus" und mahnte, die Abstimmung werde "Auswirkungen auf ganz Europa haben - auch auf Deutschland".

Die Schweizer hatten in einer Volksabstimmung überraschend deutlich für die Initiative "Gegen den Bau von Minaretten" gestimmt. Ihr Antrag wurde mit 57,5 Prozent Ja- gegen 42,5 Prozent Nein-Stimmen angenommen.

Rechtspopulisten in den Niederlanden forderten ebenfalls einen Baustopp für muslimische Gebetstürme. Die Holländer würden genauso abstimmen wie die Schweizer, sagte der Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV), der Islam-Kritiker Geert Wilders. Wilders lobte das Votum der Schweizer als Durchbruch: "Zum ersten Mal haben sich Menschen in Europa der Islamisierung widersetzt", sagte er.

Mit einem Sturm der Begeisterung reagierte auch die rechtslastige und fremdenfeindliche Lega Nord in Italien. Auch führende Vertreter der PdL ("Volk der Freiheit") von Premier Silvio Berlusconi begrüßten offen die Entscheidung der Eidgenossen.

"Die sogenannten Eliten sollten endlich aufhören, die Befürchtungen der Menschen in Europa zu ignorieren", hieß es in einer Mitteilung von Frankreichs rechtsextremer Partei Front National. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner zeigte sich dagegen schockiert. "Wenn man keine Minarette mehr bauen kann, dann bedeutet es, dass man eine Religion unterdrückt", sagte er. "Es ist ein Ausdruck von Intoleranz, und ich verabscheue Intoleranz", fügte er hinzu.

In Deutschland zeigten sich die christlichen Kirchen über das beschlossene Bauverbot entsetzt. "Mit großer Sorge sehen wir die Entscheidung in der Schweiz", sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, unserer Zeitung. Die deutsche Bischofskonferenz setze sich "für den gegenseitigen Respekt ein". Zollitsch sagte: "Gerade weil wir Christen die Einschränkungen der Religionsfreiheit in muslimisch geprägten Ländern ablehnen und verurteilen, setzen wir uns nicht nur für die Rechte der dortigen Christen ein, sondern auch für die Rechte der Muslime bei uns. Derjenige, der in anderen Ländern für die Angehörigen seiner Glaubensgemeinschaft in der Minderheitensituation Religionsfreiheit fordert, darf sie den religiösen Minoritäten im eigenen Land nicht vorenthalten." Allerdings müsse bei der konkreten architektonischen Ausgestaltung das städtebauliche Umfeld beachtet werden.

Der Zentralrat der Ex-Muslime rechtfertigte das Schweizer Votum indessen. "Das Nein zu Minaretten ist eigentlich ein Signal gegen Islamismus, Scharia und Kopftuchzwang", sagte die Zentralratsvorsitzende Mina Ahadi, "das Minarett steht da nur als Symbol für eine begründete Furcht vor dem politischen Islam." Es sei gut, dass die Schweizer Bürger in diese Entwicklung eingegriffen und deutlich Nein gesagt hätten.

Mehmet S. Kaplan, Sprecher der größten Moschee in der Region in Sindelfingen, sieht das Minarett als "symbolisches Zeichen, dass man hier nach islamischer Art beten kann". Er freue sich darüber, dass in Sindelfingen sogar die christlichen Kirchengemeinden den Moschee-Bau vor neun Jahren unterstützten, inklusive 25 Meter hohem Minarett. Den Sindelfinger Gebetsturm hat der Gemeinderat einst um fünf Meter gekürzt, der Esslinger fällt sogar um die Hälfte kleiner aus als geplant. Dennoch ist Kaplan zufrieden mit dem Zustand der Demokratie hierzulande: "Im Vergleich zur Schweiz können wir uns fast wie im Paradies fühlen." Kaplan befürchtet, dass die Ablehnung in der Schweiz über kurz oder lang wieder mehr Muslime in "Hinterhofvereine" drängen werde, wo schwerer zu überblicken sei, ob Einzelne die Religion instrumentalisieren und Extremismus fördern.

Selbst Verfechter von bundesweiten Volksabstimmungen in Deutschland äußerten sich kritisch über das Schweizer Referendum. "Es gibt Grenzen - auch für die direkte Demokratie", sagte der Vorstand der Initiative Mehr Demokratie, Michael Efler. Grundrechte wie die Religionsfreiheit dürften nicht angetastet werden.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach mahnte dagegen, Ängste vor dem Islam - wie sie sich in dem Schweizer Votum ausdrückten - nicht zu ignorieren. Es sei Ausdruck einer auch in Deutschland weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will das Votum als "Warnsignal" verstanden wissen. Es gebe ein "emotionales Unbehagen vieler Mitbürger".

Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt warnte dagegen vor "pseudo-christlichem Jubel" über die Abstimmung. "Wer heute Minarette verbietet, wird morgen Kirchtürme schleifen und Kreuze abhängen", sagte Posselt.

"Das Schweizer Volksbegehren zeigt, dass in der Tiefe der Gesellschaft anders gedacht wird, als die politische Klasse und die Mehrheit der Medien glauben wollen", sagte Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin. Dass das Referendum anders ausgefallen sei, als vorherige Umfragen in Aussicht stellten, bestätige seine Berliner Erfahrung, erklärte der ehemalige SPD-Finanzsenator der Hauptstadt. Sarrazin hatte für Empörung gesorgt, als er sich zur Integrationspolitik äußerte.