Er boykottiere die Abschiebe-Politik, habe in Ellwangen die Flüchtlingsdemo unterstützt und tue das alles auch noch mit Geld vom Land – solch massiver Kritik sieht sich der Landesflüchtlingsrat ausgesetzt. Dieser sieht das völlig anders.
Stuttgart - Das Schild hängt an einem schäbigen Stuttgarter 50er-Jahre-Bau an der viel befahrenen Hauptstätterstraße. Früher war dort die Kreisgeschäftsstelle der Grünen. Nachdem die Regierungspartei an eine repräsentativere Adresse in der Königstraße umgezogen war, hat sich der Landesflüchtlingsrat eingemietet. Es geht eine Treppe hoch in vier hintereinander liegende Räume. Wenn es eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ in Deutschland gibt, wie der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in einem Interview behauptet hat, dann ist dieser kleine Büroschlauch so etwas wie deren Lobbyzentrale im Land.
„Das ist unser neuer Rundbrief. Den müssen wir zum Versand eintüten“, sagt der Geschäftsstellenleiter Seán McGinley und deutet auf Kartons, die sich auf dem dunkelbraunen Laminat stapeln. Der 36-Jährige mit einer schwarzen Brille und einem Grübchen am Kinn muss selbst mit anpacken. Die Büroräume teilt er sich mit sieben Kollegen, darunter Teilzeitkräfte und Praktikanten. An der Tür thematisiert ein Plakat den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer.
Diesmal weniger Geld vom Land
Dass der Wind für Flüchtlingshelfer rauer geworden ist, hat McGinley bemerkt. Als die Polizei Anfang Mai nach einer gescheiterten Abschiebung in der Ellwanger Landeserstaufnahmestelle zu einer Großrazzia anrückte und die Flüchtlinge daraufhin bei einer Demonstration ihre Sicht der Dinge darstellten, stand plötzlich auch der Landesflüchtlingsrat in der Kritik. Wie es sein könne, dass der vom Land mit jährlich 250 000 Euro unterstützte Verein als Mitveranstalter einer solchen Demo auftrete, erregte sich der örtliche CDU-Landtagsabgeordnete Winfried Mack. Dabei hatte McGinley bloß den Demonstrations-Aufruf der Afrikaner auf der Internetseite des Vereins geteilt. „Man kann sich offenbar nicht vorstellen, dass Flüchtlinge etwas auf die Beine stellen können, ohne dass Weiße vorangehen“, sagt der 36-Jährige.
Der Fall zeigt, dass auch viele in der Landes-CDU so denken wie Dobrindt. Der Verein boykottiere die offizielle Abschiebe-Politik, heißt es. „Uns wird unterstellt, dass wir gegen den Rechtsstaat arbeiten“, sagt McGinley. Kein Wunder, dass eine Diskussion über das Geld vom Land entbrannt ist. In diesem Jahr sollen nur 200 000 Euro überwiesen werden – offiziell weil die Flüchtlingszahlen gesunken sind. Den Flüchtlingsrat überzeugt das Argument nicht. „Die Menschen sind ja da, die Fragen werden komplexer“, sagt der Projektreferent Sebastian Röder. Es gehe um Führerscheinerwerb, Studienzulassung oder die Anerkennung von Abschlüssen.
Behörde hat Verfahren verschleppt
Während der Beratungsstunden steht beim Flüchtlingsrat das Telefon nicht still. Sebastian Röder nimmt den Hörer ab. Diesmal interessiert sich eine Flüchtlingshelferin aus der Region Stuttgart für die Regelung des Familiennachzugs. Eine Frau aus Syrien, längst anerkannt, will ihre Tochter aus dem Libanon nachkommen lassen. Doch das Ausländeramt verweigert die Genehmigung, denn die Tochter sei volljährig. Für Röder ein einfacher Fall. „Die Ablehnung ist nicht rechtens. Beim Kindernachzug gilt das Alter zur Zeit der Antragstellung“, sagt der 36-jährige Jurist. Zweieinhalb Jahre hat die Behörde das Verfahren verschleppt. Hätte sie gleich entschieden, wäre das Mädchen noch 16 gewesen.
Man könnte sagen, Sebastian Röder habe mit der Rechtsauskunft gegen den Staat und dessen Entscheidung gearbeitet. Man könnte aber auch sagen, er hat jemandem zu dessen gutem Recht verholfen und damit die Prinzipien des Rechtsstaats hoch gehalten. „Die Behörde hat immer Recht. Das ist eine autoritäre Haltung und der Abschied vom Rechtsstaat und von der Gewaltenteilung“, sagt Röder.
Diese Denkweise stecke auch dahinter, wenn die steigende Zahl der Asylklagen kritisiert werde. „Die Statistik zeigt doch, dass viele Entscheidungen des Bundesamts für Migration einfach falsch sind.“ Die Erfolgsquote liege bei 40 Prozent. Einen solch hohen Wert kenne er weder bei Steuerfragen noch in Bausachen oder auf irgendeinem anderen Gebiet des Verwaltungsrechts.
„Offenbar ist der Rechtsstaat in vielen Köpfen nicht so verankert, wie es notwendig ist“, sagt McGinley. An der Wand hat er einen anonymen Brief aufgehängt. „Ihr gehört mit dem kriminellen Deckspack abgeschoben“, steht darauf. Für ihn ist solche Post ein Ansporn, weiter zu arbeiten.